Vorwürfe gegen Regisseur Dieter Wedel: Sie dachten, es wäre ein Vorsprechtermin
Drei ehemalige Schauspielerinnen werfen Dieter Wedel sexuelle Übergriffe vor, der Regisseur widerspricht. In der Branche ist man von den Anschuldigungen nicht überrascht.
Ist das ein Witz oder schon eine Beleidigung, strafbar nach dem Strafgesetzbuch-Paragrafen 185? „Dieter Wedel ist ja, wie wir jetzt immer gelesen haben, ein Schwein“, sagt Christoph Schlingensief. Die Reaktion: sofortige Empörung. „Das finde ich eine große Ungezogenheit, was Sie da sagen“, entgegnet Ingrid Steeger. Fünf Jahre war die Schauspielerin, die als „Sexnudel“ in der 70er-Jahre-Fernsehshow „Klimbim“ bekannt geworden war, mit dem Regisseur liiert, den sie ehrfurchtsvoll „Doktor Wedel“ nennt. Nun verteidigt sie ihn vehement.
„Wedel hat mir sehr großes Selbstbewusstsein gegeben, auch wenn die Leute das nicht wahrhaben wollen“, sagt sie. „Er hat mir beigebracht, ich selbst zu sein.“ Es ist das Jahr 1997, Steeger sitzt auf der gemächlich kreisenden Drehbühne im Keller der Berliner Volksbühne, aus der die Chaos-Show „Talk 2000“ übertragen wird. Mit Sexismus und sexueller Gewalt hat sie Erfahrungen gemacht, nach eigenen Angaben ist sie bis zu ihrem 21. Lebensjahr vier Mal vergewaltigt worden. Okay, hinter der Kamera könne Wedel brutal sein, einer, der Leute niedermache. „Aber das heißt doch nicht, dass er im Privatleben ein Monster oder Ungeheuer ist.“
Genau dieser Vorwurf wird nun erhoben, 20 Jahre nach dem Talk-Tumult: Dass Dieter Wedel, der promovierte Großregisseur, der mit Mehrteilern wie „Der große Bellheim“ oder „Der König von St. Pauli“ Fernsehgeschichte schrieb, privat vielleicht doch ein Monster ist. Die „Zeit“ hat eine Geschichte veröffentlicht, in der es um Übergriffe bis hin zu erzwungenem Geschlechtsverkehr geht. Drei Frauen klagen Wedel an, zwei nennen ihre Namen und haben eidesstattliche Versicherungen abgegeben – denen der Regisseur in einer ausführlichen, ebenfalls eidesstattlichen Versicherung entgegnet.
Ihre Begegnungen mit Wedel fanden laut den Aussagen der Frauen – die von Aufzeichnungen und Berichten Dritter gestützt werden – in Hotelzimmern statt. Die Frauen waren junge Schauspielerinnen, zwei hätten geglaubt, sie würden sich zum Vorsprechen für eine Rolle mit dem Regisseur treffen.
Jany Tempel, eine der Frauen, schildert: „Ich weiß nicht mehr, wie meine Kleidung von mir kam, ich weiß nur noch, dass ich wimmerte und es so schmerzfrei wie möglich über mich ergehen lassen wollte.“ Alle drei Frauen haben irgendwann nach diesen Erlebnissen die Branche gewechselt und arbeiten heute nicht mehr als Schauspielerinnen.
Besetzungscouch und Bademantel
Zum ersten Mal, seit Anfang Oktober Vorwürfe gegen den US-amerikanischen Filmproduzenten Harvey Weinstein öffentlich wurden und eine internationale, „MeToo“ genannte Debatte über Sexismus und Sexualstraftaten begann, über Macht von Männern und Ohnmacht von Frauen, werden in Deutschland ähnliche Anschuldigungen konkret. Zum ersten Mal wird der Name eines angeblichen Täters genannt. Ist Dieter Wedel, 75, ein deutscher Harvey Weinstein?
Beide Männer, der mit Bambis und Grimme-Preisen dekorierte Wedel und der Produzent aus Hollywood, kultivierten ganz öffentlich ein Machotum nach Filmmogulenart, beide hatten es zu großem Einfluss gebracht. Ähnlich erscheint auch das Klima von Angst, das jahrzehntelange Schweigen der mutmaßlichen Opfer, angeblicher Zeugen und Mitwisser. Es gab Gerüchte, aber keine Betroffene, die mit dem, was sie erlitten hatte, an die Öffentlichkeit gehen wollte. Oder niemand wollte es hören.
Zwei Symbole der Übergriffigkeit tauchen in der Debatte, die den veröffentlichten Weinstein-Verbrechen folgte, immer wieder auf: die Besetzungscouch und der Bademantel. Auf der Besetzungscouch treffen sich Paschatum und Ambition. Manche Schauspielerinnen lassen sich möglicherweise freiwillig darauf ein, einen beruflichen Vorteil mit Sex zu erkaufen – denn das Film- und Fernsehgeschäft ist ungerecht; es gilt nicht die Regel, dass die größten Talente, die größten Begabungen die besten Rollen bekommen. Leistung im künstlerischen Sektor ist nicht objektivierbar. Bei anderen kommt Gewalt ins Spiel.
Wenn ein Regisseur der Schauspielerin zum Vorsprechen die Hoteltür im Bademantel öffnet, wirkt das seltsam. Noch seltsamer ist es, wenn der Mann ins Bad geht, nachdem er der Darstellerin eine erotische Drehbuchszene zum Lesen gegeben hat, immer noch im Bademantel zurückkehrt und ihr auf der Couch näherrückt. So will es Jany Tempel mit Wedel erlebt haben.
Wedel schreibt in seiner Versicherung an Eides statt – in der er sich auch auf Aussagen Dritter stützt –, er könne ausschließen, dass er jemals in irgendeiner Form gewalttätig gewesen sei. Ebenso, dass er Tempel oder eine andere Schauspielerin für ein Vorsprechen im Bademantel empfangen habe. Er habe Tempel, so wie sie es beschreibt „nicht ,gepackt’, ,an die Wand gepresst’ und auch nicht ,mit Gewalt zum Geschlechtsverkehr’ gezwungen. Ein solches Verhalten ist mir gänzlich fremd.“
Von 2002 bis 2014 leitete Wedel die Nibelungenfestspiele in Worms, er holte Stars wie Mario Adorf, Maria Schrader und Judith Rosmair auf die Bühne vor dem Dom. Ein Journalist schildert, wie der Intendant morgens um zehn im Frühstückssaal erschien. In Badelatschen und Bademantel, obwohl er nicht dem Swimmingpool entstieg, sondern aus seinem Zimmer kam. Und in Begleitung einer jungen Frau. Alle anderen Gäste trugen Tageskleidung. Auftritt eines Zampanos, ein Verhalten wie bei Hofe. Wedel bekam Aufmerksamkeit, mit einem Fingerschnipsen bat er um Bedienung.
Ein Schweigekartell
Dieter Wedel verkörpert die großspurige, oft etwas zu laute Männerkultur der alten Bundesrepublik. Der Sohn eines Fabrikbesitzers aus Frankfurt am Main begann seine Laufbahn als Hörspielregisseur. In seinem Werk spiegelt sich der Aufstieg der Mittelschichtsgesellschaft wider, von den Filmen über die Abenteuer der Familie Semmeling beim Eigenheimbau oder einer Pauschalreise in den 70er Jahren über die Zollfahnder-Serie „Schwarz Rot Gold" (ab 1982) bis hin zu „Gier“ mit Ulrich Tukur (2010), wo es um einen Hochstapler und das ganz große internationale Geld geht.
Wedel hat sechs Kinder mit sechs verschiedenen Frauen. Als das Wort Polyamorie noch keiner kannte, lebte er 15 Jahre mit zwei Frauen in einer Dreiecksbeziehung. Mit Menjoubärtchen, seinem stets bronze-braunen Teint und dem Hang zum Anekdotenerzählen schien der Regisseur wie für die Talkshows gemacht zu sein. Manchmal reichte die Einblendung „Dieter Wedel, Frauenheld“, um ihn vorzustellen.
Auch dieses öffentliche Bild seiner selbst thematisiert Wedel in seiner Stellungnahme. „Einiges davon stimmt“, schreibt er, „einiges wurde für die PR genutzt.“ Promiskuität sei ja nicht strafbar.
Die Film- und Fernsehbranche zeigt sich von den donnerstäglichen Wedel-Enthüllungen nicht überrascht und nicht geschockt, weitere Namen und weitere Übergriffe werden genannt. Allerdings stets mit dem Verweis, dass vornehmlich aus der Vergangenheit, über Männer der heutigen 60-plus-Generation berichtet werde. Und mit dem strikten Hinweis, dass alles nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählt werde. Diese Branche schätzt – wie andere auch – den Verrat überhaupt nicht. „Krass feige“ nennt eine Agentin dieses Schweigekartell. Es wäre eine Übertreibung, dass diese Medienwirtschaft bei Selbstreflexion übers eigene Tun und Unterlassen führend sein möchte.
Was aber übergreifend ebenfalls berichtet wird: Es habe ein Umschwung eingesetzt. Schon bei den Film- und Fernsehproduzenten zeigt sich ein anderer Typus, nicht mehr der Mogul mit Champagner in der Linken und dem Starlet an der Rechten. Es geht Richtung Wassertrinken, Fitness und harter Kalkulation, wie eine Produktion auf der Gewinnrechnung saldiert werden kann. Zuerst müssen die Zahlen stimmen, dann kommt der ganze große Rest.
Eine Branche will sich ehrlich und sauber machen? Alexander Thies, Vorstandsvorsitzender der Allianz Deutscher Produzenten erklärt, „sexuelle Belästigungen und Übergriffe können – gleich ob gegen Frauen oder Männer – nicht geduldet werden“. Der Respekt vor der Würde jedes Menschen sei die Grundlage des Verständnisses gemeinsamen künstlerischen Schaffens. Strahlende Worte, denen auch Taten folgen sollen: Die Branche denkt intensiv, aber auch schon länger über die Einrichtung einer Beschwerdestelle in Belangen sexueller Belästigung nach.
Machtstrukturen in der Branche
Auch die Deutsche Filmakademie, die etwa 1800 Filmschaffende aus allen Gewerken vertritt und einmal im Jahr den Deutschen Filmpreis vergibt, kam mittlerweile zu dem Schluss, dass eine eingehende Selbstanalyse vonnöten ist. Anfang Oktober, als die ersten Vorwürfe gegen Harvey Weinstein bekannt wurden, wollte sich Iris Berben, die Präsidentin der Akademie, ausdrücklich nicht öffentlich zur Situation von Frauen in der deutschen Filmbranche äußern. Hinter den Kulissen begann man jedoch, Fragen zu stellen. Die Drehbuchautorin Heide Schwochow, Mitglied im Vorstand der Filmakademie sagt, dass man im Oktober keine wohlfeilen Statements in den Medien abgeben wollte. „Wir haben gemerkt, wie komplex und facettenreich das Thema ist.“ Das Resultat dieser Überlegungen war die Gründung einer Gruppe, die einen inhaltlichen Diskurs anstoßen solle. „Wir wollen das Problem mit einer intellektuellen Tiefe und psychologischem Feinsinn angehen.“
Diese Arbeitsgruppe, zu der etwa 30 Mitglieder gehören, wird sich am 12. Januar zum ersten Mal treffen. Schwochow erwartet, dass man in diesem Rahmen über Machtstrukturen in der Branche reden wird – und über Ursachen, die Missbrauch, sexuelle Belästigung und Nötigung begünstigen. „Viele Abhängigkeitsverhältnisse werden heute gar nicht mehr hinterfragt, etwa im Fall einer Besetzung. Da zum Beispiel sind viele Akteure involviert, Agenturen, Redaktionen, Produzentinnen.“
Denn eine deutsche Besonderheit besteht eben auch darin, dass die Film- und die Fernsehbranche hierzulande – anders als in den USA – eng verbandelt sind. Fernsehgeld fließt in die Produktion von Kinofilmen, Redakteure nehmen inhaltlich Einfluss, dazu kommen die regionalen Fördergremien. Klare Hierarchien, die einen Mann wie Harvey Weinstein – oder auch Dieter Wedel – begünstigen, gibt es heutzutage kaum noch, die Abhängigkeitsverhältnisse sind komplexer.
Wohl deshalb soll es sie dennoch unverändert geben, die Übergriffe, trotz dem Zahl und Einfluss von Frauen als Produzentinnen, Regisseurinnen und Redakteurinnen zugenommen haben, weibliche Solidarität nicht nur ein Schlagwort ist.
„Die Branche ist nicht schlimmer als andere"
Beschwerden von deutschen Schauspielerinnen hat es auch vor der Weinstein-Affäre schon gegeben, sagt Heinrich Schafmeister, Mitgründer der Gewerkschaft BFFS – der mit 3000 Schauspielern und Schauspielerinnen größten Standesorganisation der Branche. Um den Betroffenen juristisch und seelisch helfen zu können, aber auch um politisch wichtige Veränderungen zu erreichen, arbeitet die Organisation seit einiger Zeit mit der Produzentenallianz, den Castingagenturen, dem Regieverband, der Anti-Diskriminierungsstelle des Bundes, ProQuote und anderen an der Einrichtung eines Beschwerdestelle.
„Über die sprichwörtliche Castingcouch ist viel zu lange geschmunzelt worden“, sagt Christine Lüders, die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die sich ebenfalls für eine Anlaufstelle für Schauspielerinnen einsetzt.
„Die Branche ist nicht schlimmer als andere, aber anders organisiert“, sagt Schauspielervertreter Schafmeister. Es handele sich um einen künstlerisch geprägten Raum mit anderen Umgangsformen. Am Set werde sich zumeist geduzt, es könne passieren, dass sich zwei Schauspieler erstmals bei einer Nacktszene begegnen. „Das macht es den Opfern schwerer – und den Tätern noch leichter.“
„Überall, wo die Möglichkeit direkter, auch körperlicher Machtdemonstration besteht und es keine oder wenig Regularien für solche asymmetrische Arbeitsbeziehungen gibt, besteht die Gefahr der Belästigung oder des Missbrauchs“, sagt auch Jürgen Kasten, Geschäftsführer des Bundesverbandes Regie. Er befürchtet, dass durch die Vorwürfe gegen Wedel ein kompletter Berufsstand in Misskredit geraten könnte. Das Pendel der Meinungen in der Branche schlägt angesichts der Frage, ob die tatsächlich feststellbare Respektkultur weiter um sich greifen wird, weit aus. „Das wird sich nie ändern“, sagt eine Agentin. „Das wird sich weiter zum Positiven verändern“, sagt ein Produzent. Die Wahrheit liegt zwischen den Polen, in der Mitte liegt sie nicht.