Akten zum Mord an John F. Kennedy: Eine Schatzkiste für Verschwörungstheoretiker
Die Veröffentlichung der Geheimakten zum Mord an US-Präsident John F. Kennedy liefert neue Dokumente und neue Fragen - aber wenig Antworten.
Wer war der Mann in der Bar in New Orleans, der am 22. November 1963 hundert Dollar auf die baldige Ermordung von Präsident John F. Kennedy wetten wollte? Was wusste der geheimnisvolle Anrufer, der sich 25 Minuten vor den tödlichen Schüssen auf den Präsidenten in Dallas bei einer britischen Provinzzeitung meldete und eine „große Nachricht“ in den USA ankündigte? Warum traf sich Kennedy-Mörder Lee Harvey Oswald zwei Monate vor dem Mord am Präsidenten in Mexiko mit einem sowjetischen Experten für Attentate?
Mehr als ein halbes Jahrhundert nach Kennedys Tod an einem sonnigen Freitag in Texas wird der Mord erneut zum Gegenstand von Verschwörungstheorien. Einem Gesetz aus dem Jahr 1992 folgend, hat der heutige Präsident Donald Trump fast 3000 bisher geheim gehaltene Dokumente über den Kennedy-Mord auf der Internetseite des Nationalarchivs (www.archives.gov) veröffentlichen lassen. „So interessant“ seien die neuen Schriftstücke, hatte Trump auf Twitter angekündigt. Das Gesetz von 1992 war eine Reaktion auf den Film „JFK“ des Regisseurs Oliver Stone, der neue Spekulationen über den Kennedy-Mord ausgelöst hatte.
Obwohl schon mehr als 90 Prozent aller Regierungsunterlagen zu dem Fall inzwischen freigegeben wurden, seien unter den neuen Akten einige „historische Goldstücke“, befand die „Washington Post“ in einer ersten Analyse. Die „New York Times“ verglich die Masse der Dokumente mit dem Fund verstaubter Schriftstücke in einer „Schatzkiste“ auf einem Dachboden. Es gibt viel Langweiliges, aber auch viel Interessantes. Die Kennedy-Dokumente waren am Freitag in den USA Tagesgespräch.
Zurückgehaltene Unterlagen
Zur Aufregung tragen selbst jene Unterlagen bei, die nach wie vor zurückgehalten werden. Er beuge sich den Warnungen seiner Berater, die bei einigen Akten eine Gefährdung der nationalen Sicherheit sähen, schrieb Trump. Die Dokumente sollen in den kommenden sechs Monaten neu überprüft werden. Bei den Bedenken geht es laut Medienberichten darum, dass die betroffenen Akten, von denen einige erst 20 Jahre alt sind, Rückschlüsse auf Geheimdienstmitarbeiter zulassen könnten.
Verschwörungstheoretiker wie Robert Stone wittern jedoch ein neues Komplott. Stone ist ein Freund von Trump und vertritt in einem Buch die These, Kennedy sei auf Geheiß seines Vizepräsidenten und Nachfolgers Lyndon B. Johnson ermordet worden. Die Geheimdienste wollten so viele Dokumente weiter unter Verschluss halten wie möglich, sagte Stone der „Washington Post“.
Laut der regierungsamtlichen Version der Ereignisse war Oswald, ein 24-jähriger ehemaliger Scharfschütze der Marineinfanterie, ein Einzeltäter ohne Organisation im Rücken. Oswald selbst bestritt in ersten Verhören eine Verwicklung in den Mord, konnte aber weiter nichts zur Aufklärung beitragen, weil er zwei Tage nach dem Mord an Kennedy von dem Nachtclubbesitzer Jack Ruby erschossen wurde. In etlichen Theorien taucht auch Ruby als Teilnehmer eines Komplotts auf.
Unbeantwortete Fragen und Zweifel gab es schon gleich nach dem Mord genug. So wollten etliche Beobachter nicht an die sogenannte „Theorie der magischen Kugel“ glauben. Nach offizieller Darstellung wurde Kennedy von einem Geschoss getroffen, das seinen Hals durchschlug, an der Kehle austrat und anschließend den mit ihm im offenen Wagen sitzenden Gouverneur von Texas, John Connally, verletzte. Das kommt vielen sehr unglaubwürdig vor.
Auch Untersuchungsergebnisse, die Oswald zum einzigen Täter erklärten, wurden hinterfragt. Zeugen wollen mindestens einen anderen Schützen bemerkt haben, andere sprechen von noch mehr Beteiligten. Die Behörden sollen nach dem Mord die von einer Kugel getroffene Windschutzscheibe der Präsidenten-Limousine gegen eine unversehrte Scheibe ausgetauscht haben, um Beweise für Schüsse aus mehreren Richtungen aus der Welt zu schaffen.
Solche Vertuschungsversuche deuten nach Meinung von tatsächlichen oder selbst ernannten Experten für den Kennedy-Mord auf eine genau geplante Tat von Verschwörern hin. Neben Vizepräsident Johnson werden in diversen Versionen eines angeblichen Komplotts auch das kommunistische Kuba, anti-kommunistische kubanische Exilanten, die vietnamesische Regierung, die Mafia und die amerikanischen Geheimdienste als Drahtzieher genannt.
Wer war der Anrufer 25 Minuten vor dem Mord?
In den neu veröffentlichten Akten finden sich Hinweise darauf, dass auch die Sowjetunion befürchtete, mit dem Mord an Kennedy in Verbindung gebracht zu werden. Selbst mit einem US-Raketenangriff als Vergeltung wurde demnach in Moskau gerechnet.
Die Frage nach einer Verwicklung der Sowjets dürfte nun zu den Aspekten gehören, die neu aufs Tapet kommen. Unter den von Trump veröffentlichten Dokumenten ist ein Bericht des Geheimdienstes CIA vom 23. November 1963, dem Tag nach Kennedys Tod. Darin ist von einem Gespräch Oswalds mit dem sowjetischen Konsul in Mexiko-Stadt, Walerij Wladimirowitsch Kostikow, im September desselben Jahres die Rede. Kostikow wird als KGB-Agent und Spezialist für Sabotage und Attentate beschrieben.
Oswalds Reise nach Mexiko vor dem Mord ist schon länger Gegenstand heftiger Spekulationen. Holte sich der spätere Kennedy-Mörder dabei Instruktionen von Sowjets und Kubanern? Ein kubanischer Geheimdienstler soll sich lobend über Oswalds Fähigkeiten als treffsicherer Schütze geäußert haben. Eindeutige Antworten gibt es aber nach wie vor nicht.
Dasselbe gilt für die ebenfalls schon seit Jahren diskutierten Verbindungen Oswalds zur rechtsradikalen Szene in New Orleans, wo das merkwürdige Wettangebot von einem Kneipenbesucher aufgeschnappt und dem Geheimdienst gemeldet wurde. Allerdings war der Informant zur fraglichen Zeit so betrunken, dass er den Mann, der auf Kennedys baldigen Tod wetten wollte, nicht identifizieren konnte. Selbst der Name der Kneipe wollte ihm nicht mehr einfallen.
Die Kneipen-Episode macht deutlich, mit wie vielen Gerüchten und angeblichen Spuren sich die Ermittler in den Tagen nach dem Mord am Präsidenten befassten. Zu den merkwürdigsten gehörte der Anruf bei der britischen Zeitung „Cambridge News“ am Tag des Attentats. Bis heute weiß niemand, wer der Anrufer war – und die derzeitigen Journalisten des Blattes erfuhren wie der Rest der Welt erst jetzt von der Angelegenheit. „Da fällt einem die Kinnlade runter“, sagte Anna Savva, eine Reporterin bei „Cambridge News“, der BBC am Freitag. 25 Minuten vor dem Mord hatte der anonyme Anrufer einen Reporter angerufen und ihm gesagt, er solle die US-Botschaft anrufen, es gebe große Nachrichten. Anschließend legte der Anrufer auf.
Wegen solcher Details wird der Mythos Kennedy-Mord auch nach der neuen Veröffentlichung weiterleben. Schon jetzt warten Experten gespannt auf die Herausgabe jener Akten, die in den kommenden Monaten erneut überprüft werden. Doch selbst dann werden viele Fragen und Widersprüche bleiben – und genügend Raum für den Verdacht, dass Kennedy einer riesigen Verschwörung zum Opfer fiel.