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Happy Hour. Frauen haben ihren Alkoholkonsum nahezu dem der Männer angeglichen. Früher war Trinken eher Männersache.
© imago/Ikon Images

Wie die Alkoholindustrie umsteuert: Immer leichter, immer mehr

Deutsche Alkoholhersteller verkaufen weniger als damals, etwa in den wilden Neunzigern. Deshalb umwerben sie eine spezielle Zielgruppe ganz besonders: Frauen. Und die trinken mehr denn je.

Von Ronja Ringelstein

Der Alkoholindustrie ging es schon mal besser. Trinken ist out, ähnlich wie das Rauchen. Ein gesunder Lebensstil ist in. Das macht der Branche zu schaffen. In den Hochzeiten der Spirituosenwirtschaft Anfang und Mitte der 1990er Jahre machten mehr als hundert Betriebe in Deutschland vier Milliarden Jahresumsatz – heute erwirtschaften 50 Betriebe (mit mindestens 20 Mitarbeitern) noch etwa 2,3 Milliarden Euro, wie die aktuellsten Zahlen des Bundesverbandes der Deutschen Spirituosen-Industrie (BSI) zeigen. Auch die Bierwirtschaft verzeichnet geringere Umsätze. Viele Alkoholhersteller steuern um, haben inzwischen auch Limonaden und Saft im Angebot. Andere dagegen setzen auf eine bestimmte Zielgruppe: Frauen.

Frauen trinken heute nahezu so viel wie Männer

Damit treffen sie einen Nerv in der Gesellschaft. Denn Frauen jüngerer Altersgruppen trinken inzwischen nahezu so viel Alkohol wie Männer. Das zeigt eine Studie, die Forscher der Universität in New South Wales in Australien Ende Oktober veröffentlicht haben. Die Untersuchung stützt sich auf Forschungsergebnisse aus 1948 bis 2014 und beleuchtet Trinkgewohnheiten von rund vier Millionen Menschen, überwiegend aus Europa und Nordamerika. Während die Männer ihren Konsum zurückgefahren haben, haben die Frauen ihren ausgebaut.

Die Alkoholindustrie hat Frauen schon lange als Kundinnen entdeckt. Die Werbung schnitt sie in einigen Sparten deshalb regelrecht auf sie zu. Ganz vorne liegen da, wenig überraschend, die Sektmarken. Wein und Schaumweine verzeichnen laut BSI-Daten übrigens Umsatzsteigerungen. Heute verbindet man in aller Regel Sekt mit Weiblichkeit. Dabei war das mal anders. „Sekt war früher auch ein Herrengetränk. Fürst Metternich zum Beispiel war eher die alte Adelsfraktion, ein bisschen steif und nur für festliche Anlässe“, sagt Nicole Hanisch, Marktforscherin beim Rheingold Institut in Köln.

Seitdem sei der Alkoholgehalt immer weiter zurückgefahren worden, Flaschen wurden rosafarben. „Der Sekt hat eine richtige Verweiblichung erlebt“, sagt Hanisch. Auch das Frauenbild habe sich verändert, konnte Hanisch mit ihrer Forschung feststellen. Und erinnert an die Frau, die während eines Werbespots mitten in der Nacht in einem Hof saß, wild auf dem Schlagzeug trommelte und rief: „Wo ist der Deinhard?“ Für die Frauen heute – aus Marketingsicht – viel zu emanzipiert. Eine Frau, die auf den Putz haut? „Heute spricht das Frauen nicht mehr an“, sagt Hanisch. Feminismus in dieser „laut selbstbestimmten Form“ werde oft negativ gesehen, das mache keinen Spaß, heute sei Mädchenhaftigkeit gefragt. Gelöstheit, Freisein, Abschalten.

Alkoholwerbung wirkt - aktuelle Studien zeigen das

Was war zuerst da – die kichernde Mädchenhaftigkeit der Frauen oder die Werbung, die den Frauen dieses Image einredet? So oder so: Die aktuelle Strategie der Werbung scheint aufzugehen. Studien des Instituts für Therapie- und Gesundheitsforschung (IFT-Nord) in Kiel zeigten, dass Alkoholwerbung auf Frauen ebenso stark wirkt wie auf Männer. Und auch, dass sie überhaupt wirkt, testete man an jugendlicheren Gruppen, die vorher noch nie mit Alkohol in Berührung gekommen sind. „Alkoholwerbung hat sehr großen Einfluss auf das Trinkverhalten der Jugendlichen“, sagt Reiner Hanewinkel vom IFT-Nord. Die Jugendlichen, die Alkohol-Werbung gesehen haben, hatten in den Monaten danach deutlich eher einen Rausch als die Vergleichsgruppe. Da gab es zwischen Männern und Frauen keinen Unterschied. Die Werbeausgaben für alkoholhaltige Getränke stiegen seit 2003 mit 518 Millionen Euro auf 544 Millionen Euro letztes Jahr an.

Wieso sich Frauen im Trinkverhalten den Männern angenähert haben, darüber könne man nur spekulieren, sagt Hanewinkel. Doch: „Es ist nicht genetisch bedingt, so viel ist sicher. Das heißt, es hat rein soziale Gründe.“ Die Geschlechter hätten sich in vielerlei Hinsicht angeglichen. „Die Gesellschaft stellt die gleichen Erwartungen an Frauen wie an Männer in Beruf und Familie“, sagt Hanewinkel. Frauen haben heute die gleichen Jobs, den gleichen Stress und die gleichen sozialen Verpflichtungen.

Das Image: Mädelsabend-Stimmung und viel Gekicher

Ein anderer Grund sind speziell auf Frauen zugeschnittene Alkoholprodukte und geschickte Werbekampagnen. Der zuckrige Baileys-Likör etwa verbindet beides und sponserte über Jahre die – überwiegend bei Frauen beliebte – Serie „Desperate Housewifes“. Und vor, während und nach der Ausstrahlung einer Folge der Serie „Sex and the City“ auf dem als „Frauensender“ geltenden Kanal „Sixx“ läuft dreimal der aktuelle Werbespot von „Jules Mumm“ – mit Mädelsabend-Stimmung und viel Gekicher.

Während die Sekthersteller und Zuckerlikörproduzenten das Werben um weibliche Kundinnen beherrschen, sprechen die „klassischen“ hochprozentigen Spirituosen wie Whiskey immer noch überwiegend männliche Konsumenten an. Bierwerbung ist hingegen gezielt an beide Geschlechter gerichtet. „In der Werbung werden Alkoholkonsum und Party miteinander verknüpft. Alkoholwerbung ist Imagewerbung. Es geht nicht um das Produkt an sich“, sagt Hanewinkel. Beim Alkoholtrinken geht es um das gemeinsame Erleben von Leichtigkeit, die gute Laune – und den Flirt.

Wird der Nachmittagsdrink (wieder) salonfähig?

Darin sieht Frank Schübel, Vorstandssprecher der Firma Berentzen, den Schlüssel für die Alkoholindustrie – beide Geschlechter gleichermaßen anzusprechen. „Wenn Sie versuchen, einen neuen Drink nur für Frauen oder nur für Männer zu konzipieren und andere Zielgruppen bewusst ausgrenzen, wird das nicht funktionieren“, glaubt Schübel. Er trat im November 2012 in den Vorstand der Berentzen-Gruppe, die wie die meisten Betriebe der Spirituosenindustrie mit Umsatzrückgang kämpfte. Den früher bei Jugendlichen beliebten Klassiker, den Apfelkorn, würden die jungen Leute heute kaum kennen, sagt Schübel.

Dafür aber die „Mio Mio Mate“-Limonade auf Teebasis. So geht das Unternehmen in eine ganz andere Richtung: alkoholfrei. Die letzten Quartalszahlen stellten Schübel zufrieden. Der Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit) stieg um fast 49 Prozent auf sieben Millionen Euro. Doch Berentzen und Puschkin seien immer noch die Kernmarken. Auch hier musste man umdenken. Eines der neueren Getränke, der „Apple Bourbon“, enthält mit 28 Volumenprozent deutlich weniger Alkohol als normaler Whiskey.

„Man versucht heute, die Getränke leichter zu machen, mit weniger Alkoholgehalt. So wird auch die Stimmung, die die Werbung vermittelt, leichter“, sagt Marktforscherin Hanisch. Auch bei den Sektmarken sei das zu beobachten, die so zu „jeder Gelegenheit“ trinkbar sein sollen. „Ich brauche weder einen steifen Anlass, noch muss ich auf den Abend warten. Ich kann das einfach mal kurz nachmittags in der Sonne trinken“, sagt Hanisch. Das zumindest vermittle die Werbung. Den Nachmittagsdrink salonfähig zu machen, käme der Alkoholindustrie in diesen Zeiten gerade recht.

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