Imarhan live in Berlin: Kreuzberger Wüstentanz
Hypnotischer Groove: Die algerische Tuareg-Band Imarhan spielt im Lido urbanen Sahara-Blues und zeigt, dass Gitarrenmusik noch lange nicht tot ist.
Seit einigen Jahren wird in Musikmagazinen ja gerne über den Tod der Gitarre lamentiert. Die Absatzzahlen schrumpften, Hip-Hop dominiere die Charts. Das ist natürlich eine sehr anglo- und eurozentristische Sichtweise. In der Subsahara-Region zum Beispiel werden heute so viele Gitarren verkauft wie nie zuvor – allerdings nicht die handverarbeiteten Luxusobjekte aus dem Hause Gibson, sondern billige Imitate made in China. Der Boom ist maßgeblich einer jungen Generation von Musikern aus Algerien, Mali und Niger zu verdanken, die sich selbst ishumar nennen und der Musik ihrer Vorväter einen neuen Schliff verpasst haben. Imarhan aus der kleinen Wüstenmetropole Tamanrasset im Süden Algeriens gehören derzeit zu den exponiertesten Vertretern von Tuareg-Bands, die die traditionelle Musik der Nomaden, ein durchaus kampflustiges Völkchen, weit über die Grenzen der Subsahara in die Welt tragen.
Am Dienstag spielt die sechsköpfige Band um Sänger und Leadgitarrist Sadam Ag Ibrahim ein begeisterndes Konzert im Berliner Lido, das das volle Potential des kargen Sahara-Blues aufzeigt. Ihre Musik ist eine Hommage an die allgegenwärtigen Tinariwen, die in den achtziger Jahren begannen, die Tuareg-Lieder mit Blues- und Rock-Einflüssen zu kombinieren. Vor zwei Jahren ersetzte Sadam für eine Tour den legendären Tinariwen-Gründer Abaraybone. Die Verbindungen zwischen den Jungen und den Alten gehen tief, wobei die Mitglieder von Imarhan nicht mehr – wie ihre Vorbilder – geschlossen in der traditionellen Tuareg-Kleidung auftreten. Ihre Bühne-Outfits sind folkloristisch inspiriert, aber modern interpretiert, wie auch ihre Musik. Sadam und seine Mitstreiter haben den spröden Trance-Rock der Wüste genauso verinnerlicht wie die treibende Polyrhythmik das Techno.
In Algerien spielen Imarhan auf Hochzeiten
Im Kontrast zur Musik – oder angesagten Tuareg-Acts wie Bombino oder Mdou Moctar – wirkt ihre physische Präsenz eher reserviert. In Bewegung befindet sich dafür das auffallend junge Publikum, das sich vom hypnotischen Groove der funkigen Postpunk-Akkorde, die Sadam lässig wie an einer Perlenschnur aufzieht, und dem Basshämmern der prominent im Klangbild platzierten Kalebasse, einem traditionellen Percussioninstrument, treiben lässt. In Algerien spielen Imarhan auf Hochzeiten, diese Ausgelassenheit findet eine schöne Balance in den akustischen Balladen (Sadam singt in Tamashek, der Sprache der Tuareg), die vom Gefühl der Heimatlosigkeit, vom Hunger, vom Krieg und natürlich der Liebe handeln. Die leidvolle Geschichte der Tuareg steckt in der DNS dieser Musik, Imarhan ergänzen sie respektvoll um ihre nicht ganz untypische Erfahrung als Millenials. Und krönen ihre Reise schließlich mit einem Black-Sabbath-Gedächtnisriff.
Andreas Busche