Ein Stasi-Romeo der DDR erzählt: Sein Deckname war Wolfi
So wie im aktuellen ZDF-Dreiteiler "Der gleiche Himmel": Auf Befehl der DDR-Staatssicherheit schlief er mit Westfrauen. Was war seine Mission? Und gab es sie wirklich, die Flirtschule des MfS?
Vielleicht hätte er diese Geschichte ja für immer in sich versenkt, hätte sie nie rausgelassen, sie einfach totgeschwiegen. Wenn nicht diese Filmpräsentation gewesen wäre: „Der gleiche Himmel“ wurde im kleineren Kreis vorab gezeigt, ein ZDF-Dreiteiler, der jetzt am Montag im Fernsehen startet. Tom Schilling spielt darin einen Romeo-Agenten, so nannte man in der DDR die eigenen „Kundschafter des Friedens“, die mit der Klassenfeindin ins Bett gingen, um an ihre Geheimnisse zu kommen.
„Das ist doch meine Geschichte“, dachte Wolfi, als Gast bei dieser Premiere. Wolfi, so lautete früher sein Deckname bei der Stasi, anders möchte er heute in diesem Zusammenhang auch nicht genannt werden. Er ist inzwischen 64 Jahre alt, in seinem Beruf erfolgreich. Und bis jetzt weiß niemand sonst, was er vor mittlerweile 40 Jahren getan hat: Auf Befehl vögelte er fürs Vaterland.
Eine Formulierung, die er freilich nie benutzt hat. Sie soll in der geheimen Stasi-Schule in Belzig verwendet worden sein, wo Agenten auf ihre Aufgaben vorbereitet wurden. Wolfi hat sie nicht besucht.
Doch wie er Tom Schilling sah, der im Film all sein Können als Stasi-Casanova einsetzt, um eine Analystin aus der geheimen US-Abhörzentrale auf dem Teufelsberg für sich zu gewinnen, da fiel ihm alles wieder ein. Nein, ihm ist es nie gelungen, Geheimes vom Teufelsberg abzuschöpfen, auch keinem anderen Romeo, das ist und bleibt Fiktion in einem Spielfilm. Doch das mit der gespielten Liebe im Auftrag der Staatssicherheit war Teil seines Lebens, vier Jahre lang, von 1974 bis 1978.
Hatte er eine todsichere Masche?
Das Café in Grünau sieht mit seinem Jugendstilinterieur noch aus wie vor 40 Jahren, beinahe wenigstens. Damals traf Wolfi mitunter seine FOs hier, die Führungsoffiziere. Er erzählt von der Geschichte mit Susi, Rechtsreferendarin aus Niedersachsen, Mitte 20, blond, groß, sportlich, in die war er wirklich verliebt. Ein Problem, denn Liebe war nicht erwünscht. Distanz wahren, hieß die Devise, mental freilich nur, ansonsten war Abstand in diesem Metier ganz und gar nicht gewollt. Wie sich schon an seiner Ausrüstung zeigte, zu der immer eine Packung Kondome gehörten.
Susi traf er Mitte der 70er Jahre. Er bekam ihr Foto, den Namen, und ihm wurde gesagt, wo er sie finden würde: In einem Hotel an Bulgariens Goldstrand. Es war nicht sein erster Einsatz und nicht sein letzter. Hatte er eine todsichere Masche? Wolfi, immer noch sportlich fit, schürzt die Lippen, überlegt. Er ist keiner, der schnell spricht, war er nie. Gib nicht zu viel von dir preis, hieß die erste Lektion für künftige Romeo-Agenten.
Wie also ging er vor? Man muss behilflich sein, bei der Auswahl zum Beispiel, neben ihr vor einem Schaufenster, am Hotelbuffet oder am Strand. Welche Hilfe bietet man am Strand an? Wolfi schaut, als ob er einen für ein wenig minderbemittelt hält. Sonnenschirm aufspannen, Liege verrücken, ganz egal, irgendwas geht immer.
Möchtest du ein Eis? Wolfi fragte das strategisch geschickt, kurz bevor die anderen schwimmen wollten. Sie mussten allein gehen, denn Susi wartete ja nun, bis er mit dem Eis zurückkam. So hatte er sie von ihrer Gruppe getrennt. Das war immer die erste Aufgabe: Du musst sie aus der Gruppe herauslösen. Mit Susi, das hätte was Ernstes werden können, sagt er heute, gern hätte er noch das Foto von ihr. Er sah sie nur einmal wieder. Zum Glück – für sie und ihn.
Auch in der Bundesrepublik gab es Romeo-Agenten
Die bulgarische Schwarzmeerküste war damals eines der bevorzugten Jagdreviere der Stasi. Es gab noch ein anderes: Bonn, die Bundeshauptstadt. Markus Wolf, Chef der HVA, des Auslandsgeheimdienstes der DDR, hat zwar in seinen Memoiren geleugnet, Agenten mit einer derart „speziellen Auftragsstruktur“ entsandt zu haben, die Realität sah anders aus, wie Stasi-Offizier Werner Stiller nach seiner Flucht 1979 in den Westen verriet. Gerade Sekretärinnen gerieten ins Visier der HVA. Sie waren schlechter abgeschirmt als ihre Chefs, doch oft genauso gut informiert.
Auch der Westen bestritt, Romeo-Agenten einzusetzen, was ebenfalls nicht stimmte. Elli Barczatis, Sekretärin des DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl, steckte ihrem Liebhaber Karl Laurenz geheime Unterlagen zu. Laurenz arbeitete für den BND-Vorläufer „Organisation Gehlen“, wurde enttarnt und wie Barczatis 1955 hingerichtet.
Aktiver aber war die HVA. Marianne Quoirin, Autorin des Buches „Agentinnen aus Liebe“, geht von 80 Romeos aus, die zwischen 1960 und 1990 in der Bundesrepublik „operierten“. Etwa 40 Frauen wurden ihre Opfer – und dann Täterinnen.
Sie saßen zum Beispiel im Büro des damaligen CDU-Generalsekretärs Kurt Biedenkopf oder im Direktorium des Nato-Generalsekretariats. Sie waren einsam, erfuhren in der Männerrepublik der 60er und 70er Jahre oft wenig Wertschätzung. Doch sie wurden beobachtet. Plötzlich war da einer, kannte ihre Interessen, Wünsche, Sehnsüchte. Romeos tischten abenteuerliche Geschichten auf, mit denen sie ihre ungewöhnliche Neugier verbrämten.
Der nette Mann etwa, der sich 1977 im Café „Rhein-Pavillon“ mit Gabriele K. verabredete, hieß weder – wie von ihm behauptet – Frank Dietzel, noch war er für ein Münchner Friedensforschungsinstitut tätig. Gabriele K. beschaffte ihm trotzdem jahrelang Akten von ihrem Arbeitsplatz in der Bonner US-Botschaft und nahm ihrem Frank noch die dürftigste Legende ab.
Viele Agenten zerbrachen an den Lügen
Gabriele K. wurde 1993 wegen Landesverrats vor Gericht gestellt. Da war sie längst eine gebrochene Frau, arbeitslos, verlassen, depressiv. Sie kam mit zwei Jahren auf Bewährung davon, musste jedoch die Kosten des Verfahrens tragen, darunter auch die Auslagen der als Zeugen angereisten Stasileute, die gegen sie aussagten.
Romeo-Agenten dagegen durften nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1995 mit sehr viel mehr Milde rechnen. Wer seinen Lebensmittelpunkt in der DDR hatte, der konnte aufgrund seiner Auslandseinsätze nicht wegen geheimdienstlicher Tätigkeit verfolgt werden. Und die Bonner Republik war vor 1990 Ausland.
Doch auch Romeos zahlten ihren Preis. Die „Kundschafter des Friedens“ mussten im Westeinsatz nach außen glaubhaft „die kapitalistische Lebensweise mit ihren Normen und Werten“ vorspielen. Manch einer fand Gefallen am damit verbundenen Lebensstil. Es gab Romeos, die aus Angst vor Enttarnung über Nacht abgezogen wurden, eine Frau und ein Leben zurückließen, das ihnen womöglich inzwischen mehr bedeutete als vorgesehen. Andere zerbrachen daran, über Jahre in einem Lügengeflecht leben zu müssen.
Marianne Quoirin zitiert in ihrem Buch einen Psychologen des ostdeutschen Ministeriums für Staatssicherheit, der seinerzeit zu dem Urteil kam, „dass die zurückgekehrten Kundschafter ein großes Potenzial an kaputten Typen bildeten, welche dringend psychologischer Hilfe bedurften.“
"Du bist ein ganz schöner Scharlatan"
Wolfi wuchs bei seiner Mutter auf, den Vater lernte er nie wirklich kennen, weil er sich früh in den Westen absetzte. Die Mutter hatte selbst in jungen Jahren ihre Eltern verloren, erfuhr dafür die Fürsorge des ostdeutschen Staates. Eine Fürsorge, die sie mit Linientreue zurückgab. Wolfi erlebte sie als streng, „eine Freundin mit nach Hause bringen, das war undenkbar“. Dass ihr Sohn schon mit 13 seine erste sexuelle Erfahrung machte, mit Elke, einer Kellnerin im Urlaub im Erzgebirge, kriegte die Mutter nicht mit.
Wolfi wurde Berliner Meister im Seesport, ein maritimer Mehrkampf, der Disziplinen wie Segeln, Rudern, Schwimmen, Schießen, Laufen und Tauklettern beinhaltete. Das MfS begann sich für den jungen Sportler zu interessieren.
Einen ersten Auftrag übernahm er als 19-jähriger Praktikant im Berliner Fleischkombinat. „Die Ausschussquote dort war ungewöhnlich hoch“, erinnert er sich, das sei aufgefallen. Tatsächlich malträtierten Arbeiter das Vieh auf dem Weg zur Schlachtbank mit Knüppeln. Stress und die Hämatome machen das Fleisch für den Westexport unbrauchbar. Wolfi war empört, wie die Kreatur geschunden und die Volkswirtschaft geschädigt wurde, dokumentierte alles mit der Kamera und sah sich auf der Seite der Guten. Die Losung Kennedys, die ihm ausgerechnet durch eine Gedenkkarte der Bundespost seit seinem zwölften Lebensjahr geläufig war: „Frage dich nicht, was dein Land für dich tun kann, frage, was du für dein Land tun kannst“, die galt für ihn auch in der DDR.
Eines Tages wartete im Büro der FDJ-Leitung an der Universität ein Mittdreißiger im Anzug auf ihn, fragte, ob Wolfi die Bedeutung der Buchstaben MfS kenne. Der Fremde wusste alles über ihn und sagte, „du bist ja ein ganz schöner Scharlatan“. Wolfi galt inzwischen als Casanova.
Wenn eine Frau nach Schweiß roch, ging für ihn gar nichts
Zunächst sollte er nur am Bahnhof Friedrichstraße herumstehen, beobachten, mit Westlern Kontakt aufnehmen und berichten. Scheinbar ziellos, „die wollten sehen, wie ich das mache“.
Eine Ausbildung, wie sie Tom Schilling im Film in der Stasi-Schule erhält, gab es für ihn nicht – auch keine Flirtschule, deren Existenz hält Marianne Quoirin für unwahrscheinlich. Wolfi erhielt Einzelunterweisungen, die selbst intime Fragen nicht aussparten. Da wurde über die Anatomie der Frau gesprochen und darüber, dass junge Männer viel zu schnell zur Sache kommen wollten. Mit schnellem Sex aber baut man keine Bindungen auf. „Die haben mir sogar gesagt, wie ich an eine Frau herantreten soll“, nicht immer direkt von vorn, sondern auch mal von hinten, und dann aus der Drehung heraus einen Satz anbringen, wie „Sie sind aber eine schöne Frau“. Was Wolfi einigermaßen albern fand.
Den ersten Auslandseinsatz hatte er 1974 in Prag. Renate war blond und hatte viele Sommersprossen. Eigentlich war sie nicht so sein Fall, Wolfi bevorzugte den mediterranen Typ. Hätte er ablehnen dürfen? Oder schlimmer, gab es Fälle, wo er wusste, das kann ich nicht? Wolfi nickt. Der Duft, das war ihm wichtig, „auch Westfrauen konnten nach Schweiß riechen“. Dann ging für ihn gar nichts. Er schlug seinem Führungsoffizier, dem er täglich Bericht erstatten musste, eine andere Frau vor.
Es musste Sex mit Wow-Effekt sein
Ihm sei nie recht klar geworden, worauf das alles hinauslaufen sollte. „Die interessierten sich für intimste Details“, bis hin zur Frage, ob es zum Orgasmus kam. Erkennbar Brisantes sei aber nie dabei gewesen. Meistens handelte es sich um Studentinnen, er selbst sollte ja den Studenten geben. Und er vermutet, dass seine Führungsoffiziere hofften, daraus könne sich etwas Langfristiges ergeben, mit einer Frau, die in der Bundesrepublik eine interessante Karriere machen würde. Anhängerinnen der DKP, der westdeutschen Kommunisten, sollte er ausdrücklich meiden.
Tatsächlich plante die Stasi ihre Operationen manchmal über Jahre hinweg und mit großem Aufwand, nahm in Kauf, dass ein einziger Erfolg auf Dutzende Fehlschläge kam. Wolfi wurde großzügig ausgerüstet, in einer Brieftasche mit Geheimfach gab man ihm umgerechnet 1400 Mark als Schwarzgeld mit auf den Weg. Und in vier Jahren gewann er zehn oder zwölf Frauen für sich. Wie er das machte? Durch Einfühlungsvermögen. Man müsse zuhören können. Natürlich war Sex auch wichtig, Sex mit Wow-Effekt, ein Erlebnis, an das sie sich erinnern würde. An wechselnden Orten, im Wasser, am Strand, in einer Nische in der Tanzbar. Einmal kassierte er eine Ohrfeige. Einmal wurde er in eine Schlägerei verwickelt, mit jungen Bulgaren, die zwar keine Agenten waren, aber auch scharf auf Westfrauen. Rudi, sein Führungsoffizier, war über Wolfis blaues Auge entsetzt.
Es galt, bloß kein Aufsehen zu erregen, und Disziplin war oberstes Gebot. Seine Offiziere entschieden auch, wann er eine Beziehung zu beenden hatte. Susi traf er noch einmal in Ost-Berlin, für vier Stunden. Er wüsste gern, was aus ihr geworden ist. Ob er wirklich glaubt, sie würde ihm verzeihen, wenn sie erführe, weshalb er sie damals so umschwärmte? Warum denn nicht, sagt Wolfi.
Erst viel später erfuhr er, dass zwei IMs auf ihn angesetzt waren
Das Ende seiner Arbeit als Romeo-Agent war unspektakulär. Er bekam keine Aufträge mehr. „Vielleicht haben die ja gemerkt, dass mein Engagement nachließ, ebenso wie meine Loyalität.“ Es sei ein Pakt mit dem Teufel gewesen, den er eingegangen ist. Das will er damals schon gespürt haben. Zumal seit seiner Begegnung mit Stefan Heym. Den Autor des „König David Bericht“ traf er Mitte der 70er Jahre. Die Geschichte eines Machtmissbrauchs beeindruckte ihn nachhaltig. Vielleicht hätte die Stasi ihn schließlich für einen unsicheren Kantonisten gehalten. Erst sehr viel später erfuhr er, dass zwei IMs auf ihn angesetzt waren.
Natürlich, er habe den Frauen etwas vorgespielt. Aber gehöre das denn nicht zu jeder Verführung, verteidigt er sich. Er habe sich nichts vorzuwerfen, denn es sei ja niemand wirklich zu Schaden gekommen. Vielleicht hat er aber auch einfach nur Glück gehabt. Wer weiß, was passiert wäre, wenn Susi ihn erhört hätte und Referentin in irgendeinem Ministerium geworden wäre.
Und vielleicht bezahlt er auch seinen Preis. Wolfi hat nie geheiratet, keine Familie gegründet. Heute bedauert er das manchmal, fragt sich dann, ob es ohne diese vier Jahre anders gekommen wäre.