Die Coen-Brüder: Schlimm ist schön
Die Filmemacher Joel und Ethan Coen über ihre jüdische Kindheit, Popkultur – und die Lust auf Dreharbeiten ohne Stars.
Baut „A Serious Man“ auf Ihren eigenen Kindheitserinnerungen im Mittleren Westen der späten sechziger Jahre auf?
ETHAN COEN: „A Serious Man“ ist keine autobiografische Geschichte. Nur der Rahmen hat biografische Bezüge. Die Geschichte spielt weitgehend dort, wo wir aufgewachsen sind: in einer kleinen jüdischen Gemeinde in Minnesota.
Warum war es für Sie an der Zeit, an den Ort Ihrer Kindheit zurückzukehren?
JOEL COEN: Den ersten Drehbuchentwurf haben wir schon vor ein paar Jahren entwickelt. Damals hatten wir drei Skripts – „No Country for Old Men“, „Burn after Reading“ und dieses hier – ziemlich direkt hintereinander geschrieben. Die Reihenfolge, in der wir die Filme dann realisiert haben, folgte eher praktischen Notwendigkeiten. Wir haben ja mit „Fargo“ schon einmal in dieser Gegend gedreht, aber da ging es nicht um die jüdische Community.
ETHAN COEN: Das hängt mit dem Alter zusammen. Wir hätten diesen Film sicher nicht mit 25 machen können. Es wird erst interessant, an den Ort seiner Kindheit zurückzukehren, wenn man lange genug von dort weg ist.
Wie sah denn Ihre Jugend in den wilden Sechzigern aus?
JOEL COEN: Wir sind in einem sehr wachsamen Haushalt aufgewachsen und zur hebräischen Schule gegangen. Wir waren typische Kinder der Zeit, die auf eine religiöse Schule gehen mussten, auch wenn sie nicht gerade verrückt danach waren.
ETHAN COEN: Es gab natürlich viele religiösen Vorschriften und Verpflichtungen. Aber beim Jüdischsein geht es auch um eine ethnische Zugehörigkeit. Selbst wenn wir uns nicht so sehr für die religiösen Details interessiert haben, ist das Judentum ein großer Teil unserer Identität. Wir haben in unserer Jugend jüdische Kantoreimusik genauso gehört wie „Jefferson Airplane“.
Hat die Tatsache, dass Sie so aufgewachsen sind, Ihre Art, Geschichten zu erzählen, beeinflusst?
JOEL COEN: Ganz sicher hat uns die jüdische Subkultur beeinflusst. Der Einfluss der Popkultur der sechziger Jahre aber war sehr viel größer. Vielleicht war es gerade der Kontrast zwischen der jüdischen Subkultur und der amerikanischen Popkultur, die uns geprägt hat.
Ist Ihre Bar Mitzwa ähnlich chaotisch abgelaufen wie im Film?
JOEL COEN: Nein, wir waren nicht bekifft. Wir waren ordentliche Schüler.
Am Anfang gibt es einen märchenhaften Prolog, der in einem galizischen Schtetl Ende des 19. Jahrhunderts spielt. Ist das als böses Omen für Ihre Hauptfigur Larry zu verstehen?
ETHAN COEN: Alle denken, dass wir uns da unheimlich was bei gedacht haben. Aber das ist nicht der Fall.
JOEL COEN: Wir hatten das Gefühl, die Szene ist ein interessanter Botschafter für den Film. Ohne dass wir wirklich erklären können, warum.
Larry wird von einen Schicksalsschlag nach dem anderen heimgesucht. Warum quälen Sie Ihre Figuren so gern?
ETHAN COEN: Unser Leitfaden war: Der Mann hat ein Problem, wie können wir es noch schlimmer machen? Wenn etwas Schlimmes passiert, bringt das eine Story immer mehr voran, als wenn etwas Gutes geschieht.
Sie haben schon mit George Clooney, Brad Pitt und anderen Stars gearbeitet. „A Serious Man“ ist dagegen promifreie Zone.
JOEL COEN: Wir wollten die Illusion herstellen, dass man eine Scheibe vom Leben in dieser Zeit an diesem Ort vor sich hat. Ein Star von heute hätte diese Illusion zerstört. Je unbekannter die Gesichter, desto besser für diese Geschichte. Außerdem: Nicht viele Stars warten darauf, einen vierzigjährigen jüdischen Mann aus dem Mittleren Westen zu spielen.
Sie schreiben das Drehbuch, führen Regie und produzieren Ihre Filme selbst. Wo setzt da der Schmerz ein?
JOEL COEN (lacht): Sagen wir es so: In Hotelzimmern wie diesem Promotion für unsere Filme zu machen – das ist nicht gerade der Teil des Prozesses, der uns am meisten Spaß macht.
Interview: Martin Schwickert
Joel, 55 (l.), und Ethan Coen, 52, Autorenfilmergespann aus den USA, sind legendär. Wichtige Filme: „Barton Fink“, „The Big Lebowski“, „Fargo“, „No Country for Old Men“.
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