Die Zukunft des Essens: Wenn die Mahlzeit aus dem 3-D-Drucker kommt
Liegt die Zukunft im Menü aus der Düse? Den ersten 3-D-Printer gibt es schon – für Pasten und Pürees. Die Technik ist noch am Anfang, doch die Erwartungen sind hoch.
Werfen wir einen Blick in eine mögliche, nicht allzu ferne Zukunft: Mit einem elektronischen Bändchen ums Handgelenk betreten wir einen Supermarkt. Kaum haben wir die Türschwelle überschritten, wird der Inhalt unseres digitalen Einkaufszettels an die 3-D-Drucker in allen Ecken des Ladens übermittelt. Sie beginnen zu rattern, zähflüssige Masse schießt aus den Druckköpfen in Gefäße. Hier entsteht ein Nachtisch, dort ein Brotteig. Nach wenigen Minuten stehen wir mit dem Korb an der Kasse. Darin der Einkauf, individuell auf unseren Geschmack und unsere Bedürfnisse abgestimmt: Die Schokocreme laktosefrei und proteinreich, das Vollkornbrot frisch aus dem Ofen, mit extra viel Vitamin D und einem Hauch Ingwer.
Was klingt wie Science-Fiction, könnte einmal Wirklichkeit werden. Gerd Funk, 49, glaubt daran. Der studierte Wirtschaftsingenieur war 15 Jahre lang für Vertrieb und Marketing in der Großküchenindustrie zuständig. Heute ist er Geschäftsführer von Print2Taste. Er sitzt in seiner Firma in Freising, vor den Toren Münchens. Draußen bollert die Mittagshitze, drinnen ächzt die Klimaanlage. Sie läuft nicht nur für Gerd Funk, sondern auch für „Bocusini“. Der Drucker steht in der Mitte des Tisches, er ähnelt einer Nähmaschine. Und er braucht es kühl.
Wie ein Spritzbeutel, nur automatisiert
Bocusini ist der weltweit erste Allzweckdrucker für Lebensmittel. Oder, wie es im schnittigen Marketingjargon heißt: das erste „Plug & Play 3D Food Printing System“. In der Automobilindustrie setzt man längst auf die Technik, Ersatzteile aus Plastik werden auf diese Weise produziert. Auch bei Airbus kommen Bauteile aus dem Drucker, ganze Häuser sollen bald mithilfe des 3-D-Drucks entstehen. Der Einsatz im Lebensmittelbereich nimmt gerade erst Fahrt auf, Bocusini ist ein Pionier. Seinen Namen verdankt der Apparat dem französischen „bon cuisine“, „gute Küche“. Zudem erinnert er an die Kochlegende Paul Bocuse. Das weckt Erwartungen.
„Standen Sie früher auch immer mit dem Spritzbeutel in Omas Küche?“, fragt Funk spitzbübisch grinsend und erklärt dann, nach einer wirkungsvollen Pause: „Der Bocusini ist nichts anderes als ein automatisierter Spritzbeutel.“
Um das zu demonstrieren, setzt Funk eine Kunststoffkartusche mit apfelgrüner Füllung in den Druckkopf ein. Ein Mausklick am Computer und die Software startet den Drucker. Es erklingt ein Geräusch wie von Violinen, die vor einem Konzert gestimmt werden: ein hochfrequentes Fideln, hektisch und leicht schief. Im Inneren der Maschine fährt nun ein Stempel von oben auf die Kartusche herab und drückt die Füllung langsam durch die Düse. Die grüne Masse dringt aus dem Druckkopf, in einem einzigen, zusammenhängenden Strang. Schicht um Schicht legen sich die dünnen Würste aufeinander, bis irgendwann eine Figur erkennbar wird.
Als die Düse nach rund zehn Minuten versiegt, sitzt dort ein Buddha, drei Zentimeter hoch. „Na los, probieren Sie!“ Und gleich ist es wieder dahin, das kleine Kunstwerk, auf der Zunge zergangen. Der nussig-süße Geschmack von Marzipan breitet sich im Mund aus.
Was rauskommt, ist so gut wie das, was man reingibt
Marzipan lässt sich gut modellieren, auch deshalb hat sich Print2Taste auf die Masse aus Mandeln und Zucker spezialisiert. Trotzdem liegen 14 Monate Entwicklungzeit hinter dem Unternehmen. Das Kniffligste: die Konsistenz. Das Marzipan muss nach dem Druck möglichst schnell aushärten, damit der Buddha Form annimmt und nicht zu einer Pfütze verläuft. Gleichzeitig muss es so weich sein, dass es mühelos durch die Düse gelangt und sie nicht verstopft. Der Drucker kann nachhelfen, er ist beheizbar bis 60 Grad. Kühlen kann er nicht. Die Mandelsplitter in der Marzipanmasse müssen so fein wie möglich sein. „Trial and error“ hieß es deshalb während der Entwicklungsphase: immer weiter probieren und aus den Fehlern lernen.
Im Laufe des Jahres will Print2Taste acht weitere Lebensmittel anbieten. Mehr als 30 hat man schon testweise gedruckt, etwa Kartoffel- und Karottenpüree, Nudeln, Frischkäse und Leberpastete, Schokolade und Fruchtgelee. Wen ein mulmiges Gefühl beschleicht, den beruhigt Funk: „Was rauskommt, ist genauso gut wie das, was man reintut. Und das sind geprüfte Lebensmittel.“
Warum die Firma zuerst mit Marzipan auf den Markt kam? Weil der Wow-Effekt hier sicher ist. Wie neulich, als man zum Richtfest des „Upper West“ in Berlin Marzipan-Miniaturen des Ku’damm-Hochhauses an die versammelten Gäste verteilte. Ist Lebensmitteldruck am Ende nur eine nette Spielerei? Von wegen.
Pürierte Kost - appetitlich
Außer als effektvolles Give-away zu Werbezwecken soll der 3-D-Druck möglichst bald auch in der Ernährungstherapie zum Einsatz kommen. Viele Patienten mit Kau- und Schluckstörungen, von denen es in Deutschland mehr als fünf Millionen gibt, können nur noch pürierte Kost zu sich nehmen. Optisch bereitet das wenig Vergnügen. Dass sich das ändert, dafür setzt sich Melanie Senger ein.
Die 32-Jährige ist Ernährungswissenschaftlerin, ihre Masterarbeit hat sie über Konsistenzen von Lebensmitteln geschrieben. Heute arbeitet sie am Institut für Lebensmitteltechnologie an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, außerdem hat sie Print2Taste mitgegründet. Ihr erstes Forschungsprojekt hieß „Performance“, gefördert mit EU-Mitteln. Das Ziel: den Betroffenen von Kau- und Schluckstörungen, zumeist älteren Menschen, nährstoffreiche Mahlzeiten zu bieten, die appetitlich aussehen. Denn wenn die Lust am Essen vergeht, sind oft Mangelernährung und Krankheiten die Folge.
Die Hochschule bediente sich deshalb mit ihren Projektpartnern beim sogenannten Smoothfood, geliertem Essen. Dafür wird ein Gericht püriert, jeder Bestandteil einzeln, und anschließend in Silikonformen gegossen. So wird ein Schnitzel, Hähnchenfleisch oder Gemüse erst zu Brei, bevor alles wieder in seiner ursprünglichen Form auf dem Teller landet, gehalten von Bindemitteln.
Die Mahlzeiten werden maßgeschneidert
Die manuelle Herstellung des Smoothfood ist aufwendig; diese Arbeit könnten 3-D-Drucker übernehmen. „Im Altenheim haben viele Bewohner Mängel“, so Melanie Senger, „sie brauchen mehr Energie, als ihnen das normale Essen liefern kann.“ Der Heimkoch müsste jedem seine Mahlzeit individuell zusammenmischen. Das ist logistisch kaum möglich.
Deshalb sollen Drucker künftig Mahlzeiten personalisiert zubereiten können. In den Patientendaten ist vermerkt, wer welche zusätzlichen Vitamine, Proteine oder Mineralstoffe braucht. Wer etwa unter Vitamin-D-Mangel leidet, weil er nicht mehr viel an der Sonne ist oder die Haut aus Altersgründen den Wirkstoff nicht bildet, kann sich das nötige Vitamin vom Drucker aus einem angeschlossenen Tank in die Hähnchenkeule spritzen lassen, während sie auf dem Teller entsteht.
Melanie Sengers Aufgabe im „Performance“-Projekt war es, Gerichte in druckbare Konsistenzen zu bringen. „Es sollte so fest sein, dass man es mit Messer und Gabel essen kann.“ Und einfrieren sollte man es können. Denn in absehbarer Zeit werden wohl keine 3-D-Drucker in Altenheimen stehen. Das gefrorene Essen müsste anderswo ausgedruckt, eingefroren, transportiert und vor Ort aufgetaut und erwärmt werden.
Beim Drucker-Marzpian wird die Forschung mitbezahlt
Hätte, würde, könnte: Viele Konjunktive stecken noch im Thema. Das sieht auch Herbert Thill so. Der gelernte Koch hat sich vor vielen Jahren den Kau- und Schluckstörungen verschrieben und die Firma Smoothfood GmbH gegründet. Auch am EU-Projekt „Performance“ war er beteiligt, er steuerte Rezepte für druckbares Essen bei. Trotzdem ist er skeptisch.
„Im Moment dauert es noch zu lange, ein Essen zu drucken“, sagt Thill. „Die Technik ist nicht ausgereift, und für eine Senioreneinrichtung wären die Anschaffungskosten viel zu hoch.“ Höchstens in der Industrie seien Lebensmitteldrucker denkbar, etwa wenn es darum gehe, 70 000 Mahlzeiten pro Tag zuzubereiten. „Erst bei einer sehr, sehr hohen Stückzahl rechnet sich so ein teurer Druckkopf“, glaubt Thill. Den Bocusini bekommt man für knapp 3000 Euro, eine Kartusche mit 70 Gramm Marzipan kostet bei Print2Taste 4,85 Euro – fast siebenmal so viel wie die Rohmasse im Supermarkt. Klar: Die Masse ist veredelt, man zahlt den Forschungsaufwand mit. Trotzdem: ein teures Vergnügen.
Weingummis aus dem Drucker
Eine andere Weltneuheit könnte die Entwicklung bald vorantreiben: Das IT-Unternehmen Lenovo hat für September das erste Smartphone mit 3-D-Kamera angekündigt, „Phab 2 Pro“. „Damit könnte man das Handy als Waage benutzen“, sagt Smoothfood-Koch Thill. Man würde dann eine Mahlzeit fotografieren, bevor sie ein Patient bekommt, und anschließend das, was übrig bleibt, und könnte aus der Differenz errechnen, welche Nährstoffe dem Patienten noch fehlen.
Gerd Funk von Print2Taste sieht eine weitere Möglichkeit, die die Kamera eröffnen würde: „Jeder könnte kinderleicht eine Vorlage erstellen. Einmal um einen Gegenstand herumfotografiert, fertig ist die Druckdatei.“ So wie ein Autohersteller schon jetzt die 3-D-Datei seines neuen Modells an Funks Firma schicken und sich das Auto detailgetreu aus Marzipan drucken lassen kann.
Die Forschung schreitet in jedem Fall voran, das beweist auch die Existenz der „3D Food Printing Conference“, die im April bereits zum zweiten Mal im niederländischen Venlo stattfand.
Die Kunden: vor allem Caterer und Konditoren
Auch die Anbieter von Food Printing werden mehr; die meisten besetzen Nischen: Choc Edge druckt Schriftzüge aus Schokolade, PancakeBot backt Eierkuchen in Wunschform. Im Katjes-Café „Grün-Ohr“ in Mitte kommen Weingummis aus dem Drucker, den ersten Pasta-Printer präsentierte Barilla im „Future Food District“ der letztjährigen Expo. Auch hier lautet das Motto „Personalisierung“. Nach vier Jahren des Tüftelns braucht der Teller Lieblingsnudeln heute nur noch zwei Minuten Druckzeit.
Zu den Kunden von Print2Taste gehören vor allem Caterer und Konditoren. Denn selbst wenn die Druckgeschwindigkeit gemächlich wirkt: In manueller Produktion dauern Marzipanfiguren noch länger, auch weil die Masse durch die Handwärme schnell warm wird und ausölt. Für das Schloss Neuschwanstein im Miniformat braucht der Drucker sieben Stunden. Ein Konditor bräuchte zehn.
Kaspar Heinrich
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität