Das Modejahr 2018: Schöner wird’s nicht
Kleidung, die irritiert, Läden, die weniger Ware verkaufen, dafür mehr Service bieten und Angebote, die das schlechte Gewissen beruhigen sollen.
1. Je hässlicher, desto besser
„Welchen Abenteuerurlaub habt ihr denn geplant?“ Diese Frage stellte man sich beim Anblick der jüngsten Kollektion von Fenty by Puma, der von Popstar Rihanna entworfenen In-Marke. Was die Models trugen, wäre zumindest optisch geeignet gewesen, den Himalaya zu erklimmen oder den Amazonas zu durchqueren: Windjacken, Cargohosen und Neoprenanzüge in schrillen Signalfarben zu schweren Wanderstiefeln. So etwas fand man bislang zwar im Outdoor-Laden, nicht aber auf dem Laufsteg. Mit gutem Grund, dann schön anzusehen ist es nicht. Genau darum geht es. Je hässlicher und irritierender, desto besser – so lautet derzeit das Motto vieler Designer. Denn was abstößt, ist auch interessant. Und was interessant ist, teilt sich in den sozialen Netzwerken. Das ist inzwischen ein wichtiger Gradmesser für den Erfolg einer Kollektion.
Mode wird heute zuerst auf den Smartphones wahrgenommen, in Form von Instagram-Bildern oder Videos. Ob eine Kollektion als interessant befunden wird oder nicht, entscheidet sich in wenigen Sekunden. Darauf stellen sich die Designer inzwischen ein. Immer öfter treten raffinierte Drapierungen und kunstvolle Schnitte zugunsten von plakativem Design zurück, das schon auf den ersten flüchtigen Blick eine Aussage vermittelt. Signalfarben wie Orange oder Ultraviolett – übrigen die Modefarbe des Jahres 2018 – stellen sicher, dass Entwürfe in der Bilderflut nicht untergehen. Auch der Trend um aufgedruckte Logos oder Slogans mit möglichst einprägsamer Wortwahl ist eine Folge davon. Inzwischen scheint es, als sei ein Wettkampf unter den Designern entbrannt: Was kann den noch größeren Schockeffekt hervorrufen? Dazu wird in allen Ecken gesucht: beim Fetisch-Bereich, der Streetwear, den Untiefen der 90er-Jahre-Mode und nun eben auch im Outdoor-Bereich. Immer ganz vorne in diesem Wettlauf liegt der georgische Designer Demna Gvasalia. Er gilt als Urheber der neuen „Ästhetik des Hässlichen“, der sich nun Designer wie Alexander Wang, Kanye West mit seinem Label Yeezy oder Virgil Abloh bei Off-White anschließen. Auch sie setzen in ihren neuen Kollektionen auf funktionale Stoffe, Schnörkellosigkeit und Unisex-Formen. Damit rütteln sie die Mode ebenso sehr auf, wie es in den 90er-Jahren Designer wie Helmut Lang mit radikalem Minimalismus taten – nur eben auf ein eine wesentlich lautere und rabiatere Weise.
2. Ran an den Kragen
„Wie wir etwas sehen, hat verändert, was wir zu sehen bekommen“, sagt auch die Trendforscherin Lidewij Edelkoort. Die 67-Jährige gilt als Koryphäe ihres Fachs, aus tausenden kleinen Beobachtungen zieht sie große Schlüsse. Ihre These: Designer passen ihre Entwürfe immer häufiger dem an, was auf dem Smartphone am häufigsten zu sehen ist: Nahaufnahmen, Fokus auf Gesicht und Oberkörper, das Bild auf Höhe der Brust abgeschnitten. Während die Bildschirme von einst, also TV oder Laptop, horizontal ausgerichtet waren und uns einen möglichst weiten Blick ermöglichen wollten, ist das Display unserer Smartphones vertikal. Unser Blick ist dadurch enger geworden, die Umgebung eines Motivs wird unwichtiger.
Also rücken Details in den Vordergrund. Weil der Rest verborgen bleibt, wird in Zukunft das, was im Bildausschnitt eines Smartphone-Fotos Platz findet, stellvertretend für das gesamte Outfit stehen müssen. Der Fokus vieler Entwürfe liegt inzwischen auf dem Schulter- und Halsbereich. Das bringt aufwendige, hohe Krägen samt Rüschen und anderen Verzierungen, eng am Hals anliegenden Schmuck, Aufpolsterungen und Kopfbedeckungen mit sich. Aktuelle Trends wie Baretts, die bei Dior für die nächste Saison zu sehen waren, Choker-Ketten wie bei Versace und das Revival der überdimensionierten 80er-Schultern wie bei Gucci lassen sich darauf zurückführen. Generell gilt dabei: Je opulenter und aussagekräftiger das Outfit im kleinen Bildausschnitt erscheint, desto besser. Lidewij Edelkoort geht sogar noch einen Schritt weiter und vermutet dahinter eine psychologische Reaktion auf die unruhige Zeit, in der wir leben: Wir wollen uns wieder mehr auf Details fokussieren und das große (überfordernde) Ganze am liebsten ausblenden.
3. Weniger Ware, mehr Service
Die Kunden sind übersättigt, die Kleiderschränke voll. Gleichzeitig drängen Online-Giganten wie Asos oder Zalando den stationären Handel immer weiter ins Abseits. So muss sich der deutsche Einzelhandel für das Jahr 2017 mit einem Umsatzminus herumschlagen. Kunden kaufen zunehmend online, kommen nicht mehr in die Läden, Filialen müssen schließen. Nun sollen neue Strategien, Konzepte und das Thema Digitalisierung die Kunden wieder in die Geschäfte locken.
Ein Vorreiter-Modell könnte das US-Unternehmen Nordstrom sein, das vergangenen September einen Laden ohne Ware eröffnete. Statt auf überfüllte Kleiderständer wird auf einer rund 280 Quadratmeter großen Fläche auf die Beratung von Stylisten gesetzt. Die ausgesuchten Produkte werden aus umliegenden Filialen bestellt und können dann im Geschäft anprobiert werden. Zu dem innovativen Konzept gehört ein Retouren-Service, eine Änderungsschneiderei und eine Bar. Ganz klar, hier sollen Kundinnen gerne mehr Zeit verbringen.
Viele Luxusmarken konzentieren sich bei ihren Läden vor allem auf digitale Lösungen. Calvin Klein integriert in seinem Geschäft in Shanghai interaktive Video-Installationen und sogenannte Passform-Guides, die dem Kunden helfen sollen, das Richtige zu finden. Tommy Hilfiger setzt auf interaktive Touchscreens mit Produktinformationen und digitale Ankleideräume. Ein kurzer Klick ersetzt langes Suchen.
Der stationäre Handel muss Kundinnen und Kunden in Zukunft deutlich mehr bieten, als den bloßen Erwerb eines Produkts, das geht schließlich auch online. Ein Geschäft an jeder Ecke und volle Kleiderstangen funktionieren längst nicht mehr so gut wie noch vor fünf Jahren. Das zeigen die Zahlen des schwedischen Großkonzerns H&M, der im vergangenen Quartal vier Prozent weniger Umsatz machte. Erstmals in der Unternehmensgeschichte waren die Umsätze rückläufig. Als Reaktion beschleunigt H&M die Verknüpfung von stationärem Handel mit Online und schließt zahlreiche Läden.
Weniger Masse, dafür mehr Tiefe könnte eine klare Botschaft an den Kunden senden und eine bessere Markenidentität sowie ein stärkeres Angebot transportieren. Vor wenigen Tagen erst lancierte H&M eine neue, erstmalig nachhaltige Activewear-Kollektion für Frauen, in der recyceltes Polyester und Elastan verwendet wurden. Was die Firma bisher online versäumt hat, versucht H&M 2018 nun mit seiner neunten Marke wettzumachen, die traditionelle Konzepte auf den Kopf stellen soll. Bei /Nyden (samt Schrägstrich) handelt es sich um einen reinen Online-Shop mit Kleidung, die vor allem von Influencern entwickelt werden soll.
4. Nieder mit dem schlechten Gewissen
Eigentlich ist die Mode ja dafür da, uns ein gutes Gefühl zu geben. Aber wer bei Zara oder Primark schnell mal was Neues kauft, bei dem wird nicht nur Konsumfreude geweckt, sondern vor allem ein schlechtes Gewissen. Fast alle Kunden wissen inzwischen, wie schlecht die Arbeitsbedingungen in Asien sind und wie viele Chemikalien in den Kleidern stecken. Danach handeln tun aber die wenigsten. Wie auch? Noch gibt es viel zu wenig nachhaltige Mode in den Geschäften, viele verwirrende Siegel.
Das Dilemma lässt sich schön an der neuesten Aktion der Panorama zur Fashion Week zeigen: Die Messe hat rund 800 Aussteller und zum ersten Mal auch nachhaltige Mode im Programm. Das Segment, das mit zehn Labels noch überschaubar ist, wird wie folgt beworben: „Fashion goes fair“. Was bedeutet das nun für die Mehrheit der Aussteller, sind die etwa nicht fair?
Deshalb werden in diesem Jahr noch mehr Modefirmen über ihre Pläne berichten, was sie für ein ungetrübtes Einkaufen tun wollen. Sogar der Prügelknabe der Branche, Primark, schließt sich Bündnissen in Bangladesch an, die sich um die Sicherheit der Arbeiter sorgen, verspricht mehr Baumwolle zu verwenden, die, wenn schon nicht ökologisch, aber doch kontrolliert wird.
Auch das Thema Recycling wird in diesem Jahr größer. Irgendwoher müssen die Modekonzerne ihre Rohstoffe ja bekommen. Und wäre es nicht schön, wenn man aus alten Kleidern einfach neue machen könnte und so der Materialschlacht einen gewissen Sinn verliehe? Dabei ist das Recyceln von großen Mengen an Textilien heute noch schwierig. Die meisten Kleider bestehen aus einem Gemisch verschiedener Fasern, es ist schwer, sie zu trennen. Noch bestehen die meisten recycelten Polyesterfasern aus PET-Flaschen oder anderem Industriemüll.
Damit kommen wir zur entscheidenden Frage: Wie kann man in Zukunft noch mehr Spaß daran haben, weniger zu kaufen? Laut Greenpeace ist das die allerwichtigste Maßnahme, um die Zustände in der Modeindustrie zu verändern.