200. Geburtstag von Karl Marx: Auf den Sockel und wieder runter
Trier läuft sich für das Karl-Marx-Jahr warm. Zum 200. Geburtstag bekennt sich die Römerstadt zu ihrem berühmten Sohn. Sie widmet ihm eine Blockbuster-Ausstellung – und lässt sich von Peking eine Kolossalstatue schenken.
Die Statue des Anstoßes ist jetzt nur noch fünfeinhalb Meter groß. 5,50 Meter Karl Marx, das passt. Denn dessen 200. Geburtstag datiert auf den 5. Mai, an dem Tag eröffnet in Trier auch die Doppelausstellung „Karl Marx 1818–1883. Leben. Werk. Zeit“. Und, schöner Zufall: Vor der Einführung der Fünfstelligkeit besaß Trier die Postleitzahl 55.
Was für eine Aufregung. Zum Jubiläum schenkt das große China dem kleinen Trier eine Kolossalstatue, einen Mega-Marx aus Bronze. Als der Stadtrat letztes Frühjahr beschloss, das Präsent anzunehmen, gab es viel Aufregung. Die Trierer Kunstszene sah sich verprellt, Opferverbände protestierten und der Schlagersänger Guildo Horn (auch ein bedeutender Trierer!) wollte der Stadt zusätzlich ein Horn-Denkmal schenken. „Aus Bronze, Kautschuk, Mürbeteig oder Marzipan“ und mit „Piep Piep Piep“-Festakt. Das Chinesen-Geschenk findet Horn gut: „Warum sollen die immer nur uns kopieren?“
Spott beiseite: Als der Bildhauer Wu Weishan aus Peking anreiste, musste erst mal verhandelt werden. Über die ursprüngliche Höhe von 6,30 Meter wie über den Standort. Die zunächst vorgesehene, im Volksmund Karl-Marx-Plätzchen getaufte dreieckige Kreuzung wenige Meter neben dem Geburtshaus in der Brückenstraße fand Herr Wu entschieden zu klein. „Kein Licht, keine Luft, und Marx muss größer sein als die Engels-Statue in Wuppertal mit ihrer Höhe von 3,85 Metern“, erinnert sich Oberbürgermeister Wolfram Leibe (SPD) an die Reaktion des angereisten Künstlers.
Die Statue kommt hinter das Stadtmuseum
Also spazierte Baudezernent Andreas Ludwig mit Wu Weishan durch die Altstadt. Viehmarkt? Domfreihof? Simeonstraße mit Sichtachse zur Porta Nigra? Alles nicht zu gebrauchen, wegen Weltkulturerbestatus und wegen Marx’ Religionskritik. Man einigte sich auf den Simeonstiftplatz hinter dem Stadtmuseum, wo Marx vor einer 13 Meter hohen Brandmauer aufgestellt wird. Das relativiert, meint Ludwig. Und es hat die Bürger tatsächlich beruhigt: Sooo riesig wird die Statue dann doch nicht. Der Sockel wird zudem abgetreppt, die Leute sollen drauf sitzen können. Und es sind nur wenige Schritte bis zu dem kleinen barocken Mansardenhaus, in das Familie Marx einige Monate nach Karls Geburt zog.
Dort, in der Simeonstraße 8, verbrachte der Verfasser des „Kommunistischen Manifests“ Kindheit und Jugend, eine Plakette erinnert daran. Und die Porta Nigra ist gleich um die Ecke: Das Wahrzeichen der Römerstadt machte erst am Freitag von sich reden, weil Forscher den Bau des Stadttors endlich datieren konnten, auf die Zeit um 170 n. Chr.
Chemnitz soll Trier seine XXL-Marx-Büste angeboten haben
Die Römerstadt Trier bekennt sich zu Marx – auch das eine kleine Sensation. Das Foto vom hölzernen Statuen-Dummy schaffte es bis ins russische Staatsfernsehen und in die „New York Times“. Es sei richtig, betont Bürgermeister Leibe, dass Trier sich der Person und dem Wirken von Marx stellt; das habe die Diskussion um das Denkmal gezeigt. Vor der Kritik der Opferverbände hat er Respekt, davor, dass Menschen, die unter dem DDR-Regime gelitten haben, Marx anders sehen. Der gebürtige Württemberger begann seine Laufbahn im sächsischen Justizministerium, in der Zeit nach dem Mauerfall, als sich die Marx-Denkmäler gerade auf den Bauhöfen der Ex-DDR stapelten, um eingeschmolzen oder entsorgt zu werden. Chemnitz soll sein Marx-Monument (7,60 Meter!) , den berühmt-berüchtigten „Nischel“, Trier sogar zum Kauf angeboten haben.
Wird Trier die neue Karl-Marx-Stadt? Nein, meint Leibe, Trier führt mit der Statue nicht den Marxismus wieder ein. „Viele sind jetzt bereit, Marx als historische Persönlichkeit, als Ökonom und Philosoph wahrzunehmen, auch im Unterschied zu dem, was in der DDR in seinem Namen geschah.“
Der CDU-Mann Ludwig, der sich selbst als „Wessi mit schwarzer Seele“ beschreibt, findet die Auseinandersetzung ebenfalls gut. Der Baudezernent glaubt an den guten alten Wandel durch Annäherung. Im November war er eine Woche in China, hat Wu Weishan im Atelier besucht, mit ihm das Sockel-Material erörtert (Basalt statt Sandstein) und über den Umgang mit NS-Denkmälern Auskunft gegeben. Monumentalkunst, damit haben die Deutschen so ihre Erfahrung.
Trier hat sich immer schwer getan mit Marx. Wer in den siebziger Jahren hier zur Schule ging, hörte den Namen im Geschichtsunterricht kaum. Nicht mal für Absolventen des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums, wo Marx Abitur machte, verstand sich ein Besuch des kleinen, damals recht verstaubten Museums im Geburtshaus von selbst. Die über Jahrzehnte gestörte Beziehung schlägt sich sogar im Stadtplan nieder. Die Straße, in der das Geburtshaus liegt, verläuft südwestlich des Zentrums bis zur Römerbrücke. Zu Marx’ Zeiten hieß sie Brückergasse. Der zur Brücke gelegene Abschnitt wurde nach dem Krieg in Karl-Marx-Straße umgetauft, nicht aber das kurze Stück mit dem Geburtshaus selbst. Verquere Welt.
Karl Marx, der Spross einer Trierer Bürgersfamilie und Sohn eines jüdischen Anwalts, der notgedrungen zum Protestantismus konvertierte. Marx, der Journalist, der mit 17 die Stadt verließ. Der Ökonom und Gesellschaftstheoretiker, dessen Lebensweg über Bonn, Berlin, Paris und Brüssel nach London führte, gemeinsam mit seiner Ehefrau Jenny von Westphalen, Tochter eines Trierer Regierungsrats. Marx, der über Winzerarmut und Auswanderung schrieb, schließlich der Cheftheoretiker von Kommunismus und Sozialismus: So einer passte nicht ins konservative, katholische Trier.
Marx war tabu, jetzt wird er gefeiert
Wie sehr sich das geändert hat, zeigen die Jubiläumspläne mit Blockbuster-Ausstellung und halbjährigem Veranstaltungsmarathon, nach dem Modell der supererfolgreichen Konstantin- und Nero-Ausstellungen 2007 und 2016. Und mit schlagzeilenträchtigen Aktionen wie der Einladung von Ururenkelinnen des Revoluzzers zur Wiedereröffnung der Dauerausstellung im Geburtshaus, verbunden mit der Hoffnung, auch TV-Moderator Günther Jauch zum Besuch gewinnen zu können – als Ururururenkel jenes stellvertretenden Bürgermeisters, der einst die Geburtsurkunde von Karl Marx unterschrieb. Die haben Ideen, die Trierer.
Entideologisierung als Voraussetzung der Vermarktung
„Marx war tabu oder er wurde verteufelt“, erinnert sich Elisabeth Dühr an den verschämten Umgang noch zu ihrer eigenen Schulzeit. Dühr kuratiert den biografischen Ausstellungsteil im Stadtmuseum Simeonstift und hätte sich die Statue vor der Hintertür des Museums etwas differenzierter gewünscht. Der Bronze-Marx ist für sie Fluch und Segen. „Wir wollen ihn doch gerade vom Sockel holen mit den Ausstellungen, damit er nicht länger ideologisch verstellt bleibt.“ Im Denkmal manifestiere sich eher das Gegenteil. Gleichzeitig werde Marx aber entideologisiert, das habe schon mit dessen Neulektüre während der Finanzkrise begonnen. Und Entideologisierung sei die Voraussetzung, um ihn vermarkten zu können.
Tolle Dialektik: Die Stadt macht ihren Frieden mit dem Kapitalismuskritiker, indem sie ihn nicht zuletzt aus kapitalistischen Gründen auf den Sockel hievt – und gleich wieder herunterholt. Vom Schreckgespenst zum Tourismusmagnet, sogar die Kirche macht mit. Das Bistum beteiligt sich als Kooperationspartner mit einer Ausstellung im Dommuseum, in der zeitgenössische Künstler sich mit dem Thema Arbeit auseinandersetzen. Ganz Trier setzt auf den Marx-Faktor.
Chinesen fällt zu Deutschland als Erstes Marx ein
Nicht zu vergessen, die Chinesen kommen. Peking schenkt der Stadt auch deshalb eine Statue, weil die Chinesen Trier kennen und lieben. Auf Europa-Rundreisen gilt die Stadt schon länger als Höhepunkt. Da kann es schon mal passieren, dass man morgens vor dem inzwischen von der Friedrich-Ebert-Stiftung betriebenen Museum im Geburtshaus über eine Reisegruppe stolpert, die sich die Zeit mit dem Schmettern von Propagandaliedern vertreibt, weil die kleine, kluge, ab 5. Mai frisch aufgemöbelte Schau zur Marx-Rezeptionsgeschichte noch zu hat.
25 Prozent aller Chinesen fällt zu Deutschland als Erstes Marx ein, erklärt Norbert Käthler, Geschäftsführer der Trier Tourismus Marketing. Weit über 50 000 kommen inzwischen pro Jahr an die Mosel, mit einer wachsenden Zahl von Individualreisenden. Und es werden immer mehr. Käthler hat noch andere Zahlen. Etwa, dass umgekehrt nur acht Prozent der Deutschen Konfuzius kennen. Oder dass Europa für mehr als 100 Millionen Chinesen ein erstrebenswertes und bezahlbares Reiseziel ist. Trier könne da dreifach punkten: mit dem Unesco-Label von neun Weltkulturerbestätten, mit Wein und Genuss – und mit Marx.
Bei Kostümführungen wird Marx von Schauspielern verkörpert
Wobei die beiden Letzteren sich prima verbinden lassen. Bei seiner jüngsten China-Reise stellte der Tourismus-Chef überrascht fest, dass jedes bessere Hotelrestaurant Moselwein auf der Speisekarte verzeichnet. Und da Marx den hiesigen Wein so sehr schätzte, dass er ihn auch in London trank, gibt es in Trier schon länger Führungen zum Thema „Marx und der Wein“. Weiteres Angebot für die Besucher aus Fernost: Mithelfen im Weinberg.
Mit der Statue hat Käthler keine Probleme, schon wegen des Werbeeffekts: „Entscheidend ist, dass es sie gibt, außerdem macht sie die Stadt bekannter.“ Bei Kostümführungen soll der bärtige Riesen-Marx dann mit seinem jugendlichen Konterfei konfrontiert werden, mithilfe von Schauspielern des Stadttheaters.
Auch Kuratorin Barbara Wagner, die für die Bespielung der 1000 Quadratmeter Ausstellungsfläche im Landesmuseum verantwortlich zeichnet, hofft auf Entkrampfung. Zum Marx-Engels-Denkmal in Berlin-Mitte hätten die Hauptstädter ja auch ein lockeres Verhältnis. „Marx hat alles permanent infrage gestellt, auch sich selbst. Er war immer im Fluss, stets informiert, seine Interessen waren uferlos.“ Es sei an der Zeit, ihn selbst zu Wort kommen zu lassen und von den Überinterpretationen zu befreien.
400 Exponate von 110 Leihgebern aus elf Ländern
Wie stellt man ihn nun aus, den Verfasser des „Kapitals“? Wie vermeidet man, dass man nur alte Männer im Ölporträt zeigt und Bücher an die Wand nagelt, wie es Elisabeth Dühr formuliert? Indem man seine Epoche lebendig werden lässt. Im Landesmuseum wird es eine Zeitreise geben, von der bürgerlichen Epoche über Frühindustrialisierung, Weberaufstand und die französischen Sozialisten bis zur ersten Globalisierung. Die neue Eisenbahnmobilität soll Thema sein, die neue Nachrichtentechnik, soziale Milieus und Arbeitswelten, Ausbeutung, Schinderei.
Zu den Exponaten gehören die deformierten Knochen von schuftenden Kindern, Schutzanzüge von Grubenarbeitern, eine Kartätsche, mit der die Regierung 1848 gegen die Bürger vorging, ein Stück vom ersten Unterseekabel, ebenso Gemälde von Fabrikhallen. Und, klar, „Das kommunistische Manifest“: in 250 Ausgaben, in Brailleschrift, leichter Sprache und Gebärdensprache. Im Stadtmuseum erfährt der Besucher dann, auf welche Weise die Trierer Herkunft und die Lebensstationen Marx’ Denken prägten – von Kindersterblichkeit und Armutsmigration war auch die Familie betroffen.
400 Exponate von 110 Leihgebern aus elf Ländern sollen es werden. Aus Berlin kommen unter anderem Hans Baluscheks „Proletarierinnen“-Bild aus dem Märkischen Museum sowie Borsig-Vase,-Büste und -Fahne. „Wir sind die älteste Stadt Deutschlands, haben viele tote Römer, wie ich gerne sage, aber wir haben auch den Marx“, resümiert Oberbürgermeister Leibe. Deshalb wolle Trier den Gelehrten nun auch im Stadtbild verankern.
Es wird sogar ein Marx-Musical geben
„Er glaubte an die Veränderbarkeit der Welt. Dass Systeme nicht anthropologisch gesetzt sind, dass nichts alternativlos ist. Das ist wunderbar, aber es wurde auch lange als bedrohlich empfunden“, sagt Kuratorin Dühr. Jetzt verändert Marx auch seine Geburtsstadt. Mit einer Statue mitten in der Stadt, mit dem Karl-Marx-Plätzchen samt Bänken zum Verweilen, im Boden eingelassenen „Lebenslinien“ und Zitaten des Denkers. Das Marx-Jubiläum soll Trier und die Region mobilisieren, deshalb sind Leibe die gut 300 Veranstaltungen so wichtig, von der Tagung zur Finanzkrise über ein Marx-Musical bis zum „Flying Grass Carpet“ für die freie Kulturszene.
Den Trierern wird nachgesagt, sie seien von Natur aus langsam, Veränderung sehen sie nicht gern. Nach dem jüngsten Theaterstreit um einen allzu innovativen Intendanten und den drohenden Abriss des 60er-Jahre-Baus, nach dem Statuen-Zoff um Karl Marx gab es 2017 ein drittes Aufregerthema an der Mosel: die Tankstelle in der Ostallee, die einzige Tanke innerhalb der Altstadt. Seit Jahren will Trier den Alleengürtel, der dem Verlauf der römischen Stadtmauern entspricht, neu gestalten. Die Tankstelle war im Weg, aber die Leute wollen lieber weiter zu später Stunde ihr Bier holen können. Kaum zu glauben: Der erste Bürgerentscheid in Deutschlands ältester Stadt galt einer Tanke.
Die Römer sind dicke da, die Tanke bleibt, das Stadttheater auch. Und Marx ist im Kommen – das ist Trier 2018. Die Statue aus Peking wird jetzt verschifft.
"Karl Marx. Leben. Werk. Zeit". Trier, Rheinisches Landesmuseum und Stadtmuseum Simeonstift. 5.5. - 21.10., Di - So 10 - 18 Uhr. Infos und Tickets: www.karl-marx-ausstellung.de