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Kings of the Bongo. Westafrika ist ein Schmelztiegel, beim Festival sur le Niger mischen sich Tradition, Rock, Reggae und Funk.
© David Stock / eyevine / Laif

Westafrika: Tanzen trotz Terrorwarnung: Zum Festival nach Mali

Zwei Freunde fahren zum Festival sur le Niger. Von Telefonaten mit der Botschaft, Bier bei „Mama“ und dem Tuareg-Blues. Ein Protokoll.

Als die SMS des Botschafters kam, wurde uns mulmig. Große Menschenansammlungen meiden. Aus gegebenem Anlass. So was stand da. Was trieben wir hier eigentlich? Zwei Typen Anfang 30 in Ségou, einer 133.000-Einwohner-Stadt am Rande der malischen Sahara, am Ufer des Niger. Zwei Typen auf einem Festival, Feiern und Tanzen im landesweiten Ausnahmezustand, der seit November 2015 gilt. Ein bisschen wahnsinnig war das schon. Aber wir sind auch ein bisschen wahnsinnig.

Lech wollte schon länger nach Mali, er ist fasziniert von diesem Melting Pot, drei Mal so groß wie Deutschland. So viel Musik ist von dort in die Welt gelangt, vor Jahrhunderten schon mit den Sklavenschiffen nach Amerika und heute noch in die ganze Welt. Eines der wichtigsten Festivals der Region ist aus einem jährlichen Treffen der nomadischen Tuareg entstanden, es hatte auch Künstler und Fans aus Europa angelockt – bis vor einigen Jahren zumindest. Islamisten hatten den Arabischen Frühling ausgenutzt und sich im Norden und Westen Afrikas ausgebreitet. Sie griffen auch und gerade Touristen an.

Dieses Festival fand Anfang 2012 nahe Timbuktu zum vorläufig letzten Mal statt. Ausländer kamen kaum noch. Kurz darauf eskalierte die Lage im Land: Tuareg-Separatisten und Regierungstruppen bekämpften sich, das Militär stürzte den Präsidenten, Kämpfer eines Al-Qaida-Ablegers zerstörten in Timbuktu jahrhundertealte Mausoleen, die zum Unesco-Weltkulturerbe gehörten. Bald mischten sich die Franzosen ein, auch Deutschland entsandte Soldaten. Ein Riesenchaos.

2016 sahen wir die Dokumentation „Mali Blues“ über Musiker, die von Dschihadisten bedroht wurden, fliehen mussten und weiter Musik machten und auftraten. Trotz allem. In der Doku ist auch von einem anderen Musikfest die Rede, dem Festival sur le Niger in Ségou. Die Organisatoren engagieren sich für Frieden im Land und gegen religiösen Fanatismus, das dreitägige Event soll ein Zeichen sein. Auch 2019 wieder.

Da wollten wir hin, das wollten wir sehen.

Oftmals ist es vor Ort gar nicht so gefährlich

Ségou, etwa 240 Kilometer entfernt von der Hauptstadt Bamako, liegt nicht weit südlich einer gedachten Linie, die das Auswärtige Amt zieht. Für die Regionen nördlich dieser Linie gibt es eine Reisewarnung, unnötige Reisen sind im ganzen Land zu vermeiden. Ist es nötig, zu einem Festival zu fahren? Für uns schon.

Leo reizt es, Länder zu sehen, wo nicht alles voller deutscher Kartoffeln ist. Nervenkitzel, der Drang, sich immer etwas Krasseres zu geben, spielt mit hinein. Wobei: Oftmals ist es vor Ort gar nicht so gefährlich, wie einem vorher weisgemacht wird. Leo hat sich im Iran jedenfalls ziemlich wohlgefühlt. Und wir haben fest daran geglaubt, dass Westafrika mehr ist als die schrecklichen Nachrichten, die bei uns in Europa ankommen. Zum Beispiel ein unfassbarer Hort für geile Funkbands aus den 60ern und 70ern.

Wir waren auf vielen Festivals, vor allem auf solchen, die man als halbwegs junger Berliner eben so kennt. Die Fusion in Mecklenburg, das Garbicz in Polen, so was. Und wir sind viel gereist, durch alle Kontinente. Lech war einige Monate in Südostafrika unterwegs, auch in Mosambik und in Malawi. Wie riskant das war, wurde ihm erst später klar. Als wir herumerzählten, dass wir Anfang 2018 nach Mali fahren, kamen die besorgten Fragen schon im Vorfeld. Freunde schauten ungläubig, Leos Schwestern fragten, ob dieser Trip wirklich sein müsse. Seine Mutter hingegen: „Ich hab’ ein gutes Gefühl, macht mal.“

Leo und Lech mit einem der vielen Soldaten, die Ségou während des Festivals gegen Terroristen sichern.
Leo und Lech mit einem der vielen Soldaten, die Ségou während des Festivals gegen Terroristen sichern.
© privat

Und das taten wir auch, und zwar so, wie wir jede Reise angehen – mit einer, sagen wir mal, eher punktuellen Vorbereitung. Bis jetzt ist nie etwas Schlimmes passiert, warum hätte es diesmal anders sein sollen? Die Warnungen des Auswärtigen Amtes haben wir eher überflogen als gelesen, Unterkünfte wollten wir uns vor Ort suchen.

Einen Gang runterschalten

Schon die Hinreise war skurril: Im Flieger von Paris nach Bamako saßen nur wenige weiße Passagiere, und die gehörten entweder zum Bordpersonal oder waren Soldaten. Nach der Ankunft nahmen wir ein Taxi Richtung Stadtzentrum und hatten den Eindruck, in einem Kriegsgebiet gelandet zu sein. Neben dem Flughafen befand sich eine Militärbasis, man sah Panzer, Stacheldraht, Sandsäcke und Männer mit Maschinengewehren. Bamako selbst ist eine sandige, vermüllte Stadt. Wir fragten uns bis zu einem Hotel durch, ein paar Gäste und der uralte Rezeptionist hatten ordentlich was getankt und schauten Fernsehen. Wir blieben eine Nacht.

Am nächsten Morgen gingen wir zum Busbahnhof und kauften Tickets nach Ségou. Die Fahrt dauerte fünf Stunden, weil ständig angehalten, ein Motorrad aufs oder eine tote Ziege vom Dach geladen wurde. Da bekommt man ein ganz gutes Gefühl für den Rhythmus des Landes. Einen Gang runterschalten, alles etwas entspannter sehen.

Die Einstellung hilft auch, wenn man in Ségou ankommt, sich nach Unterkünften erkundigt und als Antwort nur „It’s not possible“ bekommt. Wir haben dann doch etwas gefunden, ein heruntergekommenes Hotel aus den 80er Jahren. Hier saßen wir also am ersten Nachmittag und starrten auf die SMS an alle Deutschen, die sich auf der Krisenvorsorgeliste eingetragen hatten: „Liebe Landsleute, aus gegebenem Anlass möchte ich an die Sicherheitshinweise der Botschaft erinnern, insbesondere die Vermeidung großer Menschenansammlungen. Der Hinweis vom 22.11.2017 bezüglich Aufenthalten in der Stadt Ségou bleibt nach wie vor relevant. Mit freundlichen Grüßen, D. Becker, Botschafter.“

Scheiß drauf, wir brachten uns in Festivalstimmung

Dieser Mann schneidert den beiden Festivalbesuchern Anzüge im traditionellen Stil - extra bunt natürlich.
Dieser Mann schneidert den beiden Festivalbesuchern Anzüge im traditionellen Stil - extra bunt natürlich.
© privat

Welcher Hinweis? Wir schauten uns an – und waren uns plötzlich zum ersten Mal unsicher. Anruf in der Botschaft: „Wie sieht die Gefahrenlage denn aus?“ – „Ich kann nichts Genaueres sagen, nur, dass ich Ihnen dezidiert rate, Ségou zu verlassen.“ – „Sie müssen doch ein paar Details haben!“ Der Mitarbeiter wiederholte sich noch zwei Mal, sein Tonfall wurde immer ernster. „Die abstrakte Gefahr ist so groß wie nie.“ Wir legten auf und dachten nach. Was, wenn jemand eine Bombe zündete, in der Menge vor der Bühne? Was, wenn wir danebenstünden? Wie hoch war die Chance, dass genau das eintreten würde? Je länger wir grübelten, desto kleiner wurden unsere Zweifel. Auch, weil wir nicht zweifeln wollten. Die Alternative war: zurück nach Bamako – also keine Alternative. Außerdem hatten wir zu diesem Zeitpunkt schon die Bühnen und das Line-up gesehen: Tinariwen, die Götter des Desert Blues, und Habib Koité, ein Star in Mali, der afrikanische Stile mit Rock und Reggae zusammenbringt. Wir hatten richtig Bock.

Scheiß drauf, dachten wir und brachten uns in Festivalstimmung. Dazu gehört der passende Look. Wir fanden einen Mann, der uns traditionelle Anzüge auf den Leib schneiderte, lockere Zweiteiler aus Hose und langem Hemd, dazu passende Kappen, die wie Schiffchen auf dem Kopf sitzen. Für uns konnten die Stoffe gar nicht ausgefallen genug sein, von oben bis unten in Pink, mit kleinen Rauten, Schlangenlinien, gelben Gockeln auf blauem Grund. Wir gehörten zu den wenigen weißen Festivalbesuchern in der Stadt, und als ob das nicht auffällig genug gewesen wäre, sahen wir nun auch noch so aus. Falls uns die Einheimischen für komisch hielten, ließen sie es sich jedenfalls nicht anmerken. Wir bekamen sogar Lob für unsere Outfits, auf der Straße streckten manche Leute den Daumen hoch.

Lila Wolken. Sonnenuntergang am Ufer des Niger in Ségou.
Lila Wolken. Sonnenuntergang am Ufer des Niger in Ségou.
© pa/EPA/NIC BOTHMA

Auf einmal war der Terror wieder egal

Das Festivalgelände lag am Fluss, die andere Uferseite, überhaupt die ganze Stadt mit ihren vereinzelten Lehmbauten im historischen Stil war durch Soldaten gesichert, vor allem am Sonnabend, als Malis Afropop-Legende Salif Keïta auftrat – zu groß war die Gefahr, dass sich Terroristen etwa mit Booten näherten. Die Sicherheitskontrollen am Einlass erschienen uns streng, es gab Metalldetektoren, man wurde abgetastet. Zumindest zeitweise. Stunden später waren die Kontrollstellen verwaist, man gelangte einfach so zu den Bühnen. Auf einmal war der Terror wieder egal.

Uns sollte es recht sein. Wir sahen die ersten Auftritte und wussten: Alles richtig gemacht. Tausende Menschen wuselten zwischen den Bühnen und den Kunstmarktständen, Alte und Junge, Ärmere und solche mit Geld. Für die Einheimischen kostete der Eintritt umgerechnet etwa zwei Dollar, für uns 50 Dollar. Richtig so. Kaum jemand trank Alkohol – Mali ist ein muslimisch geprägtes Land – , und trotzdem feierten viele bis zum Morgengrauen, sangen die Songs mit, rissen ihre Arme hoch, machten Handyvideos, waren gut drauf und offen, auch uns gegenüber. Immer wieder bildeten sich Kreise, jemand tanzte in der Mitte, Frauen und Männer. Nichts für Islamisten.

Am zentralen Imbissstand bestellten wir Huhn, auf den Tisch kam der komplette Vogel, grob in drei Teile gehackt. Hier bekamen wir auch Bier, von Weißen hatte man das wohl eh nicht anders erwartet. Weil wir keine Lust hatten, weiter im vollkommen charmefreien Hotel zu wohnen, fragten wir die nette Imbissbetreiberin nach privaten Unterkünften. Sie bot uns an, bei ihr unterzukommen, in einem kleinen fensterlosen Raum, darin Reifen und ein alter Teppich. Perfekt. Wir hatten eine neue Bleibe und „Mama“, wie wir die Frau fortan nannten, das Monopol auf unsere Bierversorgung. Bei den Nachbarn kamen wir ebenfalls gut an. So gut, dass Lech ihre erwachsene Tochter kaufen sollte. Er lehnte höflich ab.

Wir hatten den Spaß unseres Lebens

Das beste Konzert fand abseits des Festivalgeländes im Hambe Hôtel statt. Zwei Schweizer, auch Touristen, hatten uns den Tipp gegeben. Kader Tahanin und seine Band sahen aus, als seien sie noch tags zuvor durch die Wüste gezogen. Einer trug eine kunstvoll gedrehte Stoffwurst um den Kopf, daraus hing etwas Tuch herab, das fast das ganze Gesicht bedeckte, nur seine Augen waren zu sehen. Sie spielten Bass, E-Gitarre und statt eines Schlagzeugs bearbeiteten sie einen ausgehöhlten Kürbis. Dumpfe Schläge, eine wehmütige Melodie, die Saiten klagten über, ja, über was eigentlich? Traurige Tuareg. Es war warm, auch nachts noch, ab und zu strich uns der trockene Wüstenwind über die Gesichter. Der Botschafter und seine SMS waren längst vergessen.

Lech und Leo tanzen durch die Nacht, bis am Morgen ein gepanzertes Budneswehrauto an ihnen vorbeifährt.
Lech und Leo tanzen durch die Nacht, bis am Morgen ein gepanzertes Budneswehrauto an ihnen vorbeifährt.
© privat

Beim Konzert lernten wir den Bandmanager kennen. Er packte uns in seinen Wagen, erst fuhren wir in einen Club, dann in die Villa eines Mäzens am Stadtrand. Viele Musiker waren hier untergebracht, wir hingen ein bisschen herum, sahen uns in den Räumen voller malischer Kunst um. Es war absurd, unwirklich, die Situation so gar nicht wahrscheinlich, aber hey, da waren wir: zwei mindestens angetrunkene Touristen in Mali, die den Spaß ihres Lebens haben.

Bevor wir am Morgen zurück zu „Mama“ fuhren, frühstückten wir vor einem Reisfladenstand an einer Ausfallstraße. Wir trugen noch immer unsere malischen Anzüge und waren ziemlich verkatert, da fuhr ein gepanzertes Bundeswehr-Fahrzeug vorbei, die schwarz-rot-goldene Flagge wehte auf dem Dach. Wir riefen „Servus“ und lachten. Der Typ am Steuer hat vielleicht Augen gemacht! Hinterher erfuhren wir, dass die Organisatoren überlegt hatten, wegen der schlechten Sicherheitslage abzusagen.

Der Tagesspiegel empfiehlt, die aktuellen Reise- und Sicherheitshinweise unter auswaertiges-amt.de zu beachten.

Angie Pohlers

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