zum Hauptinhalt
Frei sein. Die Skulptur „Planet“ von Marc Quinn scheint in den Gärten von Marina Bay Sands zu schweben.
© AFP

Kreativszene: Ist Singapur die neue Kunstmetropole Asiens?

Singapur lockt internationale Galeristen mit Geld, Museen und Ausstellungsflächen. Der Stadtstaat setzt alles daran, die Kreativmetropole Südostasiens zu werden.

Lisa Polten steht vor einer Installation des indonesischen Künstlers FX Harsono. Darauf sind Bilder seiner chinesisch-stämmigen Familie zu sehen, die vom schwierigen Verhältnis zwischen Einwanderern und Einheimischen erzählen. „Die Menschen hier in Singapur haben ein anderes Kunstverständnis“, sagt die deutsche Kuratorin. Seit einem Jahr arbeitet Polten für die Galerie Arndt in der südostasiatischen Metropole. Das Publikum am Stammsitz Berlin habe kein Problem mit Konzeptkunst wie dieser, in Singapur müsse alles, jetzt wird die blonde junge Frau vorsichtig, „dekorativer“, etwas fürs Auge sein.

Der Galerist Matthias Arndt gehörte zu den Mitbegründern des Mitte-Booms in den 90er Jahren, als rund um den Hackeschen Markt ein neues Kunstzentrum entstand. Seit vier Jahren fungiert seine Galerie als Brückenkopf zwischen Europa und Asien, dem alten und neuen Markt, dem alten und neuen Geld. 21 Milliardäre leben auf 719 Quadratkilometern, einer Fläche kleiner als Berlin. Das Pro-Kopf-Einkommen der 5,4 Millionen Einwohner ist mit etwa 48 500 Euro im Jahr eines der höchsten der Welt (Deutschland: 43 000 Euro). Die Mittelschicht wendet sich der Kunst zu, die reiche Oberschicht hat sie bereits als Investition entdeckt.

Jahrelang hatte der Stadtstaat nur wenig für unabhängige Kunst übrig. Staatsgründer Lee Kuan Yew hatte das Land von 1959 bis 1990 als Premierminister regiert, zuerst im Verbund mit Malaysia, ab 1965 als souveräne Nation mit faktisch einem Einparteiensystem. Lee verordnete seinen Landsleuten eiserne Disziplin und verhalf ihnen zu Wohlstand. Von ihm stammt der Ausspruch: „Ein Übermaß an Demokratie führt zu disziplin- und ordnungslosen Bedingungen, die der Entwicklung schaden.“ Kein Wunder, dass unter seiner Ägide keine alternative Kultur existierte.

Jetzt gibt es eine Kunstmesse und einige Museen

Doch als der Reichtum wuchs, kauften die Singapurer nicht mehr nur Häuser und Autos, sondern auch unpragmatische Dinge wie Bilder, Skulpturen und Fotografien. Gleichzeitig erkannte die Regierung, dass Kunst ein echter Standortfaktor ist. Wenn eine Kleinstadt wie Bilbao dank eines Museums plötzlich weltberühmt wird, wenn eine Finanzmacht wie Abu Dhabi Kunstpaläste in den Wüstensand setzen lässt, dann kann auch ein ehrgeiziger Stadtstaat wie Singapur kühn denken.

Also verkündete die Regierung 2007 die Gründung einer Nationalgalerie, schrieb einen internationalen Architektenwettbewerb aus und stellte zwei historische Gebäude, den Obersten Gerichtshof und das Rathaus, zum Umbau zur Verfügung. Ein Jahr später nahm die erste Kunsthochschule ihren Betrieb auf. 2013 folgte ein weiterer Masterplan, Millionen von Singapur-Dollars flossen in Stipendien und Infrastrukturmaßnahmen.

Jetzt gibt es eine Kunstmesse, einige Museen und überlebensgroße Auftragswerke auf öffentlichen Plätzen. Das meistfotografierte ist wahrscheinlich das Riesenbaby des Briten Marc Quinn in den Gärten der Marina Bay, die Skulptur „Planet“. An ausgesuchten Wänden im arabischen Viertel dürfen sich Street-Art- Künstler austoben, obwohl Graffiti sonst streng verboten sind. Zwei Sprayer aus Leipzig wurden 2014 zu drei Stockschlägen und neun Monaten Haft verurteilt, nachdem sie einen U-Bahn-Waggon bemalt hatten.

Den Kunstmarkt stört das nicht. Die nationale Statistikbehörde berechnete seinen Wert zuletzt mit etwa 423 Millionen Euro – fast eine Verdoppelung innerhalb von zehn Jahren.

Man will Hongkong den Platz streitig macht

Auch die Gillman Barracks, eine frühere britische Kaserne, die zum Galerienzentrum umgebaut wurde, verdanken ihre Existenz einer Förderung. Diese soll den internationalen Kunstmarkt in die Stadt holen. Neben Arndt aus Berlin sitzen noch zwölf weitere Galerien hier, unter anderem Ota Fine aus Tokio, Massimiliano Mucciaccia aus Rom und Pearl Lam aus Hongkong. In weißen Bungalows oder der umgebauten Messe empfangen sie Sammler aus Indonesien, den Philippinen und Australien.

Die umgebauten Gillman Barracks.
Die umgebauten Gillman Barracks.
© Darren Soh

Zugegeben, es ist die zweite Garde internationaler Kunsthändler, die in den Barracks Geschäfte macht. Aber auch ein Zeichen der Hoffnung: dass man Hongkong den Platz streitig macht. Die frühere britische Kronkolonie zieht derzeit viel Kapital an. Die weltweit größte Kunstmesse Art Basel hat dort einen Ableger, international renommierte Galerien wie Larry Gagosian aus New York und White Cube aus London eröffneten Zweigstellen. In Hongkong wird keine Steuer auf Kunstkäufe erhoben, wie Lisa Polten erklärt, in Singapur sind es sieben Prozent.

Sind diese sieben Prozent schuld daran, dass es bei Arndt und den anderen auf dem Gelände nicht immer voll ist? An einem Werktag können Besucher ganz ohne Zeitdruck mit den Kuratoren sprechen, über das hügelige Gelände spazieren, bei 30 Grad im Schatten und 85 Prozent Luftfeuchtigkeit leicht ins Schwitzen geraten, die riesigen tropischen Bäume bestaunen und die noch höheren Wohnhäuser dahinter.

Die Einheimischen scheuen sich, hineinzukommen

Die Fotogalerie The Deck.
Die Fotogalerie The Deck.
© promo/ The Deck

Die Gillman Barracks wirken wie ein Spielzeugdorf inmitten einer himmelwärts strebenden Gesellschaft. Lisa Polten glaubt, man müsse die Einheimischen dorthin locken. Vor allem mit Veranstaltungen. Ein paar Mal im Jahr gibt es deshalb einen offenen Abend aller Galerien, die „Art After Dark“, mit Häppchen, Wein und Smalltalk über Bilder. Ein Golfkart fährt zwischen den Galerien hin und her, damit die Interessierten sich in der Hitze der Nacht nicht verausgaben.

Polten und die anderen Galeristen wissen, dass die Besucher einer Vernissage sich anders als in Europa oder Amerika benehmen. Zuerst scheuen sie sich, hineinzukommen, weil sie glauben, sie müssten etwas kaufen. Danach stehen sie vor großformatigen Gemälden und widmen sich lauten Facetime-Telefonaten. Singapur verfügt auch über ein großes Angebot an traditioneller Kunst. Über 1400 Veranstaltungen, die zum Teil die Communities einbeziehen, finden hier im Jahr statt.

Während die alte Kaserne ein piekfein entwickeltes Stück Land ist, besetzt die Fotogalerie The Deck ein 20 Jahre vergessenes Grundstück im Stadtteil Bras Basah, gar nicht weit weg von den Shopping Malls auf der Orchard Road. Gründerin Gwen Lee erzählt, wie das Team fünf Monate mit Generatoren und Wasserkanistern auf dem Ödland arbeitete, bis endlich die Genehmigungen für Strom und Wasser eintrudelten. Seit 2014 zieht es Freunde der Fotografie in den tarngrün angestrichenen Bau, der aus 19 Schiffscontainern zusammengesetzt wurde und mit seinem steilen Turm wie ein kubistisches Rathaus aussieht.

Die neue National Gallery ist das Prestigeobjekt

Gwen Lees Vorbild für die Stapelarchitektur war die Platoon Gallery an der Schönhauser Allee. Lee entdeckte diese, als sie für ein mehrmonatiges Austauschprogramm für Kuratoren in Berlin weilte. „Wir sind die erste Einrichtung dieser Art, die nicht von der Regierung erdacht wurde“, sagt die 38-jährige Kuratorin über ihre Fotografiegalerie. „Und wir sind nicht kommerziell.“ Ein ungewöhnlicher Satz in dieser Stadt.

Studenten mit Basecaps schlendern durch die Ausstellungsblöcke, in den Dunkelkammern geben die Gründer Kurse für Kinder und zeigen ihnen, wie man Fotos entwickelte, bevor es digitale Speicherkarten gab. Fotos des versmogten Himmels, die mit unterschiedlichen Belichtungszeiten aufgenommen wurden, bekommen jedoch schnell Konkurrenz von einer Katze, die sich draußen auf dem ausgelegten Teppich rekelt. Die Aufmerksamkeit der Besucher schwindet mit einem Mal.

Prestigeobjekt. Die neue Nationalgalerie in Singapur.
Prestigeobjekt. Die neue Nationalgalerie in Singapur.
© STB

Das Prestigeobjekt der neuen Kunstschickeria ist nur eine Viertelstunde mit dem Taxi entfernt: die neue National Gallery. Vor knapp einem Jahr eröffnete sie nach zehn Jahren Bauzeit, jetzt steht sie prominent am Grün des Krickettclubs, auf dem vor 100 Jahren die Engländer ihre Bälle in die Luft warfen. Die Zusammenlegung der zwei historischen Prachtbauten führte zu einer gigantischen Ausstellungsfläche. Auf 6000 Quadratmetern und mehreren Etagen können Besucher zeitgenössische Kunst aus dem südostasiatischen Raum begutachten. Die Gallery ist damit das größte Museum seiner Art in der Region.

Die Kunst kommt langsam in der Gesellschaft an

Die Räume des ehemaligen Supreme Court sind in Teilen erhalten, darin untergebracht sind auch die großformatigen Tierallegorien von Raden Saleh. Der indonesische Maler kam im 19. Jahrhundert nach Europa, lernte dort malen und gilt als Begründer der modernen indonesischen Malerei. Außerdem zeigt die ständige Sammlung einen Überblick der Kunstproduktion – von Landschaftsmalereien bis zu abstrakten Bildern. Eine Ausstellung widmet sich der modernen chinesischen Kalligrafie, die im Stadtstaat wegen der chinesisch-stämmigen Einwohner präsent ist, auf dem Dachgarten stellt der in Berlin lebende Vietnamese Danh Vo Skulpturen aus.

Natürlich lockt die Nationalgalerie mit den landesüblichen Methoden Besucher an: mit Bars, von deren Terrasse aus man einen grandiosen Blick auf die Stadt hat. Auf die drei Türme des Marina Bay Sands Hotel, mit dem langen Swimmingpool auf dem Dach, der alle drei Gebäude verbindet. Auf das Arts Science Museum, das als stählerne Lotusblume errichtet wurde und in dem Wechselausstellungen zeitgenössischer Kunst stattfinden.

Die Kunst kommt langsam in der Gesellschaft an. Mit „Wachstumsschmerzen“, wie Galerist Matthias Arndt in einem Interview zugab. Die westlich geprägte Kunstwelt kann man eben nicht einfach importieren wie eine Flasche Champagner. Einige Galerien in den Gillman Barracks mussten wegen mangelnden Umsatzes schließen. Vermutlich waren die Exponate nicht dekorativ genug.

Reisetipps für Singapur

ANREISE

Singapore Airlines und Lufthansa fliegen über Frankfurt für etwa 850 Euro in der Economy Class. Auf dem Flug wird die Premium Economy angeboten. Kostenpunkt: ab 1400 Euro.

UNTERKUNFT

Am Rande von Chinatown und nahe vieler Museen liegt das Parkroyal on Pickering, ein modernes Designhotel mit spektakulären Pflanzenterrassen, das DZ gibt es ab 185 Euro pro Nacht. Mehr Infos unter parkroyalhotels.com

MUSEEN

National Gallery, 1 Saint Andrew’s Road, So-Do 10-19 Uhr, Fr/Sa 10-22 Uhr, nationalgallery.sg

Singapore Art Museum, 71 Bras Basah Rd, Sa-Do 10-19 Uhr, Fr 10-21 Uhr, singaporeartmuseum.sg

Mehr Infos Singapore Tourism Board: stb.gov.sg

Ulf Lippitz

Zur Startseite