Ludwig II. und Richard Wagner: Der Märchenkönig und sein Komponist
Oliver Hilmes hat eine spannende Biografie über Ludwig II. und seine Verehrung für Richard Wagner geschrieben. Ohne den Wittelsbacher gäbe es wohl keinen Ring, und die Bayreuther Festspiele wären auch nicht gegründet worden.
Es muss ein merkwürdiges Zusammentreffen gewesen sein an jenem 4. Mai 1864: Hier der junge König von Bayern, 1,91 Meter groß und mit seinem schwarzen ondulierten Haar eine blendende Erscheinung, bebend vor schwärmerischer Begeisterung – und ihm gegenüber ein verdutzter kleiner Komponist mit Charakterkopf, der nicht begreift, wie ihm geschieht. Ludwig II. von Bayern (1845–1886) und Richard Wagner gaben, als sie sich zum ersten Mal begegneten, ein eigenartiges Paar ab.
Nach der ersten Begegnung schwärmen die beiden voneinander
Der 18-jährige Monarch, nach dem Tod seines Vaters gerade erst zum König gesalbt, hatte als einen seiner ersten Amtsakte befohlen, den bewunderten, verehrten, vergötterten Richard Wagner zu ihm zu bringen. Der war gerade hoch verschuldet aus Wien geflohen und musste von den Beamten des Königs erst mühevoll aufgespürt werden. Aber mit welchem Ergebnis! Nach jener ersten Begegnung in der Münchner Residenz schwärmten Ludwig und Wagner in den höchsten Tönen voneinander: „Hoher Mann. Strahlensonne! Ihn zu sehen, Zu verzehren, Ihn zu fassen, mir zu lassen, Ihn zu halten, mit Gewalten, sehr Geschick! Wonneglück!“, schrieb Ludwig in sein Tagebuch.
Und Wagner berichtete einer Freundin: „Er ist so schön und geistvoll, seelenvoll und herrlich, dass ich fürchte, sein Leben müsse wie ein flüchtiger Göttertraum in dieser gemeinen Welt zerrinnen. (…) Er will mir Alles geben, alle Noth soll von mir genommen sein, ich soll haben was ich brauche – nur bei ihm soll ich bleiben. Was sagen Sie dazu? Ist es nicht unerhört? Kann das anderes als ein Traum sein?“
Ludwig faszinierte die Sagenwelt der Opern Wagners
In seiner Biografie „Ludwig II. – Der unzeitgemäße König“ beschreibt Oliver Hilmes das Leben des berühmtesten bayrischen Monarchen, um den sich bis heute Mythen und Legenden ranken, und die Rolle, die Richard Wagner darin spielte. Für Ludwig war nicht so sehr die Musik des gut 30 Jahre älteren Komponisten faszinierend als vielmehr die Sagenwelt, in der seine Opern spielten. In sie fantasierte Ludwig sich hinein, ließ sich etwa von seiner Verlobten Sophie in Briefen als „Parsifal“ anreden. Mithilfe der Opern Wagners, so hoffte er überdies, werde sein Volk veredelt werden, eine kulturell höhere Stufe erklimmen. Darum förderte er den Komponisten aufs Großzügigste, beglich seine Schulden, mietete ihm eine Villa in München und unterstützte seine Pläne für ein Festspielhaus in Bayreuth.
Wagner nutzte die Großzügigkeit des Königs geschickt aus
„Rückblickend erscheint das Zusammentreffen des schüchternen Monarchen und seines charismatischen Tonsetzers wie ein märchenhafter Glücksfall für die europäische Kulturgeschichte“, schreibt Oliver Hilmes, der am 13. Dezember auch im Tagesspiegel aus seinem Werk liest (Anmeldung zur Veranstaltung hier). „Ohne den Wittelsbacher gäbe es keinen Ring, die Meistersinger wären nicht vollendet, der Parsifal wohl kaum geschrieben und die Bayreuther Festspiele sicherlich nicht gegründet worden.“ Wagner nutzte die Großzügigkeit des Königs geschickt aus; schon bald hielt er ihn für einen Spinner, und später kam es zu einer Entfremdung der beiden.
Oliver Hilmes, der bereits Biografien über Alma Mahler-Werfel, Cosima Wagner und Franz Liszt vorgelegt hat, ist ein schmissiger Schreiber, ein unterhaltsamer Erzähler, und so werden seine gut 400 Seiten über den Märchenkönig nie langweilig. Für die Biografie hat er diverse Quellen erstmals auswerten können, darunter Ludwigs Krankenakte und zahlreiche Briefwechsel. Hilmes beschreibt, wie der menschenscheue Ludwig, der schon früh Anzeichen von Realitätsverlust zeigte, sich immer mehr in eine Traumwelt hineinsteigerte. Er betrachtete sich als König in absolutistischer Tradition, im Stil von Ludwig XIV. – eine Welt, die er in seinen Schlossbauten, etwa bei der Errichtung von Neuschwanstein, wieder aufleben lassen wollte. Einen „unzeitgemäßen König“ nennt ihn Hilmes deshalb: Diese Lebensform passte nicht mehr ins 19. Jahrhundert.
Der König spuckte seine Untergebenen auch mal an, seine Homosexualität lebte er mit den Stallburschen aus
Die Beamten des Königs hatten ihre liebe Not mit ihrem Chef, der ohne Bedenken Millionenschulden aufhäufte und seine Untergebenen auch mal schlug und anspuckte. Ludwigs Homosexualität, die er auch mit seinen Stallburschen auslebte, sorgte darüber hinaus für Getuschel und Gerüchte. Als sein Verhalten immer stärker geistesgestörte Züge annahm – wahrscheinlich litt er an einer Form der Demenz namens „Morbus Pick“ – und der Staatsbankrott bevorstand, wurde er entmachtet und beging wahrscheinlich Selbstmord im Starnberger See.
Bis heute ist nicht geklärt, was genau an jenem Abend geschah, als Ludwig sich in Begleitung des Arztes Bernhard von Gudden zu einem Spaziergang aufmachte – beider Leichen wurden auf dem See treibend entdeckt. Allen bis heute wabernden Gerüchten, der König sei ermordet worden, erteilt Hilmes eine Absage: Die Quellen böten keinerlei Anlass, das zu glauben.
Als Monarch ist Ludwig gescheitert, aber er hat die Musik- und Architekturgeschichte bereichert und bescherte dem bayrischen Tourismus eine Erfolgsgeschichte, die bis heute andauert. Die drei Königsschlösser Neuschwanstein, Linderhof und Herrenchiemsee, die Ludwig bauen ließ, ziehen jedenfalls bis heute Millionen von Besuchern an. Wer dort wandelt, kann sich fantastische Szenen vorstellen: Ludwig, wie er auf Neuschwanstein durch den prunkvollen „Sängersaal“ mit Motiven aus den Lohengrin- und Parzival-Sagen schreitet, oder Ludwig, wie er sich in einem vergoldeten Muschelkahn durch die Venusgrotte von Linderhof rudern lässt, die von Richard Wagners „Tannhäuser“ inspiriert wurde. Der Herrscher hatte sich seine eigene Bühne geschaffen, in der er nicht Zuschauer, sondern Teil des Geschehens war – verrückt sicherlich, aber faszinierend bis heute.
- Oliver Hilmes: „Ludwig II. Der unzeitgemäße König.“ Siedler Verlag München 2013, 447 Seiten, 24,99 Euro.
Dorothee Nolte
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