Die Ex-Chefin der „Washington Post“: Wie Katharine Graham zur einflussreichsten Verlegerin der USA wurde
Lange war sie nur die Frau an der Seite ihres Mannes – später galt ihr Haus als Zentrum Washingtons. Diese Woche läuft Steven Spielbergs Film über Katharine Graham an.
Mrs. Graham war beschäftigt. Sie musste ihre vier Kinder kutschieren und bei sportlichen Wettkämpfen anfeuern, passende Schulen finden und schauen, wie sie die Ideen ihres genialen Mannes in die Praxis umsetzte. Ihr Job war es, das Haus auf dem Land einzurichten, mit Präsident Kennedy zu plaudern (was keineswegs so angenehm war, wie es klingt), sich in Wohltätigkeitsvereinen zu engagieren, auf Dinnerpartys zu gehen – welche, bestimmte ihr Mann, Chef der „Washington Post“ – und selber solche zu geben. Das war etwas, was sie konnte, wie ihr selbst die Mutter bescheinigte. Ein einziges Mal hat diese ihre Tochter gelobt: bei der Vorbereitung der Debütantinnenparty von Katharine Grahams eigener Tochter. Für die gelungene Zusammenstellung der Gästelisten.
Mrs. Philip Graham. So wollte sie sich auch dann noch nennen, nachdem sie herausgefunden hatte, dass ihr Mann sie mit einer jungen Journalistin betrog, die er auch heiraten wollte. Nachdem sie jahrelang von ihm, einem brillanten, charismatischen, witzigen Manisch-Depressiven immer wieder vor anderen gedemütigt worden war, er ihr Selbstbewusstsein systematisch unterwandert hatte und das Leben mit seinen Ausbrüchen und der Trinkerei schwer gemacht hatte. Sie war es, die den Kranken begleitete, als er sich aus der psychiatrischen Klinik Freigang verschafft hatte, mit ihm aufs Land fuhr und redete und redete, bevor sie sich kurz zum Nickerchen hinlegte, und er sich im Badezimmer mit dem Jagdgewehr erschoss. Sie war es, die ihn dort fand.
Und jetzt? Wurde sie Verlegerin. Eine 46-jährige Debütantin, die in ihrem Leben noch nie einen richtigen Job, aber immer Personal gehabt hatte, führte nun, ab 1963, die „Washington Post“. Als „scheues kleines Reh, das auf wackeligen Beinen aus dem Wald kommt“, hat einer ihrer späteren Führungskräfte sie damals beschrieben.
Die Enthüllung des Watergate-Skandals
„Die Verlegerin“, so heißt auch der Film von Steven Spielberg, mit Meryl Streep als Katharine Graham, der kommende Woche anläuft. Er erzählt die dramatische Feuerprobe, als sie, vor Kurzem noch Befürworterin des Vietnamkriegs, 1971 gegen den Rat ihrer Manager und Juristen entscheidet, die Pentagon-Papiere zu publizieren; aus den Geheimdokumenten ging hervor, wie Generationen von US-Präsidenten die Nation in puncto Vietnamkrieg angelogen hatten: „Wir drucken!“
Eine ebenso unerwartete wie mutige Entscheidung, getroffen in wenigen Sekunden. Es hätte der Untergang des Betriebs sein können, mit dem sie gerade an die Börse ging. Stattdessen wurde es der Anfang der neuen „Washington Post“, wie es der damalige Chefredakteur Ben Bradlee (im Film gespielt von Tom Hanks) sagte. Vom Lokalblatt zur vielfach preisgekrönten, investigativen Hauptstadtzeitung, auf Augenhöhe mit der „New York Times“.
Der nächste Coup folgte kurz darauf: die Enthüllung des Watergate-Skandals, den Carl Bernstein und Bob Woodward mit Grahams Rückendeckung ans Licht brachten. Als Nixons Rechtsberater John Mitchell inkriminierende Passagen vorgelesen bekam, explodierte er: „Katie Grahams Titten werden sich in einer großen fetten Wringmaschine verfangen, wenn das veröffentlicht wird.“
Es wurde veröffentlicht, Woodward und Bernstein bekamen einen Pulitzer-Preis, ihre Geschichte wurde unmittelbar darauf verfilmt; „Die Unbestechlichen“ mit Robert Redford und Dustin Hoffman wurde sofort ein Klassiker. Katharine Graham kam darin nicht vor. Worüber sie zuerst erleichtert und dann doch verletzt war. Es sei zu kompliziert, lautete die Begründung, den Kinozuschauern zu erklären, was eine Verlegerin so macht.
Schreiben konnte sie auch
Ben Bradlee brauchte dafür nur wenige Worte. Bei Grahams Trauerfeier 2001, die fast einem Staatsbegräbnis glich, erklärte er den 3000 Trauergästen in der Washington Cathedral, was eine große Zeitung ausmacht: „Eine große Besitzerin. Große Besitzer helfen Chefredakteuren und Reportern dabei, ein helles Licht auf die dunkelsten Ecken der Gesellschaft zu werfen.“
Learning by doing hieß ihre Schule als Verlegerin und Vorstandsvorsitzende der Washington Post Company, zu der das Magazin „Newsweek“, mehrere Fernseh- und Radiosender sowie Lokalzeitungen gehörten. (In seiner manischen Phase war Phil Graham auf Shoppingtour gegangen.) Statt von unten aufzusteigen, musste sie „von ganz oben lernen“. „Im Prinzip setzte ich einen Schritt vor den anderen, schloss meine Augen und trat über die Klippe“, schreibt Graham in ihren 1997 erschienenen Erinnerungen, für die sie den Pulitzer-Preis bekam. Ja, schreiben konnte sie auch.
Sie habe viele Fehler gemacht, meinte sie selber – zu denen sie sich bekannte. Und sie hat ziemlich viel richtig gemacht. Eine der wichtigsten Entscheidungen: Ben Bradlee als Chefredakteur anzuheuern. Obwohl sie sich gar nicht sicher war, ob der Journalist, der mit ihrem Mann befreundet war, sich ihr gegenüber loyal verhalten würde. Beim Börsengang sorgte sie dafür, dass ihre Familie die Mehrheit der Aktien mit Stimmrecht und damit das Sagen behielt. Warren Buffet kaufte dann ein Riesenpaket, ohne mitbestimmen zu dürfen. Die beiden wurden enge Freunde, Buffet ihr wichtigster Geschäftsberater.
Ihre Geschichte ist eine der ganz allmählichen Emanzipation
So schön sie klingt, die Geschichte von der Hausfrau und Society Lady zur journalistischen Grande Dame, die Präsident Nixon stürzte – es ist nur ein Teil der Wahrheit. Katharine Graham war zur Verlegerin geboren: Ihr Vater Eugene Meyer, extrem erfolgreicher Geschäftsmann und Banker, Republikaner und zeitweise Chef der Federal Reserve, hatte die praktisch bankrotte „Washington Post“ schon 1933 bei einer Versteigerung erworben.
Meyer kürte Kay, wie alle sie nannten, zum liebsten seiner fünf Kinder, vielleicht sogar zur Kronprinzessin. Er unterstützte ihre journalistischen Anfänge nach dem Studium; dass die Demokratin das Blatt übernehmen würde, erschien möglich. Freunde aus jungen Jahren haben sie als klug, engagiert, auch witzig in Erinnerung. Doch als Meyer 1946 den Posten als Chef der Weltbank übernahm, ernannte er seinen 30-jährigen Schwiegersohn zum Verleger. Zwei Jahre später machte er das junge Paar zu Mehrheitsgesellschaftern, wobei Phil Graham sehr viel mehr Aktien bekam: „Kein Mann sollte in die Situation kommen, für seine Frau arbeiten zu müssen.“ Das fand Katharine normal. „Phil war der Sprudel in unserem Leben.“
Er verstand sich auch, anders als seine Frau, gut mit seiner Schwiegermutter. Agnes Meyer, deutschstämmige Protestantin, war eine schillernde Person, selbstverliebt und engagiert zugleich, etwa für die Qualität öffentlicher Schulen, gegen die Rassentrennung, den Künsten und Künstlern eng verbunden. Ihr bekanntester Protegé hieß Thomas Mann, für den sie wie ein Teenie schwärmte, was diesen schon wegen ihrer Einmischungen in sein Leben schwer nervte. Bei der Finanzierung seines komfortablen kalifornischen Lebens ließ er sich gern von ihr helfen. Sie schrieb Bücher und Artikel und war zur Mutter nicht gemacht. Bestenfalls ignorierte sie ihre Kinder, wie in Katharines ersten vier Jahren. Selber nach Washington umgezogen, überließen die Eltern ihren Nachwuchs weitgehend sich selbst und den Kindermädchen. Schlimmstenfalls machte Agnes Meyer ihre Kinder nieder, die ihr nie schön, glamourös und klug genug waren.
Immer wieder allein unter Männern
Phil Graham, Milchbauernsohn und blendender Harvard-Jurist, liebte seine neue Rolle. Und er mischte gern mit in der Politik. Seinen Freund John F. Kennedy soll er überredet haben, Lyndon B. Johnson zum Vizepräsidenten zu machen.
Und dann war alles vorbei. Zwei Leben, heißt es oft, habe Katharine Graham gehabt: eins vor, eins nach dem Tod ihres Mannes. Nora Ephron, Journalistin und Filmemacherin (und Ex-Frau von Carl Bernstein), eine von denen, die stark von Grahams Vorreiterrolle geprägt wurden, hat vier Leben gezählt: von der Tochter zur Ehefrau zur Witwe und schließlich zur Frau.
Katharine Grahams Geschichte ist eine der ganz allmählichen Emanzipation. Es habe lange gedauert, erzählte die Verlegerin und Managerin, bis sie gemerkt habe, dass manche ihrer unerfreulichen Erlebnisse nichts mit ihr, sondern ihrem Geschlecht zu tun hatten. Immer wieder allein unter Männern, es gab sonst keine Frauen an der Spitze, bemerkte sie die Herablassung, mit der die Herren sie behandelten. Diese Erfahrung sowie die Gespräche mit ihrer Freundin Gloria Steinem, Frauenrechtlerin und Gründerin des Magazins „Ms.“, machten sie zur Feministin fast wider Willen.
Die Tochter aus finanziell reichem, emotional armem Hause war Evolutionärin. Mit zum Teil revolutionären Folgen. In ihren Erinnerungen erzählt sie von der Dinnerparty eines Journalisten, da stand sie schon seit Jahren der „Washington Post“ vor, als die Damen sich erhoben, um im Wohnzimmer über Kinder, Küche & Co zu reden, während die Herren, Brandy in der einen, Zigarre in der anderen Hand, die Weltlage diskutierten. Was sie als Verlegerin ja ebenfalls den ganzen Tag über getan hatte. Die Situation hatte sie in Washington schon hundertfach erlebt. Aber in diesem Moment hatte sie genug von der Zweiklassengesellschaft, wollte ihre Zeit nicht mit Smalltalk verplempern, lieber den Andruck der Zeitung lesen, wie sie sich höflich entschuldigte. Der Gastgeber hob daraufhin die anachronistische Geschlechtertrennung auf.
Ihr Liebesleben als Witwe behielt sie für sich
Spielbergs Film, ebenso wie Meryl Streep für einen Oscar nominiert, greift diese Szene auf; das Drehbuch hält sich eng an die Memoiren. Dass diese von Kritikern und Lesern so begeistert aufgenommen wurden, lag vor allem an Grahams großer Offenheit, gepaart mit Zurückhaltung und Respekt. Als ihr Mann krank wurde – 1957 erlitt Phil Graham seinen ersten Nervenzusammenbruch –, schwieg die Familie. Das Thema war ebenso tabu wie in ihrer Kindheit Sex, Geld und die jüdische Herkunft des Vaters. Nun, 40 Jahre danach, sprach sie darüber so unverblümt wie über andere schmerzliche Ereignisse, etwa den Tod ihres ersten Sohnes bei der Geburt. Oder Fehler, die sie bereute: nicht wirklich für die beiden jüngsten Söhne dagewesen zu sein nach dem Tod ihres Vaters. Bill, der eine der beiden, Jurist wie sein Vater, nahm sich ein paar Tage vor Weihnachten 2017 das Leben, indem er sich, wie Phil, erschoss.
Diskret bleibt sie in dem Buch, was ihr Liebesleben als Witwe angeht. Nur so viel: Es gab wohl eins. Wirklich verliebt hat sie sich aber nicht in einen Mann – sondern in ihre Arbeit.
Ihre Villa in Georgetown, und nicht das Weiße Haus, sei das eigentliche Zentrum Washingtons gewesen, meinte die Journalistin Sally Clark, Bill Bradlees Ehefrau. Zur 70. Geburtstagsparty kamen Helmut Kohl und Jitzchak Rabin, Präsident Reagan und Außenminister Schultz, Malcolm Forbes, Gordon Getty und der Humorist Art Buchwald.
Viele hatten Angst vor ihr
Wahlweise wurde sie als mächtigste Frau Washingtons oder Amerikas bezeichnet, „Power, Privilege and the Post“ heißt eine Biografie über sie. Sie selbst hat das Attribut „powerful“ gehasst, sie sei doch keine Gewichtheberin. Benutzt hat sie die Macht schon. Für die Pressefreiheit, aber auch mal, um gegen eine andere Biografie, „Katharine the Great“, zu protestieren, so dass der Verleger die Auflage schreddern ließ. Später kam es zu einem Vergleich, ein anderer Verlag brachte das Buch heraus, in dem wohl etliche Falschaussagen steckten. Auf jeden Fall gehörte Graham zu denen, mit denen man besser befreundet als verfeindet sein sollte. Freunden gegenüber war sie extrem loyal. Dazu gehörten Truman Capote ebenso wie die Reagans und Kissingers, mit denen die „Limousinen-Liberale“, wie sie sich nannte, als Zeitungsschefin später milder umging.
Viele haben sich gefürchtet vor der großen, stattlichen, makellos gekleideten Frau, die selber immer wieder von ihrer Schüchternheit, ihren Selbstzweifeln spricht. Auf Fotos von offiziellen Anlässen trägt Katharine Graham meist eine Art Betonfrisur, als wär’s ein Schutzhelm. Auf privaten Fotos, die sie auf Martha’s Vineyard zeigen, ihrem Sommer-Refugium, sieht man sie lachend und so gelöst wie ihre Haare, im Kreise ebenso fröhlicher Freunde, die ihren Humor, ihre Wärme und Bodenständigkeit priesen. Ihre Gegner bezichtigten sie der Arroganz.
Am stärksten, sagte ihr Sohn und Nachfolger Donald Graham, war sie in der Krise. Die letzte große blieb ihr erspart: die der ganzen Branche. 2013, kurz vor dem Bankrott, verkaufte die Familie die „Washington Post“ an Amazon-Gründer Jeff Bezos, der das nötige Geld hatte, um es in Qualitätsjournalismus zu investieren. Grahams Tochter Lally Weimouth schreibt noch für die Zeitung.
Unterkriegen lassen hätte sie sich vermutlich nicht. Eugene Meyer hat seine Tochter mal mit einem Stehaufmännchen verglichen: „Wenn jemand sie umkegelt, poppt sie einfach wieder auf.“
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