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Sasha Waltz
© Bernd Uhlig

Roméo et Juliette: Die Unsterblichen

Jubel an der Bastille: Sasha Waltz choreografiert Hector Berlioz’ „Roméo et Juliette“ für die Pariser Oper. Eine Berlin-Paris-Berlin-Liebesgeschichte.

In einem Punkt hält Sasha Waltz es wie Pina Bausch: Sie choreografiert in der Regel nur für die eigene Company. Schließlich entstehen ihre Kreationen im engen Dialog mit den vertrauten, ja eingeschworenen Tänzern. Die einzige Ausnahme machte Sasha Waltz bislang für das Ballet de L’Opéra de Lyon, für das sie 2006 die 20-minütige Choreografie „Fantasie“ zur Musik Schuberts schuf.

Nun rollte die Opéra national de Paris den roten Teppich für sie aus, und Sasha Waltz hat nicht lange gezögert. Das Angebot, die dramatische Sinfonie „Roméo et Juliette“ von Hector Berlioz zu choreografieren, ist auch zu verführerisch. Zumal das Pariser Publikum geradezu auf die Deutsche gewartet zu haben scheint. Bei der Premiere am Wochenende in der imposanten Bastille-Oper waren die zehn Vorstellungen schon fast ausverkauft. Kurzum: Eine deutsch-französische, eine Berlin-Paris-Berlin-Liebesgeschichte ist anzuzeigen.

Nach Pina Bausch und Susanne Linke ist Sasha Waltz die dritte Deutsche, die für das traditionsreiche Ballett de L’Opera de Paris choreografiert. Der Berliner Anteil jedoch ist stark. Waltz erarbeitete zunächst sechs Wochen lang mit ihrer Company im Berliner Radialsystem das Material. Die drei Étoiles der Pariser Oper – Aurélie Dupont (Juliette), Hervé Moreau (Romeo) und Wilfried Romoli (Père Laurence) – kamen für die ersten Proben nach Berlin. Ab Mitte August probte Waltz in Paris mit den Solisten, dem Corps de Ballet, den Chören und dem Orchester der Oper. Mit ihrem bewährten Team: Das Bühnenbild entwarf sie gemeinsam mit Thomas Schenk und Pia Maier-Schriever. Und ihr großartiger Kostümbildner Bernd Skodzig durfte sich diesmal richtig austoben.

Auch wenn Waltz ihren vehement körperlichen, immens expressiven Bewegungsstil hier in ungewöhnlichen, geradezu monumentalen Dimensionen ausfalten durfte: Diese „Roméo et Juliette“ trägt eindeutig ihre Handschrift. Zugleich hat es eine solche Interpretation in der langen Geschichte der Ballett-Deutungen des Shakespeare-Dramas noch nicht gegeben. Bereits mit ihren ersten beiden Tanzopern „Dido and Aeneas“ und „Medea“ hatte die Choreografin gezeigt, welch wuchtige Impulse sie dem Musiktheater zu geben imstande ist.

„Rausch des Glücks im Kampf mit der Raserei der Verzweiflung, wollüstige Liebesseufzer, verwandelt in Todesröcheln ...“ wollte Berlioz vertonen, als er 1839 „Roméo et Juliette“ komponierte. Der Komponist war nicht nur von Shakespeares Drama begeistert – auch die damalige Darstellerin der Julia hatte es ihm angetan. Seine Komposition siedelte er vorbildlos zwischen Sinfonie und Oper an. Die dramatische Symphonie besteht aus einzelnen Mouvements, reinen Instrumentalsätzen und gesungenen Teilen für Solisten und zwei große Chöre.

Diesen extremen Gefühlen ist Sasha Waltz auf der Spur. Sie treibt das Geschehen beherzt in die Abstraktion der unsterblichen Liebesgeschichte. Die weiße Bühnenschräge auf schwarzen Grund wirkt wie zwei gegeneinander verschobene Blätter Papier. Später wird das obere Podest hochgeklappt, eine Wand, weiß mit schwarzen Farbspuren, schiebt sich zwischen die Liebenden. Der Hass zwischen den Clans der Capulets und Montagues flammt wieder auf.

Schon der Beginn reißt geradezu ins Geschehen. Die schwarz und weiß gekleideten Tänzer rennen aus entgegengesetzten Richtungen über die Bühne, kurze Kämpfe gehen in heiter-burleske Ballszenen über. Das Orchester (Leitung: Valery Gergiev) spielt hinreißend – die 100 Minuten dauernde Aufführung ist ein einziger Rausch. Enorm wirkungsvolle Gruppenszenen veranschaulichen die schicksalhaften Verkettungen der Figuren: Immer wieder vereinen sich die Tänzer zu einem Kollektivkörper, rollen in Wellen über die Bühne, stürzen ineinander wie Dominosteine. All diese Trios, Quartette, Quintette bilden raffinierte Körperarchitekturen mit sich kreuzenden Linien und Leidenschaften.

Die berühmte Balkonszene wird von Sasha Waltz umgedeutet. Von wegen Balkon: Die Liebenden begegnen sich auf Augenhöhe. Bei aller Scheu ergreift Juliette stärker die Initiative als Romeo. Die bezaubernde Aurélie Dupont wirkt hier auf einmal wie ein Mädchen von heute, behutsam nähern die beiden sich an, bis Julia sich in rückhaltlos in Romeos Arme wirft. Wunderbare Momente aus Zärtlichkeit, Hingabe, Verzückung, Verzweiflung. Der Pas de deux ist kein süßlicher Schwebetraum, sondern lässt erleben, wie Emotionen sich der Körper bemächtigen. Dann hebt sich das Podest, Julia schwebt über Romeos Kopf – die Angebetete ist nun entrückt, fern gerückt. Ein Riss tut sich auf.

Das stärkste Bild: die Sterbeszene. Die tot geglaubte Julia wird zunächst mit Steinen zugeschüttet, doch Steinchen für Steinchen legt Romeo das Gesicht der Geliebten frei, und die Liebe wird Beschwörung und unauslöschliche Erinnerung zugleich. Sasha Waltz eröffnet die Schichten dieses unsterblichen Mythos und legt ein pulsierendes Herz frei. Aurélie Dupont und Hervé Moreau beglaubigen die radikalen Gefühle. Um die toten Liebenden scharen sich im Finale lauter junge Paare, die sich innig umfassen. Vive l’amour! Und Jubel, Jubel, Jubel.

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