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Triebkreatur. Ein Vortrag von John Bock. Courtesy of Sprüth Magers
© Timo Ohler

John Bock in der Berlinischen Galerie: Apokalypse mit sauren Gurken

Der renommierte Performancekünstler John Bock zeigt mit „Im Moloch der Wesenspräsenz“ seine erste Solo-Schau in Berlin. Eine absurde Freakshow aus Installationen, Bühnenbildern und Filmen.

Dafür war es höchste Zeit. Seit Jahren lebt John Bock in der Stadt, doch noch nie ist er mit einer Einzelausstellung gewürdigt worden. In New York, Tokio, Los Angeles, auf diversen Biennalen, der Documenta war er zu sehen, nur in Berlin fehlt ihm die Solo-Schau. Gewiss, beim Preis der Nationalgalerie hatte er einen spektakulären Auftritt, als er sich durch ein Fenster der Kleihueshalle stürzte und von der Brücke auf einen Kanalkahn fallen ließ. Der Temporären Kunsthalle auf dem Schlossplatz bescherte er ein grandioses Finale mit einer von ihm kuratierten Gruppenausstellung. Und mit seiner Performance auf der ersten Berlin-Biennale vor bald 20 Jahren, kriechend durch Räume und Röhren, gehört er zu den ersten Künstlern des Booms, von dem die Stadt noch heute zehrt.

Ab Mitte der 90er zogen die „Children of Berlin“, so der Titel einer Wanderausstellung, dann durch die Welt, um das Kunstwunder kund zu tun. Höchste Zeit für eine Heimholung des Stars, der vor allem in der Ferne strahlt, und dazu ein passender Auftrag für die Berlinische Galerie, die seit ihrer Gründung vor Ort wirkende Künstler würdigt oder sich vergessener erinnert. Diese Sorge muss man bei Bock nicht haben. Der besitzt so viel Kraft, so viele Ideen, dass er die lange Eingangshalle locker in einen Parcours verrückter Fantasien verwandelt, den man in Erinnerung behält.

Die Offenbarung ist ein Kuli, der aus einer Wand ragt

„Im Moloch der Wesenspräsenz“ lautet der Titel für sein Tohuwabohu aus einander überlagernder Installationen, Performance-Settings, Bühnenbildern, Filmen, die dem Eintretenden entgegentösen, ihn in farbiges Licht tauchen, ihn tastend in Bewegung versetzen. Heiliger Bimbam, fährt es einem durch den Kopf angesichts des Spektakels und einer Vitrine nach Art von Beuys gleich zu Beginn. Darin befinden sich ein Kreuz, zwei Madonnen und Marmeladengläser. Der Jupp vom Rhein, der John aus dem Norden stehen sich erstaunlich nahe.

Ähnlich wie der große Schamane arrangiert sein jüngster Nachfolger Ensembles, die eine Aura haben, mystisch aufgeladen sind. Und wie bei Beuys braucht es auch bei Bocks Assemblagen den Künstler selbst, um sie zu animieren. So mag das Arrangement schal wirken, wenn Bock persönlich nicht zugegen ist und mit größter Liebenswürdigkeit seine Installationen erläutert. „Elf verschiedene Summenmutationen aus den letzten vier Jahren Wesenspräsens“ hat er vereint. Glücklicherweise steht er mittendrin und begeistert sich für das „schönste Objekt“ der Schau. „Das werdet Ihr nie wieder vergessen!“, verspricht er. Die Offenbarung ist ein Kuli, der aus einer Wand ragt. Seine Mine schiebt sich vor und zurück und gibt jedes Mal ein zartes „Klick“ von sich.

Ein groteskes Drama mit kathartischem Effekt

„Für ein Klick macht man viel,“ weiß Bock und dass ein solcher Glücksgriff nur alle zehn Jahre gelingt. Zusammen mit dem Knistern einer Plastiktüte, dem Klappern eines Kaffeebecherdeckels, dem Scheuergeräusch eines Topflappens über einem Schuh vereint sich das „Klick“ zum dadaistischen Sound-Gedicht, das mit einem Geruchsmix aus Heu und Shampoo in ein Separee geleitet wird. Dazu strömen Bilder von Fellinis „Casanova“ ein, in denen ein Stein eine wichtigen Rolle spielt. Am Eröffnungsabend sitzt Lars Eidinger darauf. Bock delegiert mittlerweile seine darstellerischen Auftritte an Schauspieler, die sich lustvoll in seinen Settings ausagieren. Beuys hatte damals noch selbst den Kojoten in Schach gehalten und dem Hasen die Kunst erklärt. Doch das war gestern.

Beide sind von ihrer Heimat geprägt: Beuys vom Niederrhein, dem katholischen Glauben und seinen Erfahrungen bei den Tataren nach dem Stuka-Sturz, Bock vom elterlichen Bauernhof im schleswig-holsteinischen Gribbohm. Nicht Filz, nicht Fett, sondern Kühe, landwirtschaftliches Gerät, saure Gurken in Socken kommen bei ihm vor. Auch Bock arbeitet sich an den großen Dingen des Lebens ab – Geburt, Tod, Liebesleid. Beuys besaß zwar Humor, komisch war seine Kunst dennoch nicht. Anders Bock. Bei ihm geht es hoch her. Im schlimmsten Fall wird der Widersacher mit dem eigenen Gedärm erwürgt, das der Hauptfigur gerade aus der Bauchwand quillt. Das mag brutal, grotesk, absurd sein, doch das Drama wirkt, der kathartische Effekt stellt sich durch die Übersteigerung ein.

Bock hält es mit Artauds Theater der Grausamkeit. Auf diese Weise versucht er „eine Wahrheit herauszukristallisieren oder herauszuschlonzen“. Seine Figuren – mit gepuderten Perücken bestückt, in Barock-Kostüme gekleidet und weiß geschminkt – richten Verwüstungen an. „Ich habe die Apokalypse auf den Punkt gebracht“, so Bock. „Jetzt ist sie konkret.“ Der Besucher folgt dieser Freakshow staunend. Häufig ist nicht zu verstehen, worum es gerade geht. Und doch meint man der Erkenntnis des Lebens ganz nah zu sein. In New York, Tokio, Venedig haben sie den Zipfel schon erwischt.

Berlinische Galerie, Alte Jakobstr. 124-128, bis 21.8.; Katalog 28 €.

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