zum Hauptinhalt
Menschliche Gefühle, künstliche Welten. Alicia Vikander in Alex Garlands Film „Ex Machina“ (2015).
© Alamy Stock Photo/Mauritius

Yuval Noah Hararis Buch "Homo Deus": Abschied von der Seele

Chancen und Horror der Selbstoptimierung: Yuval Noah Harari entwirft in seinem Buch "Homo Deus" das Bild eines neuen Menschen.

Endlich einmal eine positive Meldung: „Zu Beginn des 21. Jahrhunderts stirbt der Durchschnittsmensch mit größerer Wahrscheinlichkeit, weil er sich bei McDonald’s vollstopft, als durch eine Dürre, Ebola oder einen Anschlag von al Qaida.“ Ob Hunger, Seuchen oder Gewalt: Der Menschheit, schreibt der israelische Historiker Yuval Noah Harari, sei es gelungen, die Nöte und Schrecken, die sie Zehntausende von Jahren ständig begleitet haben, weitgehend zu bannen. Die große Mehrheit jedenfalls bleibt heute verschont.

Worin begründet sich die unerhörte Erfolgsgeschichte unserer Gattung? Viele Tiere haben Fähigkeiten und Sinnesorgane, mit denen sie uns übertreffen. Der Mensch aber ist ihnen als soziales Wesen überlegen. Er entwickelt hochkomplexe Formen der Kooperation, der Imagination und der symbolischen Ordnung, er webt Geschichten über Götter und Geld, Nationen und Unternehmen. Ohne solche kollektiven Fiktionen und Glaubenssysteme könnte die menschliche Gesellschaft nicht funktionieren. Heute liege die heiße religiöse Zone nicht in Israel oder Mekka, in Rom oder auf dem Territorium des Islamischen Staates, sondern im Tal von Silicon. Den neuen Glauben, an dem unter kalifornischer Sonne mit Inbrunst gearbeitet wird, nennt Harari Dataismus. Er werde die unsere Gegenwart immer noch bestimmenden „Fiktionen“ des Humanismus ablösen. Das ist die weniger gute Meldung.

Harari machte 2011 mit seiner "Kurzen Geschichte der Menschheit" Furore

Yuval Noah Harari, 1976 in Haifa geboren, ist eigentlich ein Spezialist für die Militärgeschichte des Mittelalters. 2011 aber veröffentlichte er ein Buch voller Aha-Effekte und verblüffender Zusammenhänge, das ihn weltberühmt machte: „Eine kurze Geschichte der Menschheit“. Sein neues Werk verlängert die großen Perspektiven nun in die Zukunft. „Homo Deus“ ist ein erstaunlicher, ironisch funkelnder Abgesang auf alles, was uns lieb und vor allem wert ist: Individualismus, Seele, freier Wille.

Diese humanistischen Größen, schreibt Harari, seien schon gestürzt durch die Entwicklung der Biowissenschaften; viele hätten es bloß noch nicht mitbekommen. Wir sind nicht Herren im Haus unseres Hirns; die Selbstwahrnehmung ist oft so trügerisch wie die Konstruktionen der Erinnerungen, die die Identität des (vermeintlichen) Individuums zusammenhalten. Überhaupt das Bewusstsein – es wird von Harari abgetan als „biologisch nutzloses Nebenprodukt bestimmter Gehirnprozesse. Die Triebwerke eines Flugzeugs machen einen Riesenkrach, aber es ist nicht der Lärm, der das Flugzeug antreibt.“ Sicher, da ist Lust an der Pointe im Spiel, was den Grundbefund aber nicht ändert: Das Ich, das in seinem Übermut meint, bei ihm liefen die Fäden zusammen, ist eine Einbildung.

Harari betreibt fröhliche Wissenschaft im Stil der „Big History“, einer kühnen Interdisziplinarität, die den Bogen von der Geschichte ber die Anthropologie bis zu den Naturwissenschaften spannt und auch alle anderen nützlichen Denkansätze willkommen heißt. Über weite Strecken liest sich das Buch wie eine geistreiche und gewitzte Plauderei, es ist eine Wundertüte voller Einsichten und Erkenntnisse. Der Argumentationsgang ist aber nicht immer leicht nachzuvollziehen, denn der Autor holt weit aus und ergeht sich in vielen Abschweifungen.

Erkenne dich selbst. Kann der Algorithmus das bald besser?

Vier Fünftel dieser „Geschichte von Morgen“ – so der Untertitel – sind der Analyse der Vergangenheit und Gegenwart gewidmet. Erst auf den letzten hundert Seiten ertönt die lang vorbereitete Zukunftsmusik. Und die klingt so: Der Mensch hat eine Geschichte wachsender Selbstermächtigung vollzogen; er ist zum „Homo Deus“ geworden. Um nun allerdings zum Auslaufmodell zu werden. Der Versuch, den humanistischen Traum zu verwirklichen, hat wissenschaftliche Kräfte erzeugt, die posthumanistische Technologien entfesseln.

Wenn jedes Lebewesen einschließlich seiner Emotionen und Wünsche eine evolutionäre Ansammlung von Algorithmen und biochemischen Systemen ist, dann erscheint es nur logisch, dass die technische Entwicklung irgendwann Algorithmen erzeugt, die den Menschen gründlicher verstehen, als der sich selbst.

Wenn Maschinen all unsere Daten haben, können sie für uns entscheiden

Wenn Maschinen mit immer mehr Daten über unsere Körperfunktionen, unsere Gewohnheiten, unser Kaufverhalten, unsere Ortsveränderungen, unsere Kontakte gefüttert werden, dann können sie ab einem gewissen Punkt besser für uns entscheiden, als wir selbst. Der Liberalismus, schreibt Harari, werde „an dem Tag zusammenbrechen, an dem das System mich besser kennt, als ich mich selbst.“ Es ist der Übergang vom homozentrischen zum datazentrischen Weltbild.

Die künstliche Intelligenz werde eines Tages so überlegen sein, dass wir und unsere bescheidenen Fähigkeiten entbehrlich werden. Verkäufer, Taxi- und Lastwagenfahrer oder Reisebürofachleute – das sind nur einige der Berufe, die bald schon der Automatisierung zum Opfer fallen, prophezeit der Autor. Amazon testet gerade Läden, in denen es keine Kassen mehr gibt und in denen die Regale von Robotern aufgefüllt werden. Selbst fahrende Autos sind in der Entwicklung und für alle, die nicht viel können außer Auto fahren, ein Schreckensszenario.

Finsteres Szenario: hier die optimierten Superreichen, da die Überflüssigen

Die Menschheit werde sich teilen in den Homo Deus und den Homo nutzlos. Hier die rundum optimierten, sich ihrer Langlebigkeit erfreuenden Superreichen, die über die technische Entwicklung verfügen, dazu einige hochkompetente Dienstleister – dort die Mehrheit der Überflüssigen, die womöglich aus bloßer Menschenfreundlichkeit mit dem Lebensnotwendigen sowie mit Drogen und Spielen zum Zeitvertreib versorgt werden. Ob die Werte der Gleichheit, der Menschenrechte und des Humanismus in dieser schönen neuen Welt noch aufrechtzuerhalten sein werden – das ist die beklemmendste Frage, die Harari stellt. Denn in ihrer Genese waren diese Werte mit der gesellschaftlichen Nützlichkeit verbunden. Ihr Siegeszug hatte „damit zu tun, dass es politisch, wirtschaftlich und militärisch durchaus Sinn hatte, jedem Menschen einen Wert zuzuschreiben“.

Wird unser Glaube an Demokratie und Menschenrechte in hundert Jahren also bereits unverständlich erscheinen? Menschen, weiß der Historiker, weben Sinngeflechte, nehmen sie bitter ernst, doch nach einiger Zeit zerfallen diese Sinngeflechte, und die Nachgeborenen können nicht mehr verstehen, wie sich jemand zum Beispiel auf einen Kreuzzug begeben konnte, weil er das für eine fromme Pflicht hielt und seine Seele damit in den Himmel zu befördern glaubte. Oder, etwas gegenwartsnäher: „Wie kann es sein, dass die Menschen vor dreißig Jahren bereit waren, den atomaren Holocaust zu riskieren, weil sie an ein kommunistisches Paradies glaubten?“

Hararis Buch ist kein Prognose, sondern eine Darlegung von Optionen

Mag sein, dass Yuval Noah Harari die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz zumindest der nächsten Jahrzehnte überschätzt und ein wenig zu sehr ins Fabulieren gerät. Ein gewisses Misstrauen gegenüber seiner flotten Interdisziplinarität ist angebracht. Widerspruch ist aber durchaus gestattet, denn Harari versteht sein Szenario nicht als Prognose, sondern als Darlegung von Möglichkeiten. Es muss nicht so kommen. Aber allein die Denkmöglichkeit ist irritierend genug.

Yuval Noah Harari: Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen. Aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn. C.H. Beck, München 2017. 577 S., 24,95 €.

Zur Startseite