Hollywood-Produzent Weinstein: Vergewaltigung ist kein "Sexskandal"
Wer Vergewaltigung meint und Sexskandal schreibt, spricht die Sprache der Täter. Wie die Debatte um Weinstein und #metoo aus Straftätern passive Opfer macht. Ein Kommentar.
Ein Virus grassiert. Wie eine grausame Naturkatastrophe fegt er über den Globus hinweg, einer nach dem anderen wird von ihm dahingerafft – und keiner vermag die richtigen Worte zu finden für das, was da bevorzugt mächtige weiße Männer befällt: der Sexskandal.
Das erste Opfer: Filmproduzent Harvey Weinstein. „Ein Sexskandal trifft die Traumfabrik ins Herz“, vermeldet die „Zeit“. „Süddeutsche“, „Focus“, „FAZ“, „Bild“, „Welt“ – der „Sexskandal“ ist überall, laut einem Tweet von heute.de „erreicht der Sexskandal um Weinstein“ jetzt sogar Amazon. Offenbar hat das schlimme Virus Roy Price, den Unterhaltungsspartenchef des Online-Unternehmens, ebenso „getroffen“ wie den Mann aus Hollywood. Und die Redakteure in beinahe allen deutschen Medienhäusern gleich mit. Auch der Tagesspiegel verwendete den Begriff in Tweets und einer Online-Überschrift – und änderte sie nach Kritik aus der Redaktion.
Denn es geht hier mitnichten um einen „Sexskandal“. Niemand wird „heimgesucht“ außer die Opfer. Und das sind nicht die Herren Weinstein und Co.
Was in den aktuellen Fällen zum Skandal fehlt ist: der Sex. Sex ist einvernehmlich. Er ist eine opferfreie Zone. Die letzte skandalöse Ausnahme – dass es in der Ehe juristisch keine Vergewaltigung geben konnte – wurde 1997 vom Bundestag abgeschafft, nach Jahrzehnten der Debatte. Die Herrschaften in den Redaktionen hatten Zeit, sich daran zu gewöhnen.
Es geht um Unterdrückung und Gewalt
Wenn ein verheirateter CSU-Politiker unehelichen Sex hat, mag das ein „Sexskandal“ sein. Wenn sich Männer eines Versicherungskonzerns Prostituierte auf Firmenkosten leisten: ein Sexskandal. Wenn ein mächtiger, reicher Mann einer Frau droht, ihr Leben zu zerstören, wenn sie sich seinen sexuellen Übergriffen entzieht, ist das: kein Sexskandal. Machtmissbrauch, Nötigung, sexuelle Belästigung, Vergewaltigung; die Liste der Vorwürfe gegen Weinstein ist lang, und mit Sex hat das alles nichts zu tun. Ebenso, wie Sexismus nichts mit Sex zu tun hat. Es geht um Unterdrückung und Gewalt. Wer in diesem Fall von einem Sexskandal spricht, verharmlost die Taten. Wer schreibt, dass es die mutmaßlichen Täter „erreicht“, macht aus ihnen passive Opfer.
Die unzähligen Stimmen, die sich jetzt unter dem Twitter- Schlagwort #metoo versammeln und von Missbrauchserfahrungen berichten, offenbaren: Es geht hier nicht um einen Einzelfall. Natürlich nicht, es ist jetzt auch nicht das erste Mal. Aber bei den vermeintlichen Sexskandalen geht es oft um ein System von Macht, um Männer, vornehmlich reich, weiß, die ihre Macht gegenüber Frauen missbrauchen, um Unzählige, die Bescheid wussten und sich zu Mittätern machten.
Wer „Sexskandal“ schreibt und Missbrauch meint, reproduziert – absichtsvoll oder aus dem Automatismus des meistverwendeten Hashtags heraus – ein System, das das Leid der Opfer missachtet. Wer Missbrauch als „Sexskandal“ bezeichnet und sich im gleichen Atemzug wundert, dass Opfer nicht sprechen, hat das Problem nicht verstanden. Es heißt: „Rape Culture“, eine Kultur, in der sexuelle Gewalt verharmlost oder toleriert wird.
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