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90 Regionen kommen laut dem am Montag vorgelegten Zwischenbericht der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), in Frage.
© dpa

Wohin mit dem Atommüll?: Was der Endlager-Bericht für die Regionen bedeutet

Erstmals fallen bei der Endlagersuche Namen. Gorleben scheidet aus, 90 Regionen werden weiter untersucht. Wer ist nun betroffen – und was folgt?

20.000 Polizisten im Einsatz, hohe Millionenkosten. Und ständig neue Fallstricke, etwa 2010: Nichts Böses ahnend, wird vor der Ausfahrtstraße vom Verladebahnhof Dannenberg ein Bier-Lastwagen noch durchgewunken. Elf Castor-Behälter sollen gleich die letzten Kilometer auf der Straße in das oberirdische Zwischenlager Gorleben transportiert werden. „Hütt Luxus Pils“ soll der Wagen geladen haben.

Doch drinnen hinter Bierkisten versteckt sind zwei Greenpeace-Aktivisten, der Lastwagen stoppt, auf der Straße wird eine Betonkonstruktion aus dem Laster abgesenkt und mit Stahlröhren an der Straße befestigt. Erst nach zwölf Stunden kann die Polizei die Aktivisten befreien.

Dieser Kampf um Gorleben mag vorbei sein – die Angst ist aber, dass es neue Gorleben geben wird. Woanders.

90 Regionen kommen laut dem am Montag vorgelegten Zwischenbericht der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), in Frage.

Doch ausgerechnet der Salzstock in Gorleben wird nicht länger betrachtet.

Warum ist Gorleben raus?

Die Bilder von im Gleisbett angeketteten Demonstranten; die politisch einseitige Vorfestlegung auf ein Endlager hier vor über 40 Jahren, hat den Ort „verbrannt“. Aber ein Kenner des Verfahrens ist unglücklich, dass nun wiederum der Eindruck entsteht, es habe politischen Druck gegeben, um Gorleben vorschnell aus dem Verfahren zu nehmen. Intern wird eine gewisse Nähe zwischen BGE-Verantwortlichen und der niedersächsischen Landespolitik beklagt.

„Das Endlager für Atommüll wird nicht in Gorleben stehen. Das ist aus niedersächsischer Sicht das überragende Ergebnis der ersten Stufe in dem Auswahlverfahren“, sagt Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). 1,9 Milliarden Euro sind hier für den Ausbau unter Tage investiert worden. „Man kann das Ding jetzt zuschütten“, sagt ein Experte. Dort befinden sich nebenan im oberirdischen Zwischenlager aber noch 113 Behälter mit hochradioaktiven Kernbrennstoffen, die mit viel Aufwand hierhin transportiert wurden.

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Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) war es, der verfügte, dass der Atommüll dezentral auch bei den Atomkraftwerken gelagert werden sollte, damit nicht mit jedem Transport weitere Fakten für ein Endlager neben dem Zwischenlager unten im Salzstock geschaffen wurden. Fortan kamen nur noch Behälter aus der Wiederaufarbeitung in Frankreich und Großbritannien hierhin, mit den Beschlüssen zum Neustart der Endlagersuche wurde auch das gestoppt.

Welche Regionen in Deutschland könnten nun in Frage kommen?

Bürgermeister im ganzen Land werden sich nun die interaktive Karte mit den Regionen genau anschauen. Vor allem der Norden Deutschlands, die ostdeutschen Bundesländer sowie Bayern und Baden-Württemberg sind betroffen, aber auch Brandenburg und Teile von Berlin. „Die Chance, in Deutschland den Standort für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle zu finden, der Sicherheit für eine Million Jahre bietet, steht sehr gut“, sagt Stefan Studt, Vorsitzender der Geschäftsführung der BGE.

Insgesamt umfassen die Teilgebiete eine Fläche von rund 194 000 Quadratkilometern. Sie weisen günstige geologische Voraussetzungen auf, um dort ein Endlager für hochradioaktive Abfälle aufzunehmen, wie die BGE mitteilt. Dies sind rund 54 Prozent der Fläche der Bundesrepublik.

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Tongesteinsschichten machen mit einer Fläche von knapp 130 000 Quadratkilometern Fläche den Großteil der betroffenen Regionen aus. Sie befinden sich überwiegend in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg und Brandenburg, in geringerem Ausmaß in Bayern und Baden-Württemberg. Auch Kristallinschichten sind mit 81 000 Quadratkilometern als potenzielle Endlagerregionen umfangreich vertreten, vor allem in Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen. Aber: „An der Größe der Teilgebiete lässt sich leicht erkennen, dass wir von einer Vorentscheidung für einen Standort noch ein gutes Stück entfernt sind“, sagte Steffen Kanitz, einer der BGE-Geschäftsführer am Montag.

Was bedeutet der Bericht für die Gebiete?

„Es ist ein erster Zwischenstand“, betont Kanitz. Mit dem Bericht wurden nun vor allem Regionen ausgeschlossen, die sich für ein Endlager nicht eignen. Etwa, weil die Ton-, Salz- oder Kristallingesteinsschichten nicht massiv genug sind oder durch Bergbau beschädigt wurden. Auch vulkanische Aktivität oder die Möglichkeit von Erdbeben konnte zum Ausschluss führen. Der Standort muss die bestmögliche Sicherheit für einen Zeitraum von einer Million Jahren bieten und auch Eiszeiten standhalten.

Die Regionen werden nun weiter eingegrenzt, bis letztlich eine Region übrig bleibt. Bis zum nächsten Bericht werden aber nun mehrere Jahre vergehen. Zeit, um viel Widerstand zu organisieren.

Viel wird also davon abhängen, wie die Parteien, Länder und Kommunen zur Endlagersuche stehen. Denn ohne ihre Landesämter und ihre Bereitschaft, das Verfahren zu unterstützen, wird es schwer.

Wie stehen die Chancen für ein Endlager in Berlin und Brandenburg?

Tesla-Chef Elon Musk dürfte nicht erfreut sein: Mitten unter dem neuen Tesla-Werk bei Grünheide verlaufen Tongesteinsformationen, die als mögliches Atommüll-Endlager in Frage kommen könnten. Besonders in Brandenburg sind größere Tongebiete und acht Gebiete mit Steinsalz in steiler Lagerung dabei. Aber auch Teilgebiete der Mitteldeutschen Kristallinzone – vor allem Granitgestein in Tiefen von mehr als einem Kilometer. Erklärtes Ziel ist eine Tiefenlagerung. In Berlin werden Zehlendorf, und Tongesteinsformationen unter den Bezirken Reinickendorf und Spandau als günstige Teilgebiete erwähnt.

Auch eine Fläche rund um den künftigen Flughafen BER in Berlin-Schönefeld wird aufgeführt, aufgrund günstiger geologischer Voraussetzungen. Dass Gebiete in der Nähe größerer Siedlungen in Frage kommen, ist aber sehr unwahrscheinlich. Im Brandenburg dagegen, mit vielen dünn besiedelten Gegenden, stellt es sich anders dar, da geologische Formationen mit allen drei für eine Endlagerung in Frage kommenden Wirtsgesteinen vorkommen.

Was spricht jeweils für die Wirtsgesteine – und was gegen sie?

Es kommen nur Regionen infrage, die geologische Barrieren aufweisen – möglichst undurchlässige Gesteinsformationen mit einer Dicke von mindestens 100 Metern in einer Tiefe von mindestens 300 Metern. Kristallingestein hat eine hohe Festigkeit und ist nicht sehr temperaturempfindlich. Die Granitvorkommen in Deutschland, die vor allem in Bayern und Sachsen liegen, könnten aber zerklüftet sein.

Tongestein ist kaum wasserlöslich, hat aber den Nachteil, dass er weniger hitzebeständig ist, die Wärme, die an das umgebende Gebirge abgegeben wird, dürfte 100 Grad nicht überschreiten. Steinsalz, in Deutschland weit verbreitet, ist praktisch undurchlässig, etwa gegenüber Gasen. Große Hohlräume zu erzeugen, die für den Bau des Endlagers notwendig sind, ist kein Problem. Salz ist aber löslich, sodass Wasser hindurch gelangen kann – ein gravierender Nachteil.

Wie steht die Politik zum Bericht?

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) schien zunächst in den Widerstand zu gehen. „Wenn man breit angelegt diskutieren möchte, bleibt die Frage, warum man Gorleben fundamental ausschließt“, sagte Söder tagsüber. Die BGE habe dies nicht ausreichend begründet. Für die Erkundung des Salzstocks seien nun Milliarden verschwendet worden. Wenn man dagegen zwei Drittel von Bayern als grundsätzlich geeignet halte, sei das wenig zielführend. „Ich befürchte, dass sehr viele Menschen jetzt sehr verunsichert sind.“ Er halte das in Bayern vorkommende Granit für ungeeignet.

Am Abend dann in den „Tagesthemen“ betonte er, dass seine Staatsregierung den ersten Zwischenbericht grundsätzlich akzeptiere. Seine Regierung greife nicht die wissenschaftlichen Ergebnisse an, sagte. „Ganz im Gegenteil: Wir haben ja zugesagt, dass es da keine Blockade gibt, sondern dass jeder mitmacht.“

Der Salzstock Gorleben ist nicht mehr Teil der Endlagersuche.
Der Salzstock Gorleben ist nicht mehr Teil der Endlagersuche.
© Imago/ Thomas Trutschel

Marianne Schieder, Vorsitzende der SPD-Landesgruppe Bayern, wirft Söder Populismus vor: „Es kann nicht sein, dass die CSU über Jahrzehnte einen strammen Atomkurs verfolgt hat (...) und nun die Verantwortung für den Atommüll so weit wie es nur geht von sich schiebt.“ Die AfD mobilisiert im Osten mit dem Argument, hier dürfe kein westdeutscher Atommüll landen – aber auch der Abfall aus DDR-Atomkraftwerken bedarf noch der Endlagerung. Die Grünen stehen zum Verfahren. Das Prinzip „Zurück zur weißen Landkarte“ habe den Prozess erst ermöglicht, sagt Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, ein Treiber des Neustarts.

Wie geht es nun weiter?

Die BGE wird nun vorläufige Sicherheitsuntersuchungen durchführen, um die Regionen weiter einzugrenzen. Dort werden auch erstmals andere Aspekte herangezogen als nur die Geologie, beispielsweise ob Siedlungsgebiete in den Regionen bestehen. Auf dieser Grundlage macht die BGE dann Vorschläge, welche Regionen im zweiten Schritt übertägig erkundet werden. Darüber entscheiden tun Bundestag und Bundesrat. Erst im dritten Schritt werden wenige Standorte auch untertägig erkundet, über die wieder im Parlament entschieden wird. Bis 2031 soll die Endlagersuche beendet, der bestmögliche Standort gefunden sein. Erst in den 2050er Jahren soll es fertiggestellt sein. Dann beginnt die Einlagerung.

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