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Sitz des Bewusstseins. Das Gehirn erzeugt unser Ich-Gefühl. Wie das geschieht, ist Gegenstand heftiger Debatten.
© REUTERS

Hirnforschung: Das Rätsel Bewusstsein – bald gelöst?

Für die einen ist es eine Illusion, für die anderen eine Karikatur: Hirnforscher und Philosophen versuchen, das menschliche Bewusstsein zu ergründen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hartmut Wewetzer

Das menschliche Bewusstsein ist vielleicht das letzte große ungelöste Rätsel unserer Existenz. Möglicherweise werden wir nie aufklären, worin seine Besonderheit besteht. Also jenes Gefühl der Selbstwahrnehmung, der inneren Freiheit, des Lebens in der ersten Person. Vielleicht ist der Naturwissenschaft grundsätzlich der Zugang zu dieser Sphäre des Persönlichen verwehrt. Vielleicht wird sie nie erklären können, woher dieses Ich-Gefühl rührt.

Das jedenfalls ist die skeptische Position, wie sie etwa der australische Philosoph David Chalmers vertritt. Andere, wie sein amerikanischer Kollege Daniel Dennett, sind weniger pessimistisch. Dennett hält das Bewusstsein für eine „Illusion“. Das menschliche Gehirn hat es erzeugt, um eine „nutzerfreundliche Bedieneroberfläche“ zu haben. Unser Bewusstsein ist aus seiner Sicht eine Trugwahrnehmung, entfernt vergleichbar einer optischen Täuschung – oder der Bildschirmoberfläche eines PCs oder iPads. „Wenn du wirklich wissen willst, was los ist, musst du hinter die Kulissen sehen“, sagt Dennett. Neue Methoden der Hirnforschung werden Licht ins Dunkel bringen, ist er überzeugt.

Einer, der das versucht, ist der Hirnforscher Michael Graziano von der Universität Princeton. Wie Dennett hat er einen betont nüchternen Blick auf das Bewusstsein. Es hat für ihn nichts Geheimnisvolles. Und es grenzt an Provokation, wenn er derzeit favorisierte Erklärungsversuche für das Bewusstsein in der Luft zerreißt, weil sie in ihrer Naivität mittelalterlicher Unbedarftheit ähnelten, wie er in einem Beitrag für das Magazin „The Atlantic“ schreibt.

Da ist etwa die Oszillationstheorie. Sie besagt, dass Nervenzellen des Gehirns, die im Gleichtakt schwingen (oszillieren), auf diese Weise Bewusstsein erzeugen. Fühlt sich irgendwie gut und richtig an, aber erklärt nichts, sagt Graziano. Nach einer anderen Theorie entsteht Bewusstsein, wenn im Gehirn verstreute Informationen zu einem „Ganzen“ verknüpft werden. Klingt ebenfalls überzeugend, doch bleibt im Dunkeln, wie die „integrierte Information“ – so der Name der Theorie – zu Bewusstsein führen könnte.

Information erzeugt Bewusstsein - irgendwie

Und schließlich ist da die Idee, dass Bewusstsein eine elementare Eigenschaft von Information ist. Je mehr Information ineinanderfließt, desto reichhaltiger ist die bewusste Erfahrung. Diese Annahme hat zur Folge, dass das ganze Universum Bewusstsein hat, denn es steckt voller Information. Damit bleibt das Phänomen des Bewusstseins unergründlich.

Diese Theorien führen auch deshalb in die Irre, weil sie zu sehr auf Intuition setzen. Sie bleiben im Bewusstsein gefangen, statt darüber hinauszugehen. Denn dieses ist in Wirklichkeit eine Karikatur, sagt Graziano. Es ist ein vom Gehirn konstruiertes ungenaues und verzerrtes Bild der Wirklichkeit. Aber von welcher Wirklichkeit?

Der Wissenschaftler sieht im Gehirn einen Bio-Computer. Der verarbeitet Informationen, die ihm aus der Außenwelt oder anderen Hirnregionen zugeleitet werden. Diesen Prozess schreibt das Gehirn sich selbst zu. Das Ergebnis ist Bewusstsein.

Blick in den Spiegel: Das Gehirn beobachtet sich selbst

Graziano nennt seine Annahme die „Aufmerksamkeits-Schema-Theorie“ des Bewusstseins. Ein Beispiel: Eine Person, nennen wir sie Bill, schaut auf einen heißen Becher Kaffee, der vor ihm steht. Er widmet ihm seine freudige Aufmerksamkeit. Dabei wird er von einer anderen Person, Abel, beobachtet. Abel registriert, dass Bill sich auf seinen Kaffee konzentriert und womöglich gleich an ihm nippen wird.

Dieser Vorgang – jemand liest die Gedanken und Absichten eines anderen Lebewesens – markiert einen wichtigen Schritt in der Evolution. Einem anderen Wesen wird eine Form von Bewusstsein zugeschrieben. Graziano überträgt nun diesen Prozess auf die Selbstbeobachtung des Gehirns. Es betrachtet sich selbst beim Denken und erschafft so das Selbst-Bewusstsein.

Eine große Stärke der Theorie ist, dass sie Bewusstsein als einen aus der Evolution abgeleiteten Prozess zu erklären versucht. Es ist nicht vom Himmel gefallen, sondern hat sich schrittweise entwickelt und ist vermutlich auch in anderen Tieren vorhanden. Wie sich Bewusstsein für uns anfühlt, ist vor diesem Hintergrund eher zweitrangig. Auch der Duft von heißem Kaffee ist ja durchaus magisch – auch wenn er nur auf Geruchsnerven in der Nase beruht, die angeregt werden.

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