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Jungsfantasie. Die Inszenierung basiert auf dem Roman, der 2015 den Deutschen Buchpreis gewann.
© Barbara Braun/drama-berlin.de

Petras inszeniert Witzel: Als wir schäumten

Armin Petras bringt Frank Witzels Roman „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ auf die Schaubühne.

„Andreas Baader“, stellt uns Jule Böwe als Kleinstadt-Teenie in der Schaubühne ihren Spielzeugkasten vor, „ist mein wertvollster Ritter, weil er eine schwarzglänzende Rüstung hat“. Weit abgeschlagen dagegen: Gudrun Ensslin, „eine Indianersquaw aus braunem Plastik, die ich eigentlich nicht besonders mag, weil sie gar keine Details hat.“ Immerhin: „Es ist die einzige Frau bei den Figuren.“

Armin Petras hat sich in der Schaubühne Frank Witzels gefeierten und mit dem Deutschen Buchpreis 2015 ausgezeichneten Roman „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ vorgenommen. Letztes Jahr hatte der Ex-Gorki- und aktuelle Chef des Schauspiels Stuttgart die 60er mit seiner Christa-Wolf-Inszenierung „Der geteilte Himmel“ bereits aus ostdeutscher Perspektive reanimiert.

Jetzt folgt also der entsprechende Exkurs West – bei dem es sich, gemessen am Umfang der Vorlage, freilich nur um einen Kurztrip handeln kann.

Aus Witzels Wälzer wird ein 140-Minüter

Witzels 800-Seiter aus der Sicht eines Teenagers, dem die tagesaktuellen Polit- wie Pop-Ereignisse mit dem eigenen Schul- und Familienalltag, katholische Prägung inklusive, zu einem luziden Konglomerat der bundesrepublikanischen Mentalität gerinnen, schnurrt in der Schaubühne auf pausenlose 140 Minuten zusammen. Verluste sind da einkalkuliert: Während Witzels Text stilistisch wie inhaltlich ständig auswuchert, konzentrieren sich Petras und die Dramaturgin Maja Zade in ihrer Bühnenfassung tatsächlich aufs Adoleszenz- und geschichtsfitte Fantasiemoment des Durchblicker-Teenagers, der auf einen Zusammenbruch nebst Sanatoriumsaufenthalt zusteuert.

Die Bühnenbildnerin Katrin Brack hat auf dem weiträumigen Szenario knappe drei Dutzend Schaufensterpuppen verteilt: Lauter adrett gekleidete Erstarrtheits-Ikonen jenes Spießer-„Muffs“, von dem nicht nur der Roman, sondern auch der Philosoph Ernst Bloch im Programmheft treffend zu berichten weiß – und der bei Armin Petras in vergleichsweise unmuffiger Heiterkeit daherkommt. Denn diese Teenie-Fantasiewelt, mit der Witzel den Status quo zur Kenntlichkeit entstellt, bietet Petras’ Schauspieler-Quintett die üblichen Steilvorlagen für Figuren-Karikaturen, wie man sie schon oft in Petras-Inszenierungen gesehen hat.

Die Stuttgarter Rockband Die Nerven begeleitet das Geschehen live

Jungsfantasie. Die Inszenierung basiert auf dem Roman, der 2015 den Deutschen Buchpreis gewann.
Jungsfantasie. Die Inszenierung basiert auf dem Roman, der 2015 den Deutschen Buchpreis gewann.
© Barbara Braun/drama-berlin.de

Julischka Eichel zum Beispiel turnt sehr brillant eine ostdeutsche (Partei-)Soldatin an die Rampe, die den westlichen Klassenfeind nicht nur mit verbissenen Beinhebefiguren, sondern auch mit einem schier unerschöpflichen Reservoir an Marzipanersatzrezepten in die Knie zu zwingen gedenkt. Peter René Lüdicke versenkt unterdessen Beicht- und andere Vaterfiguren tief in der nicht ganz ungefährlichen Grenzregion zwischen Lächerlichkeit und Debilität, während sich Jule Böwe als Protagonisten-Mutter trefflich bademanteldepressiv übers Szenario schiebt oder auch mal Ulrike Meinhofs Warenhausbrandstiftungstheoreme zitiert. Tilman Strauß und Paul Grill loten unterdessen als bevorzugte Ich-Erzähler gleichermaßen überzeugend die Teenie-Comic-Oberfläche wie den einen oder anderen darunter liegenden Abgrund aus.

Jeweils unter vielem anderen natürlich. Denn die zurzeit gängigste Romanadaptionspraxis – mehrere Akteure teilen sich in den episch belassenen Text und basteln zwischen diversen (Nach-)Erzählpassagen hier und da mal eine längere dramatische Spielsituation draus – gilt prinzipiell auch hier. Dass sich das unzäher wegguckt als an vielen Vergleichsabenden, die die Berliner Bühnen in letzter Zeit sehr freigiebig geliefert haben, liegt auch daran, dass sich neben den Schauspielern die junge Stuttgarter Rockband Die Nerven live verausgabt. Dazu werden gern auch mal Ikonen aus dem kollektiven Sixties-Bildgedächtnis wie der legendäre Kommune-1-Akt nachgestellt, während die „echte“ Zeitgeschichte zusätzlich in Doku-Schwarzweiß über eine Leinwand rauscht.

Vieles wirkt seltsam bekannt

Und je mehr es rauscht und rauscht, desto bekannter kommen einem irgendwie auch all diese Bühnenfiguren vor. Allerdings weniger aus der Zeit- als vielmehr aus der jüngeren (Berliner) Theatergeschichte. Ist dieser irgendwo zwischen Vopo und verbohrtem Gymnasiallehrer angesiedelte Autoritätsclown, den Lüdicke da mal in die Runde grimassiert, nicht geradewegs aus Armin Petras’ „Rummelplatz“-Adaption hereingestiefelt, die vor sieben Jahren am Gorki Premiere hatte? Und diese sympathisch-spitzbübischen, wiewohl durchaus gewaltbereiten Jugendlichen, die da so abendfüllend vor Autoritäten und anderen Daseinszumutungen abhauen: Sind das nicht die aus Clemens Meyers Roman „Als wir träumten“, den Petras sich vor acht Jahren vorgeknöpft hatte? Kurzum - und frei nach Lothar Matthäus: BRD oder DDR - Hauptsache Theater. Untergegangen sind sie mentalitätsgeschichtlich schließlich irgendwie beide.

Gerade ist Armin Petras mit „Buch (5 ingredientes de la vida)“ unter seinem Pseudonym Fritz Kater in München und Stuttgart selbst wieder ein grandios präzises Ost-West-Drama gelungen, das im Mai zu Recht bei den Mülheimer Theatertagen, vertreten sein wird. Schade, dass er bei dieser Romanadaption in ein so unspezifisches Irgendwie-damals-Feeling rutscht. Andererseits: Dem Strahlen Frank Witzels nach zu urteilen, der sich beim Schlussapplaus bei jedem Schauspieler einzeln bedankte, kann man das beruhigenderweise auch anders sehen.

Wieder, 11./12.4., 20.30 Uhr, 8.5., 20 Uhr

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