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Urgestein. Keith Richards spielt seit 1962 bei den Rolling Stones.
© Paul Zinken/dpa

Keith Richards zum 75.: Happy Birthday, Mister Rock'n'Roll!

Riffs, Drogen und Rebellion: Keith Richards, Gitarrist der Rolling Stones, wird 75. Eine Gratulation von BAP-Chef Wolfgang Niedecken.

Die Rolling Stones haben mich als Jugendlichen unmittelbar begeistert. Vor allem, weil meine Eltern mit ihnen überhaupt nichts anfangen konnten. Meine Mutter fand die Beatles großartig. Aber wenn sie auch noch die Stones gemocht hätte, hätte ich notgedrungen zu den Pretty Things wechseln müssen, denn die waren komplett verboten. Man will in diesem Alter einfach etwas für sich haben.

Schon die Bandfotos der Stones haben mich komplett umgehauen. Natürlich stand dahinter ein Imagekonzept: Manager Andrew Loog Oldham hatte die Jungs als Gegensatz zu den braven Beatles gestylt. Die Rolling Stones trugen diese bis oben hin zugeknöpften Hemden mit einem kleinen Steg und Druckknopf in der Mitte – aber keinen Schlips! Und die Haare deutlich über den Kragen. Das haben meine Freunde und ich natürlich alles eifrig nachgemacht. Was gar nicht so einfach war, weil ich ja auf ein katholisches Internat ging und die Padres immer auf die Haarlänge aufgepasst haben. Wenn man es dann doch mal geschafft hatte und mit einer richtigen Matte in eine bürgerliche Kneipe ging, um dann gleich wieder rauszufliegen, war das ein toller Erfolg.

Songs wie „Tell Me“, „Around And Around“ oder „Route 66“ waren das Erste, was ich mit 14, 15 von den Stones hörte. Dass manche Lieder gar nicht von ihnen stammten, wussten wir natürlich damals nicht, war uns aber auch egal. Jedenfalls haben wir alles fleißig mit unserer Schülerband nachgespielt. Auf mein erstes großes Konzert ging ich am 30. März 1967. Es war mein 16. Geburtstag und die Rolling Stones spielten in der Kölner Sporthalle. Unfassbar, ein Riesenereignis. Wir haben zwar nichts gehört, weil die Anlage unglaublich schlecht war, aber wir haben die gleiche Luft geatmet wie die Stones. Am Tag danach gab es im Fernsehen ein Interview mit der Band, bei dem Mick Jagger ganz brave Antworten gab. Aber hinter ihm saß Keith Richards und seine Blicke sagten deutlich, dass er das alles überhaupt nicht gut fand. Er war der sperrige Typ, der uns irre imponiert hat.

Bei mir war es dieser Dreisprung: Die Beatles haben mich für die Musik gewonnen, die Stones haben mir gezeigt, wie man mit vermeintlichen Autoritäten umgehen kann und Bob Dylan hat mich für Lyrik interessiert. Dabei war Keith Richards immer richtungweisend, mein absoluter Favorit. Er ist einfach Mister Rock’n’Roll. Auch wenn er unrühmlicherweise ein ganzes Jahrzehnt vor lauter Drogen nicht mitbekommen hat. Dass er das überhaupt überlebt hat! Der Mann, der immer ganz oben auf den Listen für den nächsten Rockstar-Toten stand! Inzwischen scheint er gut in Form zu sein. Er trinkt nicht mehr, lässt die harten Drogen weg und hat sich die Zähne schön machen lassen. Seine Mädels haben ihm den Führerschein und die Autoschlüssel weggenommen. Nur mit dem Rauchen hat er noch nicht aufgehört.

Der Meister servierte Wodka mit Orangenlimo

Anfang der Neunziger bin ich Keith Richards einmal begegnet. Da war er mit seinem zweiten Soloalbum „Main Offender“ auf Tour. Als er in Köln spielte, nahmen mich gemeinsame Freunde nach dem Konzert mit in den Backstagebereich. Der Meister empfing uns in seiner Garderobe, noch nicht umgezogen. Der Maler Sebastian Krüger stellte mich vor und erwähnte, dass ich auch Musiker sei. Es hat Keith gefreut, einen Kollegen zu treffen, er war super freundlich und hat mich lange ausgefragt: Wie ich den Auftritt fand, ob der Schlagzeuger und der Bassist nicht hervorragend seien…

Das Lustigste war aber, dass er mich auf einen Drink einlud und von seiner neuen Entdeckung schwärmte: Wodka mit Orangensaft – optimal, wenn man nicht zunehmen will. Er ging zum Kühlschrank, nahm einen Tetrapack Sunkist raus – also total gezuckertes Zeug – und mischte das mit Wodka. Wirklich nicht gerade diätgeeignet, aber wenn Mister Rock’n’Roll Ernährungstipps gibt, akzeptiert man das natürlich. Und wir haben dieses Wundergetränk dann auch gemeinsam getrunken. Für mich das erste und letzte Mal.

Wie BAP als Vorband ein Stones-Konzert rettete

Auf dem Bahnhof in Dartford lernte Richards1961 Mick Jagger kennen. Ein Jahr später gründeten sie die Rolling Stones.
Auf dem Bahnhof in Dartford lernte Richards1961 Mick Jagger kennen. Ein Jahr später gründeten sie die Rolling Stones.
© dpa

Etwa zehn Jahre vorher haben wir mit BAP auch mal als Vorgruppe der Rolling Stones in Köln gespielt. Das kam so: Zwei Stadionauftritte der Stones waren geplant, wobei der zweite Termin im Vorverkauf irgendwann in die Knie ging. Mehr als 20 000 gingen nicht weg. Also hat Konzertveranstalter Fritz Rau uns gefragt, ob wir nicht am zweiten Tag als Support spielen wollten.

Es war die Zeit, in der man uns radiomäßig nicht entkam, weil „Verdamp lang her“ auf allen Sendern lief. Wir haben dann gleich gesagt, dass wir beide Konzerte eröffnen wollen und haben ihnen dann tatsächlich am zweiten Tag noch das Stadion vollgemacht. Gern geschehen! Als Mick Jagger am ersten Tag in der Limousine vorfuhr, haben wir gerade „Verdamp lang her“ gespielt, und das Stadion flog fast auseinander. Jagger soll zu Rau gesagt haben: „What the hell is this, Fritz?“ Denn so viel Begeisterung für die Vorgruppe ist ja eigentlich nicht vorgesehen.

Die Zeitungen haben sich anschließend überschlagen. Der „Express“ war so stolz, dass er schrieb, wir hätten die Stones an die Wand gespielt. Was natürlich mitnichten der Fall gewesen war. 17 Jahre später haben wir dann noch mal als Vorband gespielt, was auch wieder sehr viel Spaß gemacht hat.

Ich schaue mir die Rolling Stones auf jeder Tour an. Bei der letzten habe ich sie zwei Mal gesehen, einmal in München und diesen Sommer im Berliner Olympiastadion. Ich freue mich dabei immer auf die zwei Songs, die Keith Richards singt. Viele gehen dann ja eher Bier holen oder Bier wegbringen, aber für mich ist es das Hochamt. Wie er etwa zuletzt „Slippin’ Away“ gesungen hat – das war wirklich der Blues eines alten, weißen, mittlerweile weisen Mannes, der davon erzählt, wie die Dinge ihm nach und nach entgleiten. Beeindruckend.

Er hat den Blues begriffen und irre Riffs erfunden

Keith Richards war einfach immer er selbst, eine Persönlichkeit, jemand, der sich nie angebiedert hat. Wobei mir völlig bewusst ist, dass zwischen ihm und Mick Jagger eine Art Ying-Yang-Geschichte stattfindet. Jagger ohne Richards geht nicht, was man zum Beispiel an Jaggers Soloplatten hört, die zwar professionell gemacht sind, aber viel zu wenig Seele haben. Umgekehrt funktioniert Richards aber auch nicht ohne Jagger: Seine Kompositionen gehen alle in den Wald. Trotzdem ist er mein absoluter Lieblingsgitarrist – kein Virtuose wie Clapton oder Knopfler, die ich beide großartig finde. Aber Richards hat den Blues vollkommen begriffen, er spielt sehr reduziert und vor allem hat er diese irren Riffs erfunden. Viele davon sind relativ einfach, doch gleichzeitig unglaublich fesselnd. Wenn ich morgens nicht in die Gänge komme, hilft mir in der Regel der Stones-Song „Tumblin’ Dice“. Das Riff ist so verschlafen und entspannt, dass mich das jedes Mal wieder mitreißt. Das Ding groovt einfach unfassbar.

Großen Einfluss auf Richards’ Gitarrenspiel hatte übrigens Gram Parsons, der ihn ins American Songbook eingeführt hat und ihm vor allem die verschiedenen offenen Gitarrenstimmungen nahe gebracht hat. Ein Stück wie „Honky Tonk Woman“ wäre ohne den einstigen Byrds-Gitarristen nicht denkbar. Und dem Album „Exile On Main Street“ hört man ebenfalls an, dass Parsons damals in Nellcôte, dieser französischen Villa, dabei war, in der sämtliche Songs entstanden sind. Das Doppelalbum gehört neben „Beggar’s Banquet“, „Sticky Fingers“ und „Let It Bleed“ zu den vier großen Stones- Alben, an die nichts herankommt.

"Sympathy For The Devil" in der Deutschklassenarbeit

Allerdings gibt es auf jeder ihrer Platten immer einige gute Songs. Das letzte Album „Blue And Lonesome“ mit alten Standards hat mir auch gut gefallen. An drei Tagen aufgenommen, und Eric Clapton war einen Tag dabei. Allerdings fände ich es schon schön, wenn mal wieder ein Album mit neuen Songs käme.

Der Stones-Song, mit dem ich mich am tiefsten verbunden fühle, ist „Sympathy For The Devil“. Mit jeder Band, in der ich war, habe ich den irgendwann mal gespielt. Als das Album damals gerade erschienen war, gab es eine Deutschklassenarbeit mit dem Thema „Welches Gedicht hat Sie in Ihrem Leben am meisten beeinflusst?“ Alle Streber schrieben über „Die Glocke“ oder „Die Bürgschaft“, während ich den Text von „Sympathy For The Devil“ übersetzte und interpretierte. Ich bekam die Arbeit mit der Anmerkung zurück, dass der Lehrer das nicht bewerten könne, es mir aber positiv anrechne. Was nicht geschah. Von da an ging meine Gymnasialkarriere steil bergab. Bei der nächsten Arbeit schrieb ich über Andy Warhol’s Film „Flesh“. So war ich eben drauf: Keith war mein Held, und ich habe mich nicht angepasst. Am Ende war das ja auch der richtige Weg für mich.

Aufgezeichnet von Nadine Lange.

Kürzlich erschienen: BAP: "Live & Deutlich" (Vertigo). Im nächsten Jahr sind Niedeckens BAP auf Tour. Termine hier.

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