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Rock-’n’-Roll-Übermensch. „Scharnow“ heißt das Buch von Bela B. Foto: Imago/Horst Galuschka
© imago/Horst Galuschka

„Scharnow“ von Bela B: Ist das noch Punkrock?

Ausgerechnet einen Heimatroman hat Bela B von den Ärzten geschrieben. Eine Begegnung mit dem singenden Schlagzeuger aus Spandau.

Es dauert, bis Bela B die Tür zu seinem Backstage-Raum in der Berliner Columbiahalle öffnet. Er hatte noch einen „phoner“ hinter sich zu bringen, ein Telefoninterview mit einem Journalisten aus Österreich. Nun steht er da, mit einem grauen Hut auf dem Kopf, unter dem struppig graue, zum Teil blond gefärbte Haare hervorlugen. Er trägt eine graue Jeansjacke mit Applikationen, ein T-Shirt mit einem Porträt von Klaus Kinski als Nosferatu-Darsteller, an den Fingern Ringe. Bela B ist Popstar, er ist der singende Schlagzeuger der Ärzte, „der besten Band der Welt“, wie sie sich gern nennt.

Bela B schauspielert auch, er hat in der RTL-Serie „Alarm für Cobra 11“ mitgewirkt und mit Corinna Harfouch im Clubszene-Kinofilm „So was von da“, in „Tatort“-Folgen genauso wie in der gerade auf der Berlinale präsentierten Serienadaption von Fritz Langs „M – Eine Stadt sucht ihren Mörder“. Einen Kurzauftritt als Platzanweiser in Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ hatte er auch. Bela B hat Hörspiele eingesprochen und vertont, er hat einen Comic-Verlag gegründet, Comics herausgegeben, selbst welche geschrieben – und jetzt ist er noch Buchautor, Schriftsteller: Am Montag erscheint sein Roman „Scharnow“.

Die Lesereise ist fast ausverkauft

Warum er sich jetzt in die Riege schreibender deutscher Popmusiker einfüge, von Blumfelds Jochen Distelmeyer über Frank Spilker von den Sternen bis hin zu Dirk von Lowtzow von Tocotronic, der dieser Tage mit „Aus dem Dachsbau“ ebenfalls zum ersten Mal ein Buch veröffentlicht hat?

„Weil man mir das Angebot gemacht hat“, sagt Bela B. „Und weil ich das Privileg habe, es deshalb leichter ist für mich, einen Verlag zu finden und Aufmerksamkeit zu erzielen.“ Seine „Scharnow“-Lesereise im März und April ist nahezu ausverkauft.

Seit 37 Jahren – inklusive einer fünf Jahre langen Zwischenzeit, in denen die Band nicht existierte – gibt es die Ärzte, die neben Bela B noch aus dem Sänger und Gitarristen Farin Urlaub und Rodrigo González am Bass bestehen. Die Band hat den Spaßpunk gleichermaßen salonfähig und politisch gemacht, sie spielt in riesigen Hallen und gilt trotzdem noch als Kultband.

Bis auf ein paar spontan improvisierte Auftritte hat sie fast sechs Jahre nichts von sich hören lassen. Seit Anfang Februar befeuern die Ärzte Spekulationen, die Band würde sich endgültig auflösen. Auf ihrer Webseite erlauben sie sich einen Rätselspaß, ein Wort ist zu erraten, Buchstabe für Buchstabe, Freitagmitternacht für Freitagmitternacht. Wer sich für den richtigen entscheidet, hört danach Song Snippets mit Zeilen wie „Manchmal ist es einfach Zeit zu gehen, doch wenn der Tag gekommen ist, sagt niemand dir Bescheid“. Die ersten drei der acht Buchstaben stehen fest, es sind A, B und S. Abschied? Dass Bela B sich ausgerechnet jetzt eine neue Beschäftigung gesucht hat, Schriftsteller geworden ist, passt.

„Eine Beschreibung der deutschen Seele“

Doch könnte es natürlich sein, dass die Ärzte einfach dem Pop-Business mal wieder eine lange Nase drehen wollen – aufmerksamkeitsökonomisch waren sie schon immer ganz vorn mit dabei. Bela B sagt später, wie sehr er sich auf die angekündigten Auftritte im Sommer bei den Festivals Rock am Ring und Rock im Park und eine Tournee durch kleinere Clubs in verschiedenen Ländern Europas freue.

Zunächst aber entschuldigt er sich noch bei der Begrüßung dafür, „in der Literaturszene zu unerfahren“ zu sein: „Sonst würde ich im Café Einstein in der Kurfürstenstraße empfangen.“ Es ist das siebente Interview an diesem Tag.

„Scharnow“ wird von Bela B als „Heimatroman mit Fantasieelementen“ bezeichnet. Sein Verlag wirbt gar mit den Worten, Bela B sei „eine Beschreibung der deutschen Seele“ gelungen.

Ein kleiner österreichischer Verlag war auf den Gedanken gekommen, ob er nicht „als Quereinsteiger“ eine Geschichte über 90 Seiten schreiben wolle. Es folgte der Ratschlag einer Bekannten vom Heyne-Verlag, für den er wegen seiner Hörbücher schon tätig war, er solle doch gleich ein ganzes Buch verfassen. „Dann stand ich vor diesem Berg, 250 bis 300 Seiten sollten es werden, und mein Ausweg war erst mal der einer Kurzgeschichtensammlung.“

Fliegende Superhelden und „Fiesta Mexicana“

Aus der wurde schließlich, nachdem Bela B einige Figuren und Handlungsfäden miteinander verbunden hatte, ein Roman mit 400 Seiten. Der ist in zwei fiktiven Brandenburger Gemeinden nördlich von Berlin angesiedelt: in eben dem 4200 Einwohner zählenden, titelgebenden Scharnow und der nicht weit davon entfernten Kreisstadt Sahsenheim.

In „Scharnow“ tauchen zahlreiche mal spießige, mal betont derangierte, mal einfach nur tragische Figuren auf und wieder ab – auf sechs Seiten wird das Personal zu Beginn kurz vorgestellt. Der Roman enthält haufenweise Gimmicks, zum Beispiel schlagende Bücher und fliegende Superhelden, zudem laufen darin unentwegt Rex Gildos „Fiesta Mexicana“, B-Movies und Horrorvideos als Ton- und Bildspur mit.

„Das war ein schwerer Brocken, der mir vom Körper abfiel. Wie nach einem Marathon, wenn man den geschafft hat“, antwortet Bela B auf die Frage, ob ihm das Schreiben leicht von der Hand gegangen sei. Womit er keine Probleme gehabt habe: Geschichten zu erfinden, Figuren auszuarbeiten und die eigenen Vorlieben für Horror, Trash und Klamauk in den Roman mit einzubringen.

„An Ideen hat es mir da nicht gemangelt“, sagt er, und überhaupt der Marathon; von den sieben, die er selbst absolviert habe, sei der seltsamste, skurrilste der in Transsylvanien gewesen, der Dracula-Marathon. Den habe er einfach laufen müssen, allein wegen des Namens – seinen Künstlernamen hat der 1962 in West-Berlin als Dirk Felsenheimer geborene Bela B vom Dracula-Darsteller Bela Lugosi.

„Ostdeutsche Baukunst erwartet man nicht in Afrika“

Der Marathon in Siebenbürgen ging von dem Städtchen Sighisoara, dem ehemaligen Schässburg, nach Medias. Es habe 42 Teilnehmer gegeben und an den Getränkeaufnahmestationen sei Cola und „kaltes Gebirgswasser“ angeboten worden: „Beim Zieleinlauf gab es einen halben Liter Bier, und bei der Siegerehrung standen alle auf dem Treppchen. Am großartigsten war der Älteste des Feldes, weit über 80 Jahre alt.

Neben ihm fuhr den ganzen Lauf über ein Krankenwagen. Er hat immer wieder versucht, den wegzuscheuchen. Auch lustig war der Gottesanbeter, der die ganze Zeit mit erhobenen Armen und in Straßenschuhen gelaufen ist. Die Straßen waren nur so halb abgesperrt, da sind einem Kinder über den Weg gelaufen, die ,give us money, give us money‘ gerufen haben, Kühe, Hühner, Pferdefuhrwerke, alles.“

Er lacht, die Erinnerung an den Marathon hat ihn ein wenig davongetragen, wie sich überhaupt in dem Gespräch herausstellt, dass Bela B ein genuiner Erzähler ist. Also fährt er fort mit einem Supermarktüberfall in einem Dorf in der Nähe von Hamburg, den seinerzeit ein paar Männer verübten, nur mit Masken über dem Kopf, sonst nackt, „und die haben nur Alkohol und Zigaretten geklaut“. Das fand er so lustig, dass er die Szenerie mit vier seiner Figuren aus einer ihr Leben mit Saufen und dem Schauen von Horrorfilmen füllenden Jungs-WG ausgeschmückt und zentral in den Roman gestellt hat.

Und genau, schon fällt ihm auch das „Silo“ ein, in dem ein paar andere seiner Figuren wohnen. Das Silo ist ein 17-stöckiges Haus „im Zentrum einer lieblos modernisierten Plattenbausiedlung am Rande von Scharnow“, wie es im Buch heißt. Ja, da sei er im Urlaub in Tansania gewesen und da habe plötzlich mitten im Busch so ein Plattenbau gestanden. „Das war gespenstisch. Überall liefen chinesische Staatsangehörige herum, in Afrika, und klar, das konnte man im Reiseführer nachlesen, dass Tansania einst sozialistisch war und Beziehungen zu China und auch zur DDR hatte. Trotzdem höchst merkwürdig. Ostdeutsche Baukunst erwartet man erst mal nicht in Afrika.“

Spandau war „piefiger“ als der Rest West-Berlins

Der Roman setzt sich aus vielen solcher Begebenheiten und Szenerien zusammen. Warum aber hat ihn Bela B „seiner Jugend in Spandau“ gewidmet?

Bela B Felsenheimer, wie auf dem Titel von „Scharnow“ die Autorenzeile lautet, erzählt keineswegs eins zu eins Geschichten aus seiner Jugend in Spandau und übersetzt diese in die Gegenwart zweier Brandenburger Gemeinden. „Das war vielleicht die Erwartung des Verlags, dass ich mehr eine Autobiografie oder einen autobiografischen Roman schreibe“, sagt er. „Nur war das nicht mein Anliegen.“

Sagt es, sagt dann, dass Spandau das Vorbild für seine beiden Ortschaften gewesen sei und schildert, wie es sich anfühlte, lange vor dem Mauerfall dort aufzuwachsen. Dass Spandau „piefiger“ war als der Rest West-Berlins, selbst als Rudow oder Frohnau. „Drei Straßen raus, drei Discos, davon eine Hippie-Disco und eine, in der man immer aufs Maul bekommen hat, ein Eiscafé, ein Hertie, fertig. Mit großen Augen habe ich auf den Rest der Welt geschaut. Meine Lebenserfahrung als 16-Jähriger war, dass ich in Spandau in einem zusätzlich eingemauerten Ort lebe, ich zwei Mauern um mich herum hatte.“

Bela B begann nach der Schule Lehren als Polizist und bei Hertie als Schaufensterdekorateur, wo er wegen seiner bunten Haare herausflog und dann in einem Damenbekleidungsgeschäft landete. Mit 17 Jahren ging er nach Charlottenburg, wo er mit Jan Vetter, wie sein Ärzte-Kollege Farin Urlaub bürgerlich heißt, zusammenlebte und vor der Gründung der Ärzte und deren 84er-Debütalbum „Debil“ in mehreren Bands spielte.

„Also bin ich ein junger Debütant“

„Wie lange das her ist“, entfährt es ihm, „wie ich mich aufgeregt habe, als die Stones einst ihr 25-jähriges Bandjubiläum mit einem Tourfilm feierten, und jetzt sind wir selbst so alte Knaben! Und die Stones gibt’s immer noch.“

Er schweift wieder ab und kommt auf die Autogramme, die er sich einst vom Songschreiber – „These Boots Are Made for Walking“ –, Sänger und Musikproduzenten Lee Hazlewood besorgt habe. Was den wiederum dazu animierte, ihn fortan mit alten Fotos und weiteren Autogrammen geradezu zu bombardieren. Schließlich, ein Jahr vor Hazlewoods Tod 2007, kam es zu einer Zusammenarbeit, sie sangen gemeinsam ein Lied, das auf Hazlewoods letztem Album – und einer von Bela Bs Soloplatten – erschien.

Und er erzählt, wie ihn das Romandebüt des Kinoregisseurs David Cronenberg „Verzehrt“ beeindruckt hat, „der war da 71, also bin ich ein junger Debütant“. Oder er von Donald Ray Pollocks Erzählungssammlung „Knockemstiff“ beeinflusst worden ist. Klar, vieles davon sei recht abseitig. „Das ist mein Hang zum Nerd-Sein.“ Und, nach einer Pause: „Ach, was soll das!“

Erzählen jedenfalls, das kann Bela B. Gut möglich, dass er seine Berufung für ein Leben nach den Ärzten gefunden hat. Dann schweigt er. „Stille“, sagt er.

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