Dieter Wedel zum 75.: Fern vom Lebensabend
Ein Gesamtkunstwerk aus Autor und Regisseur, Produzent und Intendant. Dieter Wedel wird 75.
Leicht könne jeder, sagt Dieter Wedel. Also macht er es sich schwer, der Autor und Regisseur und Produzent und Intendant fürs Fernsehen und fürs Theater. Still sitzen und bloß älter werden geht nicht bei dem gebürtigen Frankfurter, der in Hamburg und auf Mallorca lebt.
Da gehört es sich, dass Wedel seinen 75. Geburtstag am heutigen Sonntag gleich mal dementiert. „Das Alter sagt nichts über den Kilometerstand aus. Ich fühle mich jünger und nicht am Lebensabend angekommen.“ Da wird er wohl nie ankommen, selbst wenn sich der Aktionsradius mittlerweile auf die Bühne beschränkt. Wedels (vorerst) letzter großer TV-Mehrteiler stammt von 2010, „Gier“ mit Titel und Thema. Da war des Gesamtkunstwerkers Stern schon erblasst. Vorher und sehr lange war mit Ehrfurcht vom „neuen Wedel“ gesprochen worden. Und das zu Recht, dieser Großmeister der Fernseherzählung hatte mit seinen komplexen wie opulenten, aktuellen wie spannenden Werken das horizontale Storytelling à la Netflix vorweggenommen.
Nach den „Semmeling“-Frühwerken startete Wedel in den 1990er Jahren durch. Ein Erfolg jagte den nächsten: „Der große Bellheim“ (1993), „Der Schattenmann“ (1996), „Der König von St. Pauli“ (1998) und „Die Affäre Semmeling“ (2002). Zeitgeschichte und Fernsehgeschichte fielen in eins. Wedel arbeitete mit den deutschen Schauspielstars. Und wer es noch nicht war, wurde es oft unter seiner Regie. Am Set, hinter dem Set, jenseits vom Set durfte Wedel als Diktator gelten. Er konnte herumwüten, er war streng, er war empathisch, er wollte das Beste herausholen, und wenn es das Letzte ist, was aus einem Schauspieler herauszuholen war. Und sie kamen wieder, Heinz Hoenig, Sonja Kirchberger.
Ein steter Feind von Kompromissen
Der Kompromiss war (und ist) der stete Feind von Dieter Wedel, er überzog Drehzeiten und Budgets. Solange der Erfolg sich einstellte, schwiegen die Controlettis in den Fernsehanstalten. Als der Erfolg nachließ, monierten sie. An seinem Projekt „Die Piraten-Insel“ über die Mafia auf Mallorca arbeitet Wedel seit 2014, noch hat kein Sender zugepackt.
Gram ist keine Wedel-Kategorie. Längst ist der promovierte Theaterwissenschaftler zur Bühne zurückgekehrt. Er führte Regie bei den Nibelungenfestspielen Worms (2002/2003), übernahm dort von 2004 bis 2014 die Intendanz. Dann wechselte er im Herbst 2014 zu den Bad Hersfelder Festspielen. Unter seiner Intendanz hob er das Freilicht-Theaterfestival auf ein neues Qualitäts- und Bekanntheitslevel. Sein Vertrag läuft noch bis 2022. Er will arbeiten, bis er umfällt, sagt er. „Ich lese immer, ich sei ein Workaholic. Das stimmt aber nicht. Wenn es Spaß macht, ist es ja keine Arbeit.“ In diesem Sommer präsentierte er eine von der Kritik hochgelobte Inszenierung: „Martin Luther – der Anschlag“. Alle Vorstellungen ausverkauft.
Ufa-Chef Nico Hofmann, einer von Wedels Nachfolgern im Fiktionsfernsehen und wie dieser Bühnenintendant – nämlich der Festspiele in Worms –, schwärmt: „Er ist ein Mann mit einer unglaublichen kreativen Energie, auch mit großer Jugendlichkeit.“ Er schätze Wedels „Gespür für den Zeitgeist“, wie er politisch kontroverse Stoffe anpacke. „Er ist auf tolle Weise ein Querdenker.“ Beeindruckend sei der starke Zugang zu Schauspielern. „Er hat klare Visionen von seinen Figuren, hat ein unglaubliches Rhythmusgefühl.“ Wedel sei ein Perfektionist.
Ob das auch fürs Privatleben gilt? Dieter Wedel hat sechs Kinder von sechs Frauen – und lebte auch Polyamorie als Beziehungsprinzip. „Es gibt Menschen, die ein Doppelleben nicht ertragen, und es gibt andere, die ohne Doppelleben nicht leben können“, sagt Wedel. Mittlerweile gehöre sein Liebe ausschließlich Uschi Wolters. Die Filmproduzentin und Lehrerin lernte er mit 27 kennen. jbh
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