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Zuletzt hat sich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder staatsmännisch gegeben – was Söder-Kenner staunen ließ.
© Matthias Balk/dpa

Söder stiftet wieder Unruhe: Warum der CSU-Chef nicht aus seiner Haut kann

Seit Monaten gibt er den Landesvater. Sein Vorstoß zur Kabinettsumbildung aber zeigt: Markus Söders Modernisierungseifer stößt an Grenzen in seiner Partei.

Die Absage kommt so schonend verpackt daher, dass man zwei Mal hinhören muss. Als Verteidigungsministerin hat die CSU-Bundestags-Landesgruppe Annegret Kramp-Karrenbauer zur Klausur ins Kloster Seeon geladen, als Verteidigungsministerin ist sie am Dienstag zuerst gefragt, so bedrohlich wie die Dinge im Irak stehen. Aber als CDU-Vorsitzende gibt es natürlich auch einiges zu sagen. Links von ihr ragt Markus Söder auf dem Podium auf. Der CSU-Chef hat in den letzten Tagen viel von Aufbruch und Zukunft geredet – und von neuen Köpfen im Kabinett.

Kramp-Karrenbauer türmt Aufbruch und Zukunft regelrecht aufeinander: Innovativ solle Deutschland 2030 werden, digital, wirtschaftsstark, sicher, klimafreundlich. Und: „Wo wir unsere Ministerinnen und Minister dabei unterstützen können, das zu tun und noch besser zu tun für die Zukunft, werden wir das sicher machen.“

Als Aufruf zum Mannschaftswechsel ist der Satz beim besten Willen nicht zu verstehen, zumal Kramp-Karrenbauer auch noch einen „Aufbruch mit Augenmaß“ empfiehlt. Söder bedankt sich trotzdem für die gute Zusammenarbeit. Was bleibt dem Bayern übrig? Was ihn geritten hat, über Weihnachten kaum verdeckt den Kopf des Wirtschafts- und der Forschungsministerin zu fordern, ist schwer zu be- und ergründen. Anja Karliczek ist CDU-Mitglied, Peter Altmaier ebenfalls und außerdem Saarländer. Der CSU-Chef hat bei manchem mitzureden, aber ganz sicher nicht bei der Besetzung von CDU-Ressorts. Erklärbar ist sein Vorstoß allenfalls, wenn man davon ausgeht, dass er’s einfach nicht mehr mit seinem neuen Selbst ausgehalten hat.

Langjährige Söder-Kenner kommen ja seit Monaten aus dem Staunen nicht mehr raus über die Disziplin, mit der er seine neue Rolle als sachorientierter Landesvater und stabilisierender Faktor in der Koalition durchhält. Mochte die SPD sich winden und in der CDU Friedrich Merz die nächste Kanzlerkandidatendebatte anfeuern – aus München kamen Staatsmannstöne.

Aber der umtriebige Unruhegeist, der er jahrelang war, der ist nur gebannt, nicht verschwunden. Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis er sich wieder rührt. War’s ihm über Weihnachten zu friedlich? Der Kanzlerin mal eben im Alleingang eine Kabinettsumbildung aufzunötigen, war jedenfalls stilistisch ganz alter Söder.

Die Landesgruppe wollte sich in diesem Jahr eigentlich als Anwältin der kleinen Leute präsentieren mit Vorschlägen für Familien oder einem staatlichen Kinder-Rentenfonds, über den jetzt aber in den Zeitungen kaum noch etwas zu lesen ist. Söder hat die eigenen Leute nicht vorgewarnt, mit der Kanzlerin nicht geredet und mit der CDU-Vorsitzenden auch erst nachher. Der Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprang ihm dann wenigstens bei: Über neue Gesichter könne man nachdenken.

Verjüngung? Niemand fragte genau nach

Die anderen zucken die Schultern und denken sich das Ihre. In der klösterlichen Klausursitzung der Berliner CSU-Abgeordneten wurde das Thema nicht weiter vertieft – Söder selbst sagte nichts Konkretes, sondern redete viel über Themen. Es fragte auch niemand nach, an wen der Vorsitzende denn denke, als er von Verjüngung redete und von einer „Zukunftsmannschaft“ für die zweite Halbzeit und darüber hinaus.

Das hat natürlich damit zu tun, dass die einen, die sich für geeignete Kandidaten halten, lieber den Kopf nicht zu früh rausstrecken und die potenziellen Opfer auch keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen. Man weiß beim Söder nie, was er antwortet, wenn man ihm Gelegenheit gibt. Dass er seinen Vorstoß mit dem Argument verteidigt, es sei gemäß Koalitionsvertrag die Aufgabe der Parteivorsitzenden, über Kabinettsposten nachzudenken, könnte mancher durchaus als Drohung verstehen.

Horst Seehofer jedenfalls verstand es so. Er traf am Montag später ein, mitten hinein in Söders Einführungsvortrag. Der Innenminister ist mit seinen 70 Jahren der erste, an den bei „Verjüngung“ zu denken wäre. Dazu kommt die konfliktreiche Vorgeschichte, die ihn mit seinem Ex-Rivalen und Nachfolger im Staats- und Parteiamt verbindet. Seehofer war vor der Reise nach Seeon noch rasch beim Beamtenbund und frotzelte dort: „In meinem Alter müssen Sie täglich nach dem Aufstehen prüfen, ob Sie noch im Amt sind.“ Ansonsten fand er, die Union solle es nicht der SPD nachmachen, was in der Klosterklausur insofern befolgt wurde, als die offizielle Linie lautet: Wir führen inhaltliche Zukunftsdiskussionen, „keine Personaldebatten“.

Merkels Regierungssprecher stichtelt

Das finden andere gut so. In Berlin hat Angela Merkels Regierungssprecher bekanntgegeben, die Kanzlerin arbeite gerne und gut mit allen ihren Ministern zusammen. Weil aber Steffen Seibert, wenn er mal darf, durchaus zu subtiler Bösartigkeit imstande ist, hat er noch ergänzt, sicherlich gebe es Gebiete, auf denen die Koalition mehr Ehrgeiz an den Tag legen könne und müsse, zum Beispiel bei der Digitalisierung.

Um die Stichelei zu verstehen, muss man daran erinnern, dass die Digitalstaatsministerin Dorothee Bär ebenso CSU-Mitglied ist wie die drei aufeinanderfolgenden Minister für „digitale Infrastruktur“. Besser bekannt sind sie als Verkehrsminister: Peter Ramsauer, Dobrindt, Andreas Scheuer. Die Funklöcher der Republik sind sozusagen christsozialen Ursprungs. Über dem Kloster Seeon liegt zur Strafe auch eins. Als der Landesgruppenchef die neue EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen im Klosterhof begrüßt, schaut einer ihrer Begleiter ungläubig auf die null Balken Feldstärke auf seinem Smartphone. Das Hightech-Land Bayern hatten sie sich in Brüssel irgendwie anders vorgestellt.

Am nächsten Morgen soll Dobrindt dann auf die Frage antworten, ob die CSU ein eigenes Digitalministerium sinnvoll fände. Dobrindt sagt, ja, „für die Zukunft“ hielte er das für „hilfreich“. Er ist damit insofern auf der sicheren Seite, als Kramp-Karrenbauer ein solches neues Ressort in ihrer Rede auf dem letzten CDU-Parteitag ebenfalls angeregt hatte, woran sie später selbst erinnert.

Estlands Präsidentin Kersti Kaljulaid hält nichts von einem Digitalministerium.
Estlands Präsidentin Kersti Kaljulaid hält nichts von einem Digitalministerium.
© Michaela Rehle/Reuters

Nur leider steht in dem Moment die estnische Präsidentin Kersti Kaljulaid neben Dobrindt und hat die Frage mitbekommen. Estland ist Europas Digital-Musterland. Kaljulaid wird später den Abgeordneten berichten, wie sie als junge Politikerin 1996, mithin vor einem Vierteljahrhundert, an der Gründung der ersten Digitalbank beteiligt war. Kaljulaid hält von einem Digitalministerium nichts. In ihrem Land hätten sie keins und nie eins gebraucht: „Das ist eine Aufgabe für alle.“

Man könnte nach alledem den Söderschen Weihnachtsböller beiseite legen und in die lange Reihe der CSU-Landesgruppenklausurenkracher einordnen, die in den ersten Januartagen Schlagzeilen machen und danach verpuffen – wenn, ja wenn dahinter nicht eine strategische Überlegung steckte, die sich nicht so einfach abtun lässt.

"Die Hauptfrage ist nicht nur dauernd die K-Frage"

Wer auch immer und wann auch immer die Union in die nächste Bundestagswahl führt, steht vor einem Bruch. Angela Merkel geht, ihre Mann- und Frauschaft vorerst aber nicht. Deshalb ist die Idee keineswegs völlig abwegig, frühzeitig neue Gesichter in Stellung zu bringen, statt sich im Wahlkampf mit Debatten über Auslaufmodelle zu belasten oder alles auf das eine neue Gesicht zu setzen, das im Laufe dieses Jahres bestimmt werden soll. „Die Hauptfrage ist nicht nur dauernd die K-Frage“, sagt Söder. Sondern „Perspektiven, die länger sind“.

Selbst Leute in der CSU, die nicht als Söder-Verehrer bekannt sind, geben ihm in dem Punkt recht. Im Land, sagt einer, seien Signale der Hoffnung und neuen Aufbruchs gefragt. Die CSU-Abgeordneten sind durch die Bank direkt gewählt. Das bringt Basisnähe mit sich. Viele berichten über eine diffuse Unruhe. Die Wirtschaft steckt nicht in einer Rezession. Trotzdem riecht es nach einer Krise, die erst weltweit und abstrakt war, aber immer näher rückt. Unternehmen bauen ab und um, Vorboten großer Veränderungen. Was bleibt vom Autostandort? Was vom Maschinenbau-Champion? Wohin führt Chinas Aufschwung? Oder, plötzlich auch ein Thema: Was wird aus der Landwirtschaft?

Die Bauern-Demonstration richtete sich auch gegen Söders grüne Kehrtwende.
Die Bauern-Demonstration richtete sich auch gegen Söders grüne Kehrtwende.
© Matthias Balk/dpa

Die Bauern-Demo vor dem Kloster am Montag erwischt die CSU-Granden kalt. Die Landwirte protestieren vordergründig gegen die neue Düngeverordnung, aber vor allem gegen das Gefühl, dass sie als Brunnenvergifter der Nation behandelt werden. Als Söder vor den Demonstranten ans Mikrofon tritt, zischt ein besonders Giftiger in den vorderen Reihen: „Jetzt kommt Bündnis 90/Die Grünen!“

Söders grüne Kehrtwende nährt Misstrauen bei denen, die sich bisher als Stammpublikum bei der CSU gut aufgehoben wähnten. Dass der Ministerpräsident nur halb im Spott als „Bienenkönig“ tituliert wird, stößt ihnen sauer auf – der Bienenschutz ist zum Kampffeld geworden, auf dem Glaubenskämpfe um die Landwirtschaft ausgetragen werden. Dass die CSU-Granden auf dem Podium etwas von „prüfen“ rumstottern, macht das Misstrauen der Bauern nur größer. Was es denn an 56 Seiten Düngeverordnung so lange zu prüfen gebe, höhnt einer.

Zum zweiten Mal wird er gebremst

Für Söder ist es der zweite Moment in den letzten Monaten, in denen sein Modernisierungseifer an Grenzen stößt. Der erste war die Niederlage, die ihm sein Parteitag beim Frauenquorum zufügte. Vielleicht ist er auch deshalb auf Bundes-Spielfeld gestürmt – ein risikoarmes Ausweichmanöver?

Die ihm nahestehen, weisen solche Überlegungen zurück. „Er hat einfach mal einen Stein ins Wasser geworfen“, sagt einer der Hintersassen des CSU-Chefs. Das Problem ist bloß, dass solche Steine viel Gespritze und Wellenschlag verursachen und danach versinken. Gut möglich, dass Söder die eigene Idee durch grobe Wurftechnik mit versenkt hat. Merkel kann sehr bockig werden, wenn ihr jemand bescheinigt, ihre Regierung würde sich ohne Neuaufstellung nach Söderscher Manier nur noch als „administrative Einrichtung“ zu Ende schleppen.

CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer, hier mit CSU-Landesgruppenchef Dobrindt, will die jüngsten Äußerungen aus Bayern nicht als Attacke verstanden haben.
CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer, hier mit CSU-Landesgruppenchef Dobrindt, will die jüngsten Äußerungen aus Bayern nicht als Attacke verstanden haben.
© Matthias Balk/dpa

Womit wir also wieder bei Kramp-Karrenbauer wären. Würde sie es pingelig nehmen, war Söders Einmischung in CDU-Kabinettsangelegenheiten eine Attacke auf sie, mindestens aber eine ziemlich unverschämte Drängelei. Die CDU-Chefin nimmt es aber nicht pingelig, sondern stellt sich einfach darüber. Nur eine kleine pädagogische Ermahnung bringt sie mit. Sie stimme sich als Parteivorsitzende sehr eng mit der Kanzlerin, dem Unionsfraktionschef und natürlich dem CSU-Chef ab, sagt Kramp-Karrenbauer. Wenn diese Achse nicht funktionieren würde, wäre das schlecht für CDU und CSU.

Aber dass mal der eine und mal der andere eine Idee vorträgt, die er nicht vorher abgesprochen hat – ist doch kein Problem! „Das tut einer guten Zusammenarbeit keinen Abbruch.“ Kramp-Karrenbauers Großzügigkeit geht sogar so weit, dass sie eine Kabinettsumbildung als „eine Möglichkeit“ bezeichnet. Auf gut Deutsch heißt das: Völlig abstrus ist es immerhin nicht.

"Wie wir das machen, werden wir im Lauf des Jahres besprechen"

Aber wenn die CDU-Vorsitzende selbst von einem „Team“ spricht, von „politischen Köpfen“, mit denen sich Programm und Aufbruch für die nächste Wahlperiode verkörpern lässt, dann hat sie erkennbar nicht ein neues Kabinett im Blick. „Wie wir das machen, werden wir im Lauf des Jahres besprechen“, wiegelt sie Fragen ab, „zwischen den beiden Parteivorsitzenden.“

Söder, derart in seiner Bedeutung gewürdigt und eingefangen zugleich, bleibt nur zuzustimmen: „Wenn CDU und CSU nicht zusammenstehen, schadet das nicht nur uns, sondern ganz Deutschland.“ Aber zur Sicherheit bekräftigt er doch noch mal: „Alle wichtigen Personalfragen, auch die wichtigste, sind unsere eigene Aufgabe.“

Und Söder hat für sich gleich die nächste Aufgabe entdeckt. Die Union, hat er in der Landesgruppensitzung gesagt, müsse sich wieder mehr um die Gewerkschaften kümmern – jetzt, wo die neue SPD-Führung so viel nach links blinke. Zum grünen Söder wird sich demnächst ein milde sozialdemokratischer gesellen. In einem bleibt er sich eben treu – in der Wandelbarkeit.

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