Laos: Was bleibt von Magie in Luang Prabang?
Lange war die Tempelstadt am Mekong isoliert, heute streicheln Touristen jungen Mönchen über die Glatze.
Vor zwei Jahren war Kith noch Novize im Mahatat-Kloster und Alkoholverweigerer. Heute mixt der 22-jährige Laote Cocktails im Hotel „Azerai“ und bedient Fototouristen. Jene Menschen, die ihm einst mit Blitzlicht auf die Pelle rückten, als er in orangefarbener Robe durch die Straßen ging. Der junge Mann hat einen für Luang Prabang typischen Lebensweg eingeschlagen: vom Kloster- zum Hotel-Boy, vom tagelang Meditierenden zum nächtelang Arbeitenden. Wat Mahatat, „Azerai“, die Grundstücke grenzen aneinander, 50 Meter Nähe und 1000 Jahre Distanz.
An wenigen Orten Südostasiens treffen Spiritualismus und Tourismus so stark aufeinander wie in der Tempelstadt im nördlichen Laos. Der Ort mit seinen 50 000 Einwohnern liegt am Mekong, ist von kegelförmigen Bergen und dichten Urwäldern umgeben. Erst seit einigen Jahren landen Flugzeuge aus dem Ausland hier. Vor Jahrhunderten war der Ort das geistige Zentrum der Laoten. Danach geriet er im Dschungel in Vergessenheit, wurde von französischen Kolonialisten erst kurz wachgerüttelt, von Kommunisten dann wieder abgeschottet – und ist gerade von Touristen überrannt.
Dutzende große und kleine Klöster befinden sich auf einer Fläche, die man in einer Stunde zu Fuß ablaufen kann. Nirgendwo im Land finden sich so viele buddhistische Mönche und Novizen wie in der von der Unesco zum Weltkulturerbe ernannten Stadt. Dass so viele Jungen den Weg in die Klöster suchen, hat einen einfachen Grund. Dort erhalten sie kostenlose Bildung, lernen Schreiben, Mathematik und Fremdsprachen. Die Klosterbewohner bei der Morgenprozession zu erleben, gilt als Höhepunkt jeder Laos-Reise. Mönche und Novizen bitten in der Früh um Almosen, sie dürfen nur essen, was ihnen gespendet wird.
Darf man die Mönche beim Meditieren beobachten?
Tak Bak heißt die Prozession auf Laotisch. Kith erinnert sich gut daran. Morgens um halb sechs auf der Straße stehen, zusammen mit den anderen Schülern, den Metalltopf am Bund, und den Klebreis hineinschaufeln, den die Menschen jeden Morgen verteilen. Die kahl geschorenen Mönche in ihren orangefarbenen Gewändern auf der einen, die mit Kameras behängten Besucher auf der anderen Seite. Klick klick, Buddhist erlegt, auf der Speicherkarte in Pixel zerlegt.
Auch das fällt Kith noch ein: wie chinesische Touristinnen übergriffig wurden und den Novizen unbedingt über den Kopf streicheln mussten, „so niedlich“, obwohl das Berühren ausdrücklich verboten ist. Oder wie Amerikaner, Deutsche, Franzosen ihn im Morgengrauen mit Blitzlicht blendeten.
Darf man die Mönche bei ihren heiligen Tätigkeiten beobachten? Ist das schon Belästigung? Diesen Konflikt müssen Besucher in Luang Prabang aushalten, seit die Stadt in den 90er Jahren nach einer langen Zeit der Isolation für Ausländer wieder geöffnet wurde.
Ein Berliner Fotograf dokumentierte ihr Leben
Der Berliner Fotokünstler Hans Georg Berger verbringt seitdem einen Großteil des Jahres vor Ort und nennt den Prozessionsbesuch eine „Touristennummer“. Als wären die Mönche, die auf die Essensspenden aus der Bevölkerung angewiesen sind, Tiere im Zoo. Der 62-Jährige erzählt, dass er einem befreundeten Mönch gegenüber einmal seine Abscheu darüber bekundet habe. Der alte Mann zuckte nur mit den Schultern. „Life is suffering.“ Jeder Morgen sei ihr Leiden, das zum Leben eben dazugehöre.
Berger hat Religionswissenschaften studiert und in den 1970er Jahren mit Joseph Beuys zusammengearbeitet. Der Fotograf mag sozial relevante Kunst. Er reiste nach Laos, um die Meditationspraxis der Mönche zu dokumentieren – in Absprache mit den Äbten und höchst diskret. Deshalb habe er teils wie die Novizen gelebt. Kein Essen nach zwölf Uhr, nicht weich schlafen, nicht lügen, sich nicht parfümieren.
Er sitzt in seinem parkähnlichen Garten mit Blick auf den schlammigen Mekong. Abends wird der Fluss zu „flüssigem Gold“, wie der Hausherr sagt. Mehrere Monate verbringt er pro Jahr in seinem Refugium, eine gute Stunde Autofahrt von Luang Prabang entfernt. Wenn der Fotograf von der nahen Stadt redet, könnte man meinen, es handle sich um Manhattan. Der Lärm, der Verkehr, die vielen Menschen!
Diese Position kann nur nachvollziehen, wer weiß, wie Hans Georg Berger Luang Prabang entdeckt hat, kurz nach dem Jahrzehnte währenden Winterschlaf, in den der Kommunismus das Land zwang. Der Fotograf flog von der Hauptstadt Vientiane – eine chinesische Maschine, russische Piloten, die auf Sicht steuerten, und das in einen Talkessel hinein, der vormittags oft im Dunst liegt.
Erst kam er, dann die Unesco
Als er ankam, betrat er eine von der westlichen Zivilisation unberührte Stadt. Ein Hotel, ein Generator, zwei Autos, ein Motorrad, Hunderte alte Fahrräder, Laoten mit „alten Schlappen“ an den Füßen und bloß Kerzen im Haus. Der Abfall wurde in Bananenblätter eingewickelt und auf dem Feld kompostiert. Es war ursprünglich, mühsam, magisch. „Etwas sehr Bemerkenswertes hatte sich bewahrt“, sagt Berger, wie „in einer Gefriertruhe“, und das war eine jahrtausendealte Tradition, eine kaum verwässerte Mischung von buddhistischer Meditation, Lehre und Leben.
„Erst kam ich, sehr viel später die Unesco.“ Wobei das nicht kausal gemeint ist, jedenfalls nicht zwingend, sondern chronologisch. Der Deutsche trieb Spenden ein, um die Renovierung von Tempeln und den Aufbau von Krankenhäusern voranzubringen. Im Wat Khili an der Hauptstraße gründete er ein Bildarchiv über das buddhistische Leben der Region. Die Unesco ebnete derweil den Weg für die Instandhaltung der Kolonial- und Sakralbauten. Das Zentrum ist abends eine romantische Kulisse mit Tausenden Lampions. Kein Haus an der Hauptstraße, in der nicht ein Hostel, eine Bar oder ein Restaurant geöffnet ist.
Sie kommen aus armen Familien wie Kith
Die sah der Bauerssohn Kith mit zwölf Jahren zum ersten Mal. Er zog aus seinem Dorf im Norden los, erst zwei Stunden zu Fuß bis zum Mekong, dann noch einmal sechs Stunden auf einem Longboat bis zur Stadt der Tempel. Sein erster Eindruck: überwältigend. „Ich hatte noch nie Autos, Motorräder, Restaurants und Ausländer gesehen.“ Der ältere Bruder lebte bereits im Wat Mahatat, verließ das Kloster und räumte seinen Platz für den Jüngeren. Es ist nämlich gar nicht mehr so einfach, einen Platz zu bekommen. Durch die Fürbitte des Älteren konnte Kith endlich das tun, was er sich am meisten wünschte. Er begann zu lernen.
Heute spricht er Englisch mit leichtem amerikanischen Einschlag, trägt dichte schwarze Haare, Jeans und T-Shirt, hat ein Facebook-Profil und geht mit Freunden in Bars. Ob er das Kloster vermisst? Ja, sagt er, er habe kaum noch Zeit, zu beten. Wenn er nachmittags die Gläser putzt, schreiten die Novizen nebenan über das Pflaster in den Tempel.
17 Uhr, in der Bar beginnt die Happy Hour und im Wat das Nachmittagsgebet. Elf Novizen warten schon mit dem Rücken zur Tür, den Blick nach vorne zum Altar gerichtet. Zwölf kleine Statuen des Buddha und ein großer sitzender schmücken ihn, es gibt unzählige bunte Zeichnungen an der Wand, die aus dem Leben Buddhas erzählen: im Urwald zwischen Löwen und Tigern, auf einem fliegenden Pferd in der Nacht.
Als der Lehrer kommt, begibt er sich in den Schneidersitz und betet in ein Mikrofon. Die Schüler tun es ihm gleich. Sie beugen ihren Oberkörper zum roten Teppich hinunter, singen Gebete, fast eine Stunde lang, während je drei Neonleuchten links und rechts flackern und ein grüner Deckenventilator die unerträglich heiße in erträglich heiße Luft zerteilt. Es sind Teenager, die Probleme haben wie Schüler überall auf der Welt. Einer ist erkältet und schneuzt sich die ganze Zeit, ein anderer rutscht auf den Schenkeln umher und findet keine bequeme Sitzposition, ein dritter blättert in seiner Loseblattsammlung nach dem richtigen Gebetstext.
Manche Touristen vermissen inzwischen das Ursprüngliche
Als die Stunde vorüber ist, sollen sie erzählen, was ihnen am Klosterdasein gefällt. Es irritiert sie, dass ein Fremder ihnen dabei zuschaut. „Dass ich mir selbst helfen kann“, sagt schließlich der älteste Schüler von ihnen, er könnte etwa 18 Jahre alt sein. „Dass meine Eltern kein Geld für mich ausgeben müssen.“ Alle nicken. Sie kommen aus armen Familien wie Kith, sind motiviert, ein besseres Leben als ihre Eltern zu führen, und werden voraussichtlich wie Hunderte vor ihnen in Bars, Restaurants oder Hotels arbeiten. Vielleicht eines Tages Fremdenführer für die ausländischen Reisenden werden, das wäre ein Traum.
Die Unesco-Stadt verfügt über einen relativen Wohlstand – dank der Touristen, die dort ihr Geld ausgeben. Deshalb kann Hans Georg Berger die Eindringlinge trotz Lärm und Pizza nicht ganz verteufeln. Er weiß genau, dass eine westliche Vorstellung, wie etwas zu bewahren sei, bei den Einheimischen auf Unverständnis stieße. Denn manche Touristen vermissen inzwischen das Ursprüngliche, als bräuchten sie ein gewisses Niveau von Armut, damit das Fotomotiv stimmt. Die überall verstreuten Plastiktüten, die als Zeichen der Verwestlichung zur Landplage geworden sind, die dürften allerdings gerne verschwinden.
Berger ist ein gebildeter Erzähler – und erwartet das von seinem Gegenüber auch. Dass man sich mit dem Tharadava-Buddhismus nicht auskennt, der gängigen Praxis in Laos, das vermiest ihm den grünen Tee. Vielleicht ist er das dem Land schuldig, das ihm ein unverhofftes Arbeits- und Ruhedomizil beschert hat. Er schwärmt von der Ernsthaftigkeit der Rituale, der Gelassenheit der Mönche und wartet mit Bangen ab, was demnächst passiert, wenn noch mehr Maschinen aus China oder Singapur auf dem neuen Flughafen landen sollen.
Soll man sich die Prozession anschauen?
Zurück in der Stadt steht Kith hinter der Bar des „Azerai“. Soll man sich die Prozession anschauen, trotz seiner schlechten Erfahrung? Unbedingt, findet er. Sein Tipp: nicht bei einem dieser Veranstalter buchen, die ganze Gruppen an die Hauptstraße platzieren und deren Mitglieder schmutziges Bargeld auf den sauberen Reis schütten, sondern sich an eine ruhige Nebenroute wie die vor dem Hotel setzen.
Morgens um fünf klingelt der Wecker. Mönchszeit. Das Hotel hat Kleider und gekochten Klebreis bereitgestellt. Eine Schärpe über die linke Schulter drapieren, am Bordstein auf die Knie gehen, den Blick senken (kein Augenkontakt) – und warten, bis die Novizen kommen. Fünf Minuten später schlurfen sie herbei, zwei orangefarbene Schlangen, die keine Eile antreibt. Der heiße Reis brennt an den Fingerkuppen, als man ihn in die Töpfe stopft, in ein Geschirr nach dem anderen. Ganz leise haucht ein Mönchsschüler auf Englisch: Thank you!
Reisetipps für Luang Prabang
Hinkommen
Bis Bangkok fliegen und dann mit Air Asia oder Bangkok Airways weiter. Bei Air France gibt es günstige Tickets ab 750 Euro.
Unterkommen
Das neu eröffnete Hotel „Azerai“ kocht seinen Gästen Klebreis und stellt Schärpen für die Morgenprozession zur Verfügung. Außerdem organisiert es Besuche in den Tempel nebenan. Das Doppelzimmer kostet ab 200 Euro inklusive Frühstück (azerai.com).
Rumkommen
Im Wat Khili unbedingt das Buddhist Archive of Photography besuchen. Dort sind auch Bildbände des Fotografen Hans Georg Berger erhältlich. Sein Buch „My Sacred Laos“ ist nur über Amazon bestellbar.
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