Wohin mit dem Atommüll?: Wie sich Bürgermeister in Bayern gegen die Endlagerung wehren
„Das wäre Totschlag an der Region“: Thurmansbang und Saldenburg im Bayerischen Wald, sind Kandidaten für ein Endlager. Seitdem wachsen Wut und Angst.
Martin Behringers Weg führt steil hinauf, ehe er zeigen kann, wie es in der Tiefe aussieht. Er trägt Lederschuhe, mit großen, schnellen Schritten, vorbei am dichten Nadelgehölz, nähert er sich dem Fels eines alten Steinbruchs. Am Hang fährt er mit seinen Händen über einen Brocken aus Granit, zwei Meter hoch und einen Meter breit ragt er aus einer Felswand.
Mit seinen kräftigen Fingern fühlt er sich in den Stein, in die Risse, die ihn durchziehen, durch die sich Wasser seinen Weg bahnt. Die Witterung hat ihn an manchen Stellen abgedunkelt, die Vormittagssonne hellt ihn wieder auf.
Behringer, mit blauer Fleecejacke, kurzem braunem Haar und schwarz gerahmter Brille, steht eng am Fels, sein ernster Blick liegt auf dem Granit. Es ist ein fester, rauer Stein, schwer zu bearbeiten – ein bisschen so, wie sich Behringer zeigen möchte. „Aber er ist zerklüftet und durchlässig. Wenn Wasser seinen Weg findet, tut es auch Strahlung“, sagt er. „Das gefährdet das Grundwasser und die Menschen in der Region.“
Behringer, gelernter Bäcker und Konditor, steht im Grunde auf einer riesigen Granitplatte, mehrere hundert Meter dick, sie zieht sich im Untergrund bis nach Baden-Württemberg. Hier, am Ortsausgang von Thurmansbang, einer Gemeinde mit 2500 Einwohnern im Süden des Bayerischen Waldes, dessen Bürgermeister der 49-Jährige ist, interessiert ihn an der Durchlässigkeit des Steins nur eines: Unter ihm könnten hochradioaktive Abfälle eingelagert werden, in einem Endlager für Atommüll. Behringer will das verhindern.
Er dreht sich mit dem Rücken zur Felswand, zeigt auf die mit Fichten bewachsene Höhenzüge. Von hier kann man bis nach Tschechien sehen. „Dort bauen sie vielleicht ein Endlager in Granit, dort steht schon das Atomkraftwerk Temelín. Wenn wir das deutsche Endlager bekommen, werden wir hier völlig einbetoniert“, sagt er. „Ein Endlager in Niederbayern wird es nicht geben. Dagegen werden wir kämpfen.“
Im Bundestag und in Ministerien fürchtet man sich vor dem Widerstand
Sätze wie diese sind es, die viele Abgeordnete im Bundestag und Ministerialbeamte schon seit langem fürchten. Seit die Politik die Suche vor Jahren neu aufsetzte, galt die „weiße Landkarte“, kein Standort in Deutschland sollte von der Endlagersuche ausgenommen sein. Drei Jahre arbeitete die Bundesgesellschaft für Endlagerung darauf hin, ungeeignete Gebiete auszuschließen, die nicht über die geologischen Voraussetzungen für ein Endlager verfügen.
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Am vergangenen Montag wurde erstmals eine Liste mit Regionen präsentiert: 90 Gebiete im ganzen Bundesgebiet, Salz-, Ton- und Granitgesteine, kommen weiterhin als Standort für ein Endlager in Betracht. Vor allem der Norden Deutschlands, die ostdeutschen Bundesländer und Baden-Württemberg sind betroffen – und Bayern. Hunderte Gemeinden, Menschen in tausenden Dörfern und Städten können nun sehen, dass sich ihre Region geologisch eignet. Was auch klar ist: Niemand will den strahlenden Schrott in seiner Nachbarschaft – auch nicht tief unter der Erde.
Keine Rolle mehr spielt Gorleben. Geht es um die Suche nach einem Endlager oder die Atomkraft, sind die Bilder aus Gorleben immer da. Mehrere Jahrzehnte stand der Salzstock im Wendland für den Widerstand gegen die Atomkraft. Menschen ketteten sich mitten auf der Straße an herbeigeschleppte, rund einen Meter hohe Betonpyramiden, gruben Tunnel unter Bahngleise und nahmen es mit Wasserwerfern auf, um Castortransporte in das lange Zeit geplante Endlager zu verhindern.
Kein Bundespolitiker, der sich mit der Endlagerung des strahlenden Schrotts befassen muss, hat diese Bilder vergessen. Die Angst, die bei ihnen umgeht: dass sich diese Geschichte wiederholen könnte. Dass sich nun, wo tausende Dörfer und Gemeinden weiterhin betrachtet werden, dutzende, gar hunderte kleiner Gorleben bilden könnten. Gallische Dörfer, die hartnäckig Widerstand leisten gegen den Bau eines Endlagers. Der Widerstand könnte Regionen prägen wie einst das widerspenstige Wendland.
Die Farbe des Granits, wie ein Schleier über der Region
Etwa in Bayern. Aus dem Fenster seines Büros im Rathaus von Thurmansbang, einem flachen Neubau, blickt Martin Behringer auf die Höhenzüge, 650 Kilometer südöstlich von Gorleben. Auf die Straße, die sich durch den Ort schlängelt, vorbei an Einfamilienhäusern mit weißen und cremefarbenen Fassaden. Gepflegte Rasenflächen, die gelb gestrichene Kirche des Ortes, den neben ihr liegenden Friedhof. Es ist recht still in Thurmansbang.
In Behringers Büro hängt eine Karte an der Wand, zweieinhalb Meter hoch, grün schraffiert sind darauf die Gemeinden der Region zu erkennen, Misch- und Nadelwälder wachsen oft bis an den Rand der Dörfer in den Tälern. Behringer ist Mitglied der Freien Wähler. Um 9.15 Uhr am vergangenen Montag öffnet er den Bericht der Bundesgesellschaft für Endlagerung. Sieht, dass ganz Niederbayern eingefärbt ist, sich die Farbe des Granits wie ein Schleier über die Region legt.
Während die Geschäftsführer der BGE in Berlin ihren Bericht vorstellen, telefoniert Behringer von Thurmansbang aus mit Kollegen in der Region, deutet die Informationen aus dem Bericht. Dass das Teilgebiet, in dem der Ort liegt, 36.836 Quadratkilometer groß ist, sich quer durch Bayern bis nach Baden-Württemberg zieht. Dass das Deckgebirge, also die Granitschicht dort 200 bis 1200 Meter dick sei. Von einer „günstigen geologischen Gesamtsituation“ für die Einlagerung des Atommülls ist die Rede.
"Die Wahrheit tut nur einmal weh"
„Was sagt der Bericht schon aus?“, fragt er drei Tage später in seinem Büro. „Da ist ja das halbe Land auf der Karte. Und ausgerechnet Gorleben nehmen sie raus?“ Behringer schüttelt den Kopf. Die BGE, sagt er, habe ihre Glaubwürdigkeit verloren.
Schon Tage vor der Veröffentlichung des Berichts kamen Lokalpolitiker von CSU, SPD und Freien Wählern in Thurmansbang zusammen. Ein Endlager würde keiner von ihnen akzeptieren. „Der Schaden wäre riesig, das wäre Totschlag an der Region“, sagt Behringer. Seit 2002 ist er Bürgermeister des Ortes, in dem er aufwuchs. Mit 24 wurde er politisch aktiv, ab 1996 saß er im Gemeinderat. Seine Arbeit folgt einem Grundsatz: „Wenn einem etwas nicht passt, muss man es ändern.“
Er zeichnet das Bild einer Region, die vom Tourismus lebt, schwere Jahre hinter sich hat, gezeichnet von der Landflucht und einem schwindenden Vereinsleben, sich aber seit 2008 erholt, auch weil sich innovative Unternehmen ansiedeln. Am Fenster hängt ein Jutebeutel des Atombundesamtes, gelb mit schwarzer Aufschrift: „Schatz, bringst du bitte mal den Müll runter?“ „Ein makabrer Witz“, sagt Behringer.
Neben ihm sitzt Max König, Bürgermeister des benachbarten Saldenburg. Er kritisiert, dass die Flächen, die für die Endlagerung geologisch infrage kommen sollen, so riesig sind. Aus seiner Sicht, um Konflikte klein zu halten. „Die Wahrheit tut nur einmal weh“, sagt er.
Überall im Bundesgebiet organisieren sich in diesen Wochen Bürgerinitiativen. Anti-Atom-Initiativen wie „Ausgestrahlt“, die der Suche immer kritisch gegenüber standen, beraten sie.
Widerstand bis in die Landespolitik
Doch in Bayern zieht sich die Ablehnung bis in die Landespolitik. Erst vor zwei Jahren schrieben sich CSU und Freie Wähler in ihren Koalitionsvertrag: „Wir denken beim Schutz unserer Heimat über Generationen hinaus. Wir sind überzeugt, dass Bayern kein geeigneter Standort für ein Atomendlager ist.“
Als die Geschäftsführer der BGE, Stefan Studt und Steffen Kanitz, nach der Veröffentlichung des Berichts in Berlin noch Interviews geben, stellt sich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder in München schon vor die Presse und kritisiert das Verfahren. Dass Gorleben herausgenommen wurde, dass nun zwei Drittel seines Landes weiter betrachtet werden. „Das ist kein Ja-Amen-Prozess.“
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Im Bayerischen Wald sind die Menschen noch etwas hartnäckiger als in der Landeshauptstadt im Südwesten. Wochen, bevor der Endlager-Bericht online ging, unterschrieben niederbayerische Landräte und Landtagsabgeordnete ein Papier, in dem sie Granitgestein im Bayerischen Wald und insbesondere nahe der Gemeinde Saldenburg für ungeeignet erklärten. Man müsse den Granit „frühzeitig“ aus dem Verfahren nehmen.
„Die Zukunftsfähigkeit des Bayerischen Waldes und Niederbayerns hängt maßgeblich von dieser Entscheidung ab“, sagte Landrat Sebastian Gruber kurz vor Veröffentlichung der Teilgebiete in der lokalen Presse. Und Gruber, immerhin CSU-Mitglied, bleibt auch jetzt dabei. „Der Granit im Bayerischen Wald ist im Vergleich zu Ton und Salz das deutlich schlechtere Wirtsgestein.“ Den Geologen, die mit der Suche vertraut sind, ist es zu früh, um Aussagen darüber treffen zu können, wie zerklüftet das Gestein um Saldenburg ist.
Gegenwehr gab es bereits in den 1990er Jahren
Max König, Bürgermeister von Saldenburg und SPD-Mitglied, blättert durch einen prall gefüllten Aktenordner. König ist 62 Jahre alt, er hat kurzes graues Haar, trägt ein rotkariertes Hemd und Strickjacke. Im alten, aus Granit gebauten Rathaus kramt er nach Belegen für die Durchlässigkeit des Gesteins, sucht nach Zeugnissen der vergangenen 25 Jahre. Damals war Angela Merkel noch Umweltministerin und das Problem ganz frisch.
Eine Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe sah Granit als mögliches Wirtsgestein für ein Endlager an, erwähnte Saldenburg. „Das war das Gesprächsthema Nummer eins“, sagt er. In dieser Zeit gab es immer wieder Waldspaziergänge, an denen bis zu 150 Menschen teilnehmen, Ausdruck des geordneten Protests.
Im Oktober 1996 versammelten sich mehrere hundert Menschen vor dem Rathaus zu einer Demonstration gegen die Endlagerung in der Region, sie zogen später hitzig diskutierend in ein Wirtshaus. „Das Wirtshausgespräch Nummer eins könnte es wieder werden“, sagt König. „Wenn die Menschen das Ausmaß der Folgen verstehen.“
König ist ein wichtiger Mann in der Region. Seit 2008 ist der Vater zweier Töchter Bürgermeister von Saldenburg, er ist Mitglied des Jagd- und des Schützenvereins, des Kulturvereins, ja eigentlich jedes Vereins bis auf den Frauenbund. Dass er auch Mitglied der SPD ist, der Partei, die im Bund das Verfahren der Endlagersuche mitträgt, fällt da nicht ins Gewicht.
Der Niederbayer ist gut vernetzt und in den kleinen Gemeinden sind Wahlen auch Personenwahlen. 20.000 bis 30.000 Übernachtungen habe der Ort jährlich. „Aber wer will beim Atommüll Urlaub machen?“, fragt er. „Wir müssen einen Ort für den Müll finden. Wir sind dafür verantwortlich. Aber die Region ist nicht geeignet.“ Wenn es ehrlich zuginge, wäre der Salzstock Gorleben noch dabei, meint er. Scheinbar sei er dem Druck grüner Umweltverbände zum Opfer gefallen.
Die Konflikte könnten sich durch die Jahre ziehen
Der Konflikt könnte sich durch viele Jahre ziehen. Auf der einen Seite stehen die Bürgermeister und Landräte, mit ihrer Wut, der Angst der Menschen vor der unsichtbaren Gefahr, dem strahlenden Müll. Auf der anderen Seite stehen die Bundespolitiker und die BGE, die Technokraten aus dem Bundesunternehmen, in ihrem grauen, gläsernen Bürokomplex im niedersächsischen Peine.
Und die Suche wird lange dauern. Erst 2031 soll der Ort für das Endlager gefunden sein, der Bau wird sich wohl bis in die 2050er Jahre ziehen. Gegen den Widerstand einer ganzen Region wird es kaum möglich sein, Castoren mit Atommüll unter die Erde zu bringen. Davon zeugt das Wendland.
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Da ist aber nicht nur Bayern. Schon wenige Stunden, nachdem die BGE ihren Bericht veröffentlicht hatte, äußerten sich sächsische Landräte in Bautzen, Görlitz und Nordsachsen zum Bericht, die die Lausitz schon wegen des Strukturwandels und des Kohleausstiegs für die falsche Region halten. „Das kann man nicht nur geologisch betrachten“, sagte Bautzens Landrat Michael Harig. Die Bevölkerung werde sich breit aufstellen, glaubt der Landrat von Görlitz, Bernd Lange, CDU. Es sind Regionen, in denen sich Politiker aus Volksparteien nur schwer gegen Populisten behaupten. Auch das kann die Endlagersuche langfristig beeinflussen.
Zusammen mit Behringer, dem Bürgermeister von Thurmansbang, führt König auch die Bürgerinitiative gegen ein Atommüllendlager im Saldenburger Granit. Die gibt es schon seit 1996. Als um Gorleben hart gekämpft wurde, ebbte ihre Aktivität zwar ab. Nun erwacht sie erneut.
Rund 150 Mitglieder zähle sie, dazu kämen aber zahlreiche Vereine in der Region. Der Jagdverein, der Kulturverein, der Gartenbauverein, so erreiche man Tausende. Niemand werde sich hinstellen und sagen, ein Endlager in unserer Region sei vertretbar.
„Die Landräte in Niederbayern haben wir auf unserer Seite“, sagt König. Nun müsse man sich weiter vernetzen, wieder das Gespräch mit Ministern in München suchen. „Und zur Not tragen wir unser Anliegen auch wieder auf die Straße“, sagt König.
„Gorleben zeigt ja: Wer am stärksten Widerstand leistet, scheidet am ehesten aus.“