Das Kapital ist Unesco-Welterbe: Linke nicht nur froh über Marx als Bestseller
Das Kommunistische Manifest und der erste Band des "Kapitals" von Karl Marx gehören jetzt zum Weltkulturerbe der Unesco. Sahra Wagenknecht und Gregor Gysi freut das. Der Berliner Verlag des "Kapitals" sieht das Interesse an dem Buch auch mit einem weinenden Auge.
Für Sahra Wagenknecht ist das eine gute Nachricht. "Das freut mich natürlich sehr", sagt die stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei, als sie erfährt, dass die Unesco zwei ihrer Lieblingstitel jetzt würdigt als Weltdokumentenerbe - das Kommunistische Manifest und den ersten Band des "Kapitals" von Karl Marx. Schließlich sei die aktuelle Krise in Europa auch eine Systemkrise, und da gebe es "immer Menschen, die bei Karl Marx reinschauen", sagt die Politikerin, früher Wortführerin der Kommunistischen Plattform in ihrer Partei, am Donnerstag dem Tagesspiegel. Die Neugierigen werden aus Sicht von Wagenknecht auch nicht enttäuscht: Denn immer noch würden sich "wertvolle Erkenntnisse und Einsichten" aus den Schriften von Karl Marx gewinnen lassen.
Nach einer Tagung des Internationalen Komitees im südkoreanischen Gwangju hatte zuvor die deutsche Unesco-Kommission in Bonn die beiden Neuzugänge für das "Gedächtnis der Menschheit" bekannt gegeben. Zugleich wurden in die Liste auch das Lorscher Arzneibuch und die Himmelsscheibe von Nebra in die Liste aufgenommen, als deutsch-österreichischer Beitrag kam das Verfassungsdokument "Goldene Bulle" dazu. Die Schriften von Karl Marx wurden aufgenommen, "weil diese weltweit einen großen Einfluss auf soziale Bewegungen hatten", wie die Unesco-Kommission erklärte. Vom Manifest der Kommunistischen Partei existiert heute noch eine handschriftliche Seite, sie lagert in einem Archiv in Amsterdam.
Der Linken-Politiker Gregor Gysi meint, das Kommunistische Manifest von Friedrich Engels und Karl Marx und Band eins des "Kapitals" seien "herausragende Werke der Weltgeschichte". Es sei höchste Zeit, dass diese Werke zum Bestandteil des Weltkulturerbes geworden seien, sagt er dem Tagesspiegel. "Daran ändert sich auch nichts durch den späteren Missbrauch des Begriffs des Kommunismus, sowohl durch Leute, die sich Kommunistinnen und Kommunisten nannten, als auch durch Leute, die sich Antikommunistinnen und Antikommunisten nannten". Marx, so der Linken-Fraktionschef weiter, sei weltweit der bekannteste Deutsche. "Auch diejenigen, die seine Ideen nicht teilen, müssen ihn schätzen, respektieren. Hätten wir eine politische Kultur wie in Frankreich, wäre dies selbstverständlich. Wäre Karl Marx ein Franzose, wäre jeder Präsident, auch der konservativste an seiner Grabstätte in London gewesen. Noch nie hat sich dort ein deutscher Kanzler oder eine deutsche Kanzlerin sehen lassen." Und vorsichtshalber blickt Gysi schon einmal fünf Jahre voraus: "Am 5. Mai 2018 begehen wir den 200. Geburtstag von Karl Marx. Werden wir aus diesem Anlass in breiter Gesellschaft stolz feiern oder überlassen wir das anderen Ländern? Wird es bis dahin eine Universität mit seinem Namen geben, vielleicht in seiner Geburtsstadt, oder überlassen wir das anderen Ländern? Wir werden sehen.".
Beim Berliner Dietz-Verlag, in dem mittlerweile die 40. Auflage des Kapitals erschienen ist, wird das steigende Interesse am "Kapital" mit einem lachenden und einen weinenden Auge gesehen. "Das ,Kapital' wird vor allem dann gelesen, wenn es der Gesellschaft schlecht geht. In guten Zeiten ist es weniger nachgefragt", sagt Verlagsgeschäftsführer Jörg Schütrumpf. "Gäbe es die Krise nicht, erfreuten wir uns jetzt nicht der hohen Verkaufszahlen." Nach seinen Angaben wurde der erste Band des "Kapitals" seit 1946 mehr als eine Million Mal verkauft. "Seit der Weltfinanzkrise hat sich der Absatz des Kapitals vervielfacht." Nach der Wende seien bis 2007 noch zwischen 500 und 750 Exemplaren verkauft worden, 2008 - zum Ausbruch der Krise - waren es 5000. Seither ist die Nachfrage laut Schütrumpf mit 1500 bis 2000 Exemplaren jährlich "hoch". Obwohl, wie der Verlagsmann zugibt, das Werk für die aktuelle Krise "keine fertigen Antworten und Lösungen" biete.
Dass die Unesco das "Kapital" für das "Gedächtnis der Menschheit" ausgewählt hat, kam für den Dietz-Verlag überraschend. Zwar wusste man dort von dem Vorschlag, hat aber eine Aufnahme in die Liste des Welterbes "nicht wirklich dran geglaubt", wie Schütrumpf sagt. Spontan entschieden wurde, gemeinsam mit der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung in der zweiten Juli-Hälfte eine Feierstunde auszurichten. Dabei sein sollen dann auch Wissenschaftler. Und natürlich Politiker, aber keineswegs nur von der Linken. Verlagsgeschäftsführer Schütrumpf erklärt, er würde gern den SPD-Politiker Wolfgang Thierse als Teilnehmer gewinnen. "So fremd ist ihm der Marx auch nicht", sagt er über den Vizepräsidenten des Bundestages, der im Herbst aus dem Parlament ausscheidet. Auftreten soll nach dem Willen der Rosa-Luxemburg-Stiftung möglichst auch Heiner Geißler von der CDU, Ex-Parteichef Lothar Bisky soll die Linke vertreten. Bereits verpflichtet wurde ein Marx-Kenner aus der Partei, der 200 Exemplare des Kommunistischen Manifests und des "Kapitals" in verschiedenen Sprachen gesammelt hat - er will eine Auswahl dieser Kollektion während des Festakts präsentieren.
Die Unesco sichert seit 1992 den Erhalt historisch bedeutsamer Dokumente vor dem Vergessen. Das Weltdokumentenerbe umfasst mittlerweile 299 Dokumente aus aller Welt. Deutschland ist mit 17 Einträgen vertreten. Darunter sind die Gutenberg-Bibel, die Neunte Symphonie von Beethoven sowie das "Nibelungenlied".