Politischer Aschermittwoch: Seehofer und Schulz duellieren sich am Biertisch
Horst Seehofer hat lange geglaubt, der gefährlichste Gegner stehe rechts der CSU. Doch Martin Schulz hat die Fronten verschoben. Beim Politischen Aschermittwoch kam's zum Kräftemessen auf Distanz.
Das Zelt fuchst den Andi Scheuer maßlos. Dass die Roten aber auch zu dermaßen unfairen Methoden greifen würden! Der CSU-Generalsekretär schaut über die langen Bankreihen in der Passauer Dreiländerhalle. Voll gefüllt sind sie, so wie die Maßkrüge, so wie immer bei der CSU beim Politischen Aschermittwoch. Man könnte jetzt also wieder vom „größten Stammtisch der Welt“ reden und sich lustig machen über die mageren Imitationen der politischen Konkurrenz, so wie immer. Wenn da nur nicht dieses Zelt wäre.
Das haben die Sozialdemokraten ein paar Kilometer ums Eck in Vilshofen auf eine Wiese gestellt, viele Bänke hinein und vorne ein Rednerpult. Für Martin Schulz. Der Mann ist ja schon Zumutung genug für die Christlich-Soziale Union. Aber dass in sein Bierzelt auch noch mehr Zuhörer reinpassen sollen ... „Gefühlt sind’s bei uns zehntausend“, trotzt Scheuer. Nur schade, dass ihm die Feuerpolizei eine Obergrenze gesetzt hat bei knapp der Hälfte.
Das ist aber wirklich immer noch eine ganze Menge. Morgens strömen sie in die Halle, viele Alte und viele ganz Junge, bewundern kurz die gigantische Leinwand über die gesamte Stirnseite, lesen das eine oder andere Spruchbanner an der Wand und ordern erst mal ein Bier. Die Banner sind eine alte Tradition, werden allerdings heute vom Franz-Josef-Strauß-Haus ausgedruckt und nicht mehr von Enthusiasten auf Bettlaken gemalt wie früher. Die Moderne bekommt dem Brauch nicht gut. Sie treibt ihm das leise Rebellische aus. „Wir konservieren Werte“, liest man stattdessen oder „Wir bewirken was“.
Seehofer macht sich über die "Seehofer-Dämmerung" lustig
Nur der Slogan „#AUFHORSTUNG“ durchbricht die brave Parteiprosa. Er dürfte dem einen oder anderen ganz vorn an den Präsidiumstischen nicht behagen, also zum Beispiel dem Markus Söder. Aufhorstung klingt irgendwie so gar nicht nach nahender Amtsübergabe an einen Kronprinzen. Söder darf auch nicht mit am kleinsten Stammtisch des Saals sitzen, einem runden, um den herum Horst Seehofer ein Trio nebst Gattinnen platziert hat: den Europapolitiker Manfred Weber, den Verkehrsminister Alexander Dobrindt und den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann.
Sie werden gleich reden. Dabei muss man bedenken, dass Seehofer einen neuen Parteivorsitzenden mit Standort Berlin ausgelobt hat, da liegt der Gedanke an ein Schaulaufen nah. Sollte es zwischen den dreien einen Wettbewerb gegeben haben, geht er – um das kurz vorwegzunehmen – unentschieden aus. Alle drei sind ganz leidliche Redner, und jeder wird einen Gag in der Preislage „Claudia Roth als Verteidigungsministerin – das wäre ja wenigstens ein klares Mittel der Abschreckung“ (Dobrindt) los. Mehr aber auch nicht.
Seehofer wird sich später über die „Seehofer-Dämmerung“ lustig machen, die schon häufiger ausgerufen worden sei, und hinterlistig die vielen begabten jüngeren Menschen loben, die ihm „eines Tages – und ich betone: eines Tages“ nachfolgen werden. Leute, die in München viel mit ihm zu tun haben, finden den Chef in letzter Zeit sowieso auffällig munter. Falls also jemand darauf wetten wollte, wie der CSU-Parteivorsitzende und der bayerische Ministerpräsident in den nächsten Jahren heißen wird, ginge er mit „Horst Seehofer“ kein nennenswertes Risiko ein.
Dass Schulz kandidiert, macht die CSU nervös
Es gibt übrigens noch einen zweiten und dritten Grund für den zweistündigen Vorrednermarathon. Der zweite ist, dass Seehofer die Stimme jedes Mal ins Krächzen wegrutscht, wenn er länger reden muss als eine halbe Stunde. Der dritte ist Schulz. Der CSU-Chef will nicht vor dem SPD-Mann auftreten.
Der Schulz, geradeheraus, macht sie nervös. Horst Seehofers CSU hatte sich darauf eingerichtet, dass der Feind in diesem Wahlkampf rechts steht. Darauf war Seehofers ganzes Agieren in der Flüchtlingskrise ausgerichtet, darauf beruht auch das Kalkül des jüngsten „Versöhnungstreffens“ der Union: Wir Bayern fangen das AfD-nahe Publikum ein, die Angela-Merkel-CDU holt Stimmen ins linksbürgerliche Milieu hinein – so in etwa lautete die Rechnung. Ein Hauptgegner von links war nicht eingeplant. Die Formel geht plötzlich nicht mehr auf.
Das weiß Martin Schulz auch, drüben in seinem ach so großen blau-weiß geschmückten Zelt in Vilshofen. Um zehn Uhr morgens ist er dort angekommen. Oder eher: eingelaufen. Links und rechts stehen die Genossen, jubeln und klatschen im Takt. Auch sie haben Schilder dabei. „Jetzt ist Schulz“ und „Zeit für Martin“ steht darauf. Ihr designierter Kanzlerkandidat setzt sich an einen Tisch ganz vorne und prostet den Fans mit seinem gläsernen Seidel zu. Sieht aus wie Bier. Ist aber wohl keins, schließlich ist Schulz seit vielen Jahren Abstinenzler. Aber es ist ja auch nicht so, als ob die Sozialdemokraten gerade Alkohol bräuchten, um in Feierstimmung zu kommen.
Oben auf der Bühne bohrt der Passauer SPD-Abgeordnete und Gastgeber Christian Flisek noch einmal in Andi Scheuers Wunde, schwärmt von einem „Aschermittwoch der Superlative“ – 5000 seien angeblich gekommen, mehr als je zuvor. Vor allem mehr als bei der CSU. Es sind wahrlich andere Zeiten angebrochen für die Sozialdemokraten. Früher wären schon 400 Zuschauer ein Grund zur Freude gewesen.
In Bayern, wo die SPD zum letzten Mal 1957 den Ministerpräsidenten stellte, freut der „Schulz-Schub“ die Genossen besonders. Martin Schulz ist der Star im Zelt. Deshalb stellt sich auch Österreichs sozialdemokratischer Kanzler Christian Kern als Gastredner so vor: „Hier spricht die Vor-Band von Martin Schulz.“
Als der dann endlich selbst auf die Bühne tritt, tobt der Saal. „Herzliche Grüße an die gefühlte Mehrheit von der realen Mehrheit“, ruft Schulz. Auch er spürt, dass sie langsam nervös werden in der Union: „Die sind nicht mehr ganz beisammen, das ist das Problem dieser beiden Parteien.“
Die SPD glaub wieder an sich
Westdeutscher Singsang, ein wenig Pathos in der Stimme: Martin Schulz muss sich nicht verstellen im Vilshofener Bierzelt. Er redet, wie er immer redet in den vergangenen Wochen, in denen er überall in Deutschland aufgetreten ist, geworben hat für Europa, für soziale Gerechtigkeit und dafür, dass die SPD bei der Bundestagswahl stärkste Kraft werde.
Er hat diese Hoffnung mittlerweile so oft wiederholt, dass hier im Zelt kaum noch jemand zweifelt, wenn er sagt, am Tag nach der Wahl werde es für Sozialdemokraten kein Erwachen wie nach dem Votum der Briten für den Brexit oder dem Triumph Donald Trumps in den USA geben: Bei der Bundestagswahl „gehen wir ins Bett und wachen auf mit dem Wahlsieg der SPD“. Die SPD glaubt wieder an sich.
Überhaupt: Trump. Den attackiert er in einem Atemzug mit der AfD. „Feinde der Demokratie“ nennt er sie und appelliert an den Stolz seiner Zuhörer: Die AfD sei „schlicht und einfach eine Schande für die Bundesrepublik Deutschland – und wir sind ihr Gegner“. Nach gut 50 Minuten ist Schluss. Wieder jubeln sie ihm zu, skandieren seinen Namen. Der designierte Kandidat genießt den Beifall, lacht sein breitestes Lachen, reckt abwechselnd einen Blumenstrauß und zwei Finger zum Victory-Zeichen in die Höhe. So sehen gefühlte Sieger aus.
Als der Name der Kanzlerin fällt, ertönen Pfiffe
Drüben in Passau steht mittlerweile Seehofer auf der Tribüne. Auf „den Kandidaten“ geht er nur kurz ein. „Die Tatsache, dass Herr Schulz eine Zahl äußert, ist an und für sich kein Beweis, dass sie falsch ist“, unkt der CSU-Chef. Wenn es der Mann weiter mit der Wahrheit bei Zahlen, etwa über die befristeten Arbeitsverhältnisse, nicht so genau nehme, werde man ihn bald „Martin, den Schummler“ nennen. Ansonsten werde man mit ihm fair umgehen.
Seehofers eigentliche Rede hat dann drei Teile – einen ganz leichten, einen leichten und einen schweren. Der ganz leichte gipfelt in der Formel „Bayern zuerst“, und dass er ja nichts dafür könne, wenn amerikanische Präsidenten das CSU-Programm kopierten. Der leichte besteht in einer kleinen Einübung in den Wahlkampf: „Meine Agenda heißt Jobs, Jobs, Jobs.“
Der schwere kommt unvermittelt. Als Seehofer zwölf Jahre CDU/CSU-Regierung in Berlin „unter Führung von Angela Merkel“ lobt, gellen plötzlich von hinten Pfiffe durch den Saal. Den Namen hat bis dahin niemand erwähnt. Nur auf zwei selbst gemalten Plakaten im Saal taucht er schon vorher auf. „Angela und KT, die Spitze an der Spree“ fordert das ältere Ehepaar, das schon seit Jahren Karl-Theodor zu Guttenberg plakativ die Treue hält. „A.Merkel und CDU/CSU stark = Aufschwung!“ reckt der zweite Sloganmaler hoch.
Das Problem an der Strategie der CSU: Sie leuchtet nicht jedem ein
Er wirkt damit etwas einsam. Dabei gibt sein Plakat in Kurzform wieder, was in der CSU neuerdings als Strategie ausgegeben wird, wenn die Frage aufkommt, wie sie eigentlich nach einem Jahr Merkel-Hetze auf einmal für die Frau in Berlin werben wollen. Das sei ganz einfach, erklärt einer aus der Parteispitze: Man müsse die Leute nur fragen, ob sie denn wirklich einen Linken im Kanzleramt haben wollten – oder nicht im Interesse Bayerns, Deutschlands und der Menschheit besser doch noch ein einziges Mal die Merkel.
Das Problem an der Strategie ist nur, dass sie nicht jedem einleuchtet. Seehofer holt tief Luft. Seine Stimme ist lange schon ins Krächzen umgeschlagen, er dürfte jetzt eigentlich nur leise weitersprechen. Aber die Pfiffe kann er nicht stehen lassen. „Wir sind doch eine Insel der Stabilität“, ruft er. „Das ist doch alles mit CDU/CSU verbunden! Seid stolz auf CDU/CSU, was sie für Deutschland erreicht haben!“
Applaus bekommt Seehofer für erneuten Ruf nach der "Obergrenze"
Die Pfeifer schweigen. Stolz sein mögen sie nicht. Sie werden heftig applaudieren, als Seehofer seinen Schwur bekräftigt, dass er in Berlin eine „Obergrenze“ durchsetzen wird für Flüchtlinge und Asylsuchende. Sie werden ihm zujubeln für den Satz: „Wir haben's am Ende noch immer geschafft mit unserem bayerischen Dickschädel!“
Aber am Ende muss Seehofer doch noch einmal den Namen nennen. Eine Schicksalswahl stehe an, sagt er. Wer Rechtsaußen wähle, werde eine linke Regierung bekommen, warnt er. „Das Bürgerliche muss jetzt aufstehen“, beschwört er. „Wir haben eine schwierige Zeit.“ Und schließlich: Wer habe denn das außenpolitische Gewicht, die Führungskraft in der Welt? „Ich kenne niemanden außer Angela Merkel, der Deutschland in dieser Frage führt!“
Ja, es gibt braven Beifall dafür. Aber die Pfiffe sind auch wieder da, unüberhörbar, sogar Buh-Rufe werden laut. Vielleicht kann der Andi Scheuer ganz froh sein, dass nicht mal 5000 in die Dreiländerhalle reindürfen. Sonst wären von solch garstigen Tönen womöglich noch viel mehr zu hören gewesen.