Berliner Schnauzen: Zum Fressen gern
Einer Buntmarder-Mutter mit ihrem Baby sollte man lieber nicht zu nahe kommen. Wittert sie Gefahr, kann es grausige Folgen haben.
Der Wind muss bereits stark gewesen sein in jener Nacht, als das Drama seinen Lauf nahm. Im Tierpark, direkt neben dem Wolfsgehege, bringt Buntmarder-Weibchen Marta ein schwarz-orangenes Fellknäuel zur Welt. Ein Zuchterfolg zeichnet sich ab. Doch dann schlägt Orkan „Niklas“ mit voller Wucht zu. Windböen mit über 100 Kilometern pro Stunde fegen durch die Straßen, Bäume knicken um, im Tierpark fliegen Ziegel der Betriebsgebäude durch die Luft, zerbersten am Boden und an den Gehegen. Für Marta ist das zu viel. Am nächsten Morgen machen die Tierpfleger einen grausigen Fund: Das Baby liegt tot in seinem Nest.
„Wenn Buntmarder-Mütter bei der Geburt oder in den Wochen danach gestört werden, töten sie ihre Kinder, meist fressen sie sie sogar auf“, sagt Säugetier-Kurator Florian Sicks. Er steht vor dem Schauplatz des Dramas von jener Märznacht 2015. Auf einem Ast im Gehege hängt der rosa glänzende, gehäutete Kadaver einer Maus, Buntmardermännchen Oleg hat sich über ihn gebeugt, reißt mit seinen Zähnen kleine Bissen aus dem Fleisch. Oleg und Marta sind Raubtiere. Bei Gefahr die eigenen Kinder zu töten, passt zur Logik der Jäger: Die Mütter gehen davon aus, dass den Kindern ohnehin der Tod droht. Es ergibt also keinen Sinn, sie einem Eindringling zu überlassen.
Sein Äußeres lässt vermuten, dass der Buntmarder eine bedrohte Tierart ist: Kopf und Rücken sind fast schwarz, der Rest des Fells am Körper ein einziger, gleichmäßiger Übergang zu leuchtendem Orange – gäbe bestimmt einen schicken Pelzmantel her. Doch wer Oleg und Marta im Tierpark beobachtet, versteht, warum sie für ihren Pelz kaum gejagt werden.
In einem kleinen Raum haben Pfleger Kisten und Bastkörbe aufgehängt
Eine schwarze Maus in der Schnauze, trabt Oleg minutenlang auf dem Boden durchs Gehege. Als wäre er stolz darauf, das tot verfütterte Tier gefunden zu haben. Doch um die Beute zu zerlegen, klettert er flink auf einen Ast und von dort auf einen Felsen unter dem Dach. Dasselbe passiert, wenn die Buntmarder verunsichert sind oder schlafen wollen. Die bis zu 1,30 Meter großen Tiere sind dank ihres langen Schwanzes und ihrer kräftigen Tatzen gute Kletterer: Sie zu jagen, wäre in freier Wildbahn mühsam.
Dank seiner Anpassungsfähigkeit verbreitete sich der Buntmarder über ein riesiges Gebiet. Es reicht heute von Ostsibirien bis nach Nepal, Südostasien und Indonesien. Ein Zeichen dafür, dass es der Population nicht schlecht gehen kann, wie Florian Sicks sagt.
Buntmarder zu züchten wäre aus Sicht der Artenerhaltung zwar nicht nötig. Dennoch versuchte es Sicks mit seinen Mitarbeitern und ist stolz darauf, dass Marta und Oleg 2014 und 2016 erfolgreich Nachwuchs zeugten. Das Geheimnis des Erfolgs befindet sich direkt hinter dem Buntmardergehege: Ein kleiner Raum, in dem verschiedene Kisten, Bastkörbe und andere Nistmöglichkeiten aufgehängt sind. In diese ruhige Geburtssuite zieht sich die trächtige Fähe zurück, wenn die Paarungszeit vorüber ist.
Ab März leben Oleg und sie für den Rest des Jahres getrennt. Bis die Jungen die Suite im Sommer fast ausgewachsen verlassen, betreten diese nicht mal mehr die Pfleger, der Weg vor dem Gehege wird für Fahrzeuge gesperrt. Niemand will riskieren, dass sich wiederholt, was in der Orkannacht geschah.
BUNTMARDER IM TIERPARK
Lebenserwartung: bis 14 Jahre
Interessanter Nachbar: Südafrikanischer Löffelhund, Rotluchs
Alle Folgen Berliner Schnauzen gibt's hier
Florian Niedermann