Deutsche Oper: Sasha Waltz' "Roméo et Juliette": Am Ende siegt die Liebe
Der Zauber der ersten Liebe: Sasha Waltz ist mit „Roméo et Juliette“ an der Deutschen Oper zur dramatischen Sinfonie von Berlioz eine großartige Inszenierung gelungen.
Am Ende siegt die Liebe. Im Finale von Sasha Waltz’ Inszenierung „Roméo und Juliette“ zur dramatischen Sinfonie von Hector Berlioz sieht man lauter Paare, die sich innig umfassen. Eine Utopie, gewiss, doch von der Musik beglaubigt, die hier geradezu erhebend klingt. Sasha Waltz wirft nicht nur einen ganz eigenen Blick auf die unsterbliche Liebesgeschichte, ihre Inszenierung hat auch eine ganz eigene Aufführungsgeschichte.
Mit „Roméo et Juliette“ hat Sasha Waltz seinerzeit das Pariser Publikum erobert. Die Opéra Bastille Paris hatte die Deutsche 2007 beauftragt, eine Choreografie zur dramatischen Sinfonie „Roméo et Juliette“ zu entwerfen. 2012 übernahm das Ballett der Mailänder Scala die Arbeit. Dass das Stück nun endlich in Berlin zu sehen ist, ist ein Glücksfall. Die Choreografie der Berliner Version, gleichwohl eine Premiere, hat Sasha Waltz mit ihren eigenen Tänzern einstudiert – sie verleihen dem Werk eine fassbare Sinnlichkeit. Sechs Vorstellungen werden an der Deutschen Oper gespielt – danach wird die Inszenierung ins Repertoire übernommen.
Auch noch in anderer Hinsicht ist dies eine Premiere. Sasha Waltz, die auf der Suche nach Partnern in Berlin ist, kooperierte bislang mit der Staatsoper und mit den Berliner Festspielen. Nun hat sie zum ersten Mal mit der Deutschen Oper zusammengearbeitet. Der Generalmusikdirektor Donald Runnicles war wohl die treibende Kraft. Als er die Aufführung in Paris sah, war er so begeistert, dass er sich dazu entschloss, die Arbeit auch in Berlin zu zeigen. Die Werke des französischen Komponisten Hector Berlioz bilden einen Schwerpunkt an der Deutschen Oper Berlin – Runnicles ist ein ausgewiesener Berlioz-Experte.
Bei Berlioz gibt es keine Liebesduette
Da fügt sich „Roméo und Juliette“ gut ins Repertoire, zumal sich die Inszenierung durch ein ungewöhnliches visuelles Konzept auszeichnet. Sasha Waltz bricht mit tradierten Bildern und treibt die traurige Liebesgeschichte in die Abstraktion.
„Rausch des Glücks im Kampf mit der Raserei der Verzweiflung, wollüstige Liebesseufzer, verwandelt in Todesröcheln“ wollte Berlioz vertonen, als er 1839 „Roméo et Juliette“ komponierte. Der Komponist war nicht nur von Shakespeares Drama begeistert – auch eine damalige Darstellerin der Julia hatte es ihm angetan. Doch das Erstaunliche ist: Bei Berlioz gibt es keine Liebesduette – und von der Handlung wird nur nur so viel erzählt, wie es das Drama vorantreibt und für poetische Momente sorgt. Seine „Symphonie dramatique“ siedelte er vorbildlos zwischen Sinfonie und Oper an. Sie besteht aus einzelnen Bewegungen, reinen Instrumentalsätzen und gesungenen Teilen für Solisten sowie zwei Chören. Als Richard Wagner die dritte und letzte Aufführung der Sinfonie in Paris miterlebte, war er schwer angetan: „Die phantastische Kühnheit und scharfe Präzision, mit welcher hier die gewagtesten Kombinationen wie mit den Händen greifbar auf mich eindrangen, trieben mein eigenes musikalisches Empfinden mit schonungslosem Ungestüm scheu in mein Inneres zurück.“
Sasha Waltz' Berliner Paar ist hinreißend
Runnicles am Pult macht den Tänzern gleich Beine – der Prolog mit seinen Zweikämpfen und Antagonismen zieht sofort hinein ins Geschehen. Das Orchester malt die dramatische Liebesgeschichte in all ihren Facetten nuancenreich und sensibel aus. Zum Dahinschmelzen. Die Gesangssolisten Ronnita Miller und Thomas Blondelle hatten recht kurze Auftritte. Am überzeugendsten war der Bass Nicolas Courjal als Frère Laurent. Courjal, dem der Tänzer Orlando Rodriguez zur Seite gestellt ist, hat sich die Körpersprache von Sasha Waltz angeeignet und gibt den Mahnungen des Priesters mit wuchtigen Gesten eine große Vehemenz.
Am bewegendsten ist der von William Spaulding bestens vorbereitete Chor der Deutschen Oper, der sich vom leisen Raunen bis zur warm-voluminösen Klage steigert. Die Chorsänger verkörpern die verfeindeten Clans der Capulet und Montague und werden einbezogen ins szenische Geschehen.
Eine glückliche Hand hatte Sasha Waltz bei der Premieren-Besetzung. In Paris verkörperten Aurélie Dupont und Hervé Moreau, die beiden Superstars des Balletts, die Liebenden mit Zartheit und Eleganz – wie überhaupt die Inszenierung viel ballettöser anmutete. Doch auch das Berliner Paar ist hinreißend.
Die Israelin Yael Schnell und der Kubaner Joel Suaréz Gómez veranschaulichen den Magnetismus der Körper – die beiden können gar nicht genug voneinander bekommen. Sasha Waltz ersinnt hier eine reiche Palette an Berührungen, die weit über das hinausgeht, was das Ballett zu Romeo und Julia imaginiert hat. Die Tänzer verkörpern zudem auf glaubhafte Weise die extremen Gefühle: Verzückung und Verzweiflung, Zärtlichkeit und Raserei, Liebeslust und Todesverachtung.
Starke Bilder mit Romeo und Julia
Romeo und Julia ohne Balkon? Undenkbar. Waltz findet ihre eigene Lösung. Zunächst sieht man zwei schräge Ebenen, die gegeneinander verschoben sind. Wenn sich die obere Plattform ein Stück weit hebt, wird daraus der Balkon für die Liebesszene. Doch schon hier tut sich ein Riss auf. Wie Sasha Waltz den Zauber der ersten Liebe einfängt, ist wunderbar – auch wenn die „Scène d‘amour“ einige Längen hat.
Doch auch die vielen Trios, Quartette oder Zehnerketten auf der Schräge sind einfallsreich choreografiert und zeigen, wie schicksalhaft beide Familien miteinander verflochten sind. Und die Ballszene mit den maskierten Tänzern hat gar etwas Burleskes. Wenn Romeo von Julias vermeintlichem Tod erfährt, versucht er die steile Schräge zu erklimmen und rutscht ab. Für einige Sekunden bleibt die Musik still. Ein starkes Bild hat Waltz auch für die Beerdigungsszene. Die totgeglaubte Julia wird mit Kieselsteinen zugeschüttet, Steinchen für Steinchen legt Romeo dann den Körper der Geliebten frei.
Waltz folgt der romantischen Musik von Berlioz
Die Schlussszene interpretiert Sasha Waltz ganz klassisch: Der Opfertod von Roméo und Juliette ermöglicht erst eine Versöhnung. Die beiden Familien schwören, ein „Band zarter Liebe und brüderlicher Freundschaft“ zu knüpfen, als Père Laurent sie an die bedingungslose Zuneigung ihrer Kinder erinnert. Standen sich die schwarz und weiß gekleideten Chorsänger anfangs noch feindselig gegenüber, so gehen sie jetzt aufeinander zu und reichen sich die Hände.
Waltz folgt der romantischen Musik von Berlioz und bleibt doch ihrer abstrakten Bewegungssprache treu. Das Berliner Publikum kann sich am stimmigen Zusammenspiel der Musiker, Sänger und Tänzer erfreuen – wobei die Berliner Tänzer noch mal eine andere Farbpalette ins Spiel bringen. Der Einstand von Sasha Waltz an der Deutschen Oper ist geglückt. Es wäre schön, wenn dies der Beginn einer längeren Liaison ist.
Nächste Vorstellungen: am 20.4., 22.4., 28.4., 29.4. und 2.5., jeweils 20 Uhr, Deutsche Oper
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