Im Kino: „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“: Auge um Auge, Wort um Wort
Reif für den Oscar: In „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ mischt Frances McDormand einen Vorort im amerikanischen Süden auf. Die schwarze Komödie ist der Film der Stunde.
Es ist dieser unvermittelte Blick, den man zu gerne auch drauf hätte. Ihre Schlagfertigkeit. Die Direktheit, mit der sie ihr Gegenüber fixiert, reaktionsschnell, angriffslustig, mit einer gewissen Härte, aber nie ohne dem anderen jene hellwache Aufmerksamkeit entgegenzubringen, die man selber so häufig vermisst – und vermissen lässt. Eine Frau in einer Männerwelt, eine trauernde, zornige Mutter: Frances McDormand als Mildred Hayes kämpft mit der Waffe der Sprache. Jeder Dialog ein Schlagabtausch, sie weiß, wie man kontert, knapp, gezielt, gewitzt.
Zum Beispiel die Billboards, die alten Reklametafeln am Ortsrand von Ebbing, einem Kaff in Missouri. Mildred mietet sie, für drei Sätze in riesigen Lettern auf rotem Grund. „Vergewaltigt, als sie starb“, steht auf der ersten Tafel. „Und immer noch keine Verhaftungen. Wie kann das sein, Chief Willoughby?“ auf den beiden anderen. Vor sieben Monaten ist Mildreds Tochter vergewaltigt, ermordet und verbrannt worden, die Polizei kümmert sich nicht, deshalb die Billboard-Aktion.
Bei der Reklamefirma hat sie sich erkundigt, welche schlimmen Wörter auf solchen Tafeln verboten sind. Die Bewohner von Ebbing sind trotzdem empört, der Chief ist beliebt im Ort. Denn Bill Willoughby (Woody Harrelson) passt nicht recht in dieses Polizeirevier, in dem rassistische und sexistische Sprüche an der Tagesordnung sind und Deputy Dixon (Sam Rockwell) sein aggressives Temperament nicht zügeln kann, vor allem nicht gegenüber Schwarzen.
Oder die Szene mit dem Pfarrer. Er sitzt bei Mildred am Küchentisch, begütigt ihren Sohn, der in der Schule wegen seiner Mutter gemobbt wird, und fängt an, ihr ins Gewissen zu reden. Wenn sie nur öfter in die Kirche käme... Mildred unterbricht ihn; ruhig, aber bestimmt macht sie ihn auf die amerikanische Gesetzeslage aufmerksam. Wer Mitglied der Crips oder der Bloods in den Straßen von L.A. ist, macht sich strafbar, stimmt’s, Herr Pfarrer? Und seine eigene Gang, auch die mit extra Vereinsfarben und Klubhäusern, vergeht sich an Ministranten. Auch der Pfarrer ist mitschuldig, wie die Bandenmitglieder von L.A.. Frances McDormands Monolog über die Komplizenschaft der Kirche beim Missbrauch Minderjähriger ist allein schon den Besuch dieses Films wert.
Schweigekartelle und Gewalt
Recht und Gerechtigkeit, Missbrauch und Mitwisserschaft, institutionalisierte Gewalt, Schweigekartelle: „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“, uraufgeführt Anfang September beim Filmfest Venedig, entstand vor dem Weinstein-Skandal. Und doch ist es der Film der Stunde, kein Wunder, dass er bei den Golden Globes abräumte und nun mit sieben Nominierungen zu den Oscar-Favoriten zählt.
Wegen des wortgewaltigen Drehbuchs von Martin McDonagh („Brügge sehen ... und sterben“), unentwegt wird geflucht, verdammt genau auf den Punkt. Wegen der komplexen Figuren, die sich nicht im Täter-Opfer-Schema erschöpfen. Und wegen einer überragenden Frances McDormand, die ihren Racheengel im Arbeiter-Overall als Jägerin anlegt, als Westernheldin und weiblichen John Wayne.
Was für eine sture, hartnäckige Frau. Mildred hat viel von ihrer Darstellerin: Frances McDormand, 60, die seit ihrem Debüt in „Blood Simple“ zum Coen-Clan gehört (und mit Joel Coen verheiratet ist), die 1997 für ihre schwangere Polizistin in „Fargo“ einen Oscar gewann, die sich gern rar macht, das Publicity-Geschäft und jede Glamour- Hysterie verweigert. Frances McDormand, die für Frauenrechte, bessere Rollen und gleiche Bezahlung schon eintrat, als „MeToo“ und „Time’s Up“ noch nicht erfunden waren und die schon 2015 sagte, dass es weniger an Initiativen für Gender-Gerechtigkeit mangelt als an mehr Geld für Frauen. McDormand, die bei der Globes-Gala die tektonische Verschiebung begrüßte, die jetzt in den Machtstrukturen der Filmindustrie stattfindet.
Unikat der Filmbranche
Ihr Gesicht hat sie einmal als Landkarte ihres Lebens bezeichnet und den Frauen geraten, sich bloß nicht liften zu lassen. Weil sie ihr Leben dann ausradieren. McDormand ist ein Unikat in der US-Filmindustrie. Und ein Unikum: ungeschminkt, unerschrocken, mit diesem von Falten geadelten Gesicht, das so herrliche Grimassen ziehen kann. Auch als Comedian hätte sie eine große Zukunft.
Aber sie macht es einem nicht leicht in „Three Billboards“, denn Mildred belässt es nicht bei verbalen Attacken. Sind fiese Fußtritte, Molotowcocktails und Selbstjustiz eine Option? Wird diese Frau selber zur Täterin?
Martin McDonagh hat einen im besten Sinne altmodischen, mitunter fast alttestamentarischen Film gedreht, mit ruhigen Einstellungen, Charakterdarstellern und ohne Schauwerte-Schnickschnack. Es hat schon etwas Tollkühnes, eine Kinoheldin im Facebook-Zeitalter mit alten Werbetafeln kommunizieren zu lassen. Gleichzeitig stellt der für schwarzen Humor und groteske Konstellationen bekannte irische Regisseur und Dramatiker das Publikum auf die Probe. Niemand ist, was er scheint in diesem Sittengemälde des amerikanischen Südens.
Auf den ersten Blick ist die Kleinstadt Ebbing zwar durchaus von Stereotypen bevölkert, seien es rassistische Macho-Polizisten, Mildreds Schlägertypen-Exmann (John Hawkes) mit Blondinen-dummer Freundin (Samara Weaving) oder der kleinwüchsige Gebrauchtwagenhändler (Peter Dinklage), der nicht möchte, dass die anderen ihn Winzling nennen. Der Film macht sich einen Spaß aus den groben wie subtilen Diskriminierungen, die den Alltag von Ebbing prägen. Weil ständig über Sprachregelungen und Wortwahl gestritten wird, nimmt Donagh die Gleichzeitigkeit von Gewalt und political correctness in Amerika mit aufs Korn.
Cop mit Krebs
Aber bei genauerem Hinsehen besitzen sie alle schillernde Identitäten. Am deutlichsten Woody Harrelson als Chief Willoughby, er hat Bauchspeicheldrüsenkrebs, er wird bald sterben, er hat das Zeug, das Blatt im Fall Hayes zu wenden. Posthum. Wieder sind es Worte, die Taten auslösen, drei Briefe, die er hinterlässt. Und am Ende ist (fast) alles anders.
Willoughy jedenfalls, so stellt sich heraus, ist keineswegs ignorant. Mildred treibt nicht nur der Schmerz, sondern auch ein entsetzliches eigenes Schuldgefühl; deshalb unternimmt sie fragwürdige Grenzüberschreitungen Die dumme Freundin ihres Ex erweist sich als nicht immer blöd, und der schlicht gestrickte Rassist Dixon als erstaunlich lernfähig. So ist auch der Film nicht, was er scheint. Nicht nur ein Drama über Gewalt gegen Frauen und die Verfolgung der Täter, sondern über die Rettung von Menschlichkeit in unmenschlichen Zeiten. Über die Güte – und wenn noch so viel geflucht wird. Über den Kraftakt, herauszufinden, wer Vergebung verdient und wer nicht.
Und das alles in einer Komödie. Achten Sie auf die Schildkröte.
Ab Do in 16 Berliner Kinos. OmU: Babylon Kreuzberg, Fsk am Oranienplatz, Hackesche Höfe, International, Kino in der Kulturbrauerei, Odeon, Passage. OV: Cinestar Sony-Center, Delphi Lux, Neues Off
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