Hoffen auf Ende der Wirtschaftssanktionen: Iran nach dem Deal - das gespaltene Land
Mohsen Qasemi geht es gut, er arbeitet für die iranische Regierung. Trotzdem will er, dass sich sein Land verändert. Alle hoffen nun auf das Atomabkommen.
Mohsen Qasemi parkt den Wagen in zweiter Reihe auf der Straße, beim Aussteigen rückt er die Sonnenbrille zurecht, blickt auf sein Smartphone. Eilig weicht er den Passanten auf dem Gehweg aus. Keinen Blick wirft er auf die Decken am Boden, auf denen Frauen oder Männer Stoffhosen, Tücher und Strümpfe zum Verkauf ausgelegt haben. Keinen Blick auf die Flakons im offenen Kofferraum des iranischen Peykans, Baujahr 1970, der halb auf dem Gehweg parkt. Der Verkäufer sitzt auf der Rücksitzbank, isst Reis mit Huhn und ruft: „Parfüm! Für Männer und Frauen! Chanel, Boss, Armani!“ Es sind Plagiate. Mohsen Qasemi sucht echte Qualität. Doch das ist schwierig in diesem Land. Noch.
Er bleibt vor einem Schaufenster stehen, das aufwendig dekoriert ist, mit Hängeleuchten aus Glas, Laternen im Landhausstil, Rattankörben. Das blau-gelbe Logo des Geschäfts sieht aus wie überall sonst auf der Welt, nur ein zusätzliches „i“ hat sich in den Namen gedrängt: „Ikiea“. So heißt die Möbelkette im Iran. Die Wände sind himmelblau, türkis und rosa gestrichen. Drei Mitarbeiter in blauen Hemden beraten auf nur 30 Quadratmetern die Kunden. Mohsen Qasemi will den Topfuntersetzer „Lämplig“ und die Dose „Korken“ kaufen. Er wird dafür das Vierfache dessen zahlen müssen, was die Artikel in Deutschland gekostet hätten. „Ich habe ja keine Wahl. Diese Preise verdanken wir den Wirtschaftssanktionen“, sagt Qasemi. Überall auf der Welt ist Ikea der Einrichter so ziemlich aller sozialen Schichten. In Iran ist Ikiea der Ausstatter der Wohlhabenden.
Ausländische Waren sind beliebt - und teuer
Mohsen Qasemi ist 55 Jahre alt, sein Dreitagebart ist so schwarz wie das Hemd, das er trägt. Er arbeitet in einem Ministerium. In welchem genau, soll besser nicht öffentlich werden. Genauso wenig wie sein richtiger Name. Bloß so viel sei über ihn verraten: Khar-esh mire. Sein Esel läuft. Das sagt man im Iran, wenn jemand Einfluss besitzt. Es geht ihm besser als den meisten Iranern, auch wenn die Sanktionen alle treffen. Kreditkarten funktionieren nicht, Überweisungen sind schwierig. Irans Banken sind abgeschnitten vom internationalen Finanzsystem. Westliche Produkte sind wegen der Handelsbeschränkungen kaum zu kriegen. Iranische Zwischenhändler kaufen sie in Dubai oder Europa ein, deshalb der Aufschlag.
Sicher, er könne auch billigere iranische Produkte kaufen, sagt Qasemi, aber er sehe nicht ein, wieso er sich den Stil seiner Einrichtung nicht aussuchen dürfe. Also Ikiea. Es ist keine offizielle Filiale, sondern eines von mehreren nicht lizensierten Geschäften, die es in Teheran gibt. In den Verkaufsregalen liegen Accessoires, Dekoblumen, Schnapsgläser und Waren, die ganz sicher nicht von Ikea stammen. „Starbucks“-Tassen zum Beispiel. Die ausländischen Waren sind beliebt, stehen für Qualität und Individualität. Und sie künden von einer neuen Zeit, die jetzt anbrechen könnte.
Mitte Juli hat sich für Iran nach mehr als dreißig Jahren politischer und wirtschaftlicher Isolation eine Tür geöffnet. Sechs Mächte haben mit der islamischen Republik eine Einigung im Atomstreit getroffen – nach 13 Jahren Verhandlungen. Zehn bis 15 Jahre wird das iranische Nuklearprogramm so beschränkt, dass das Land keine Atombombe bauen kann. Im Gegenzug sollen die Sanktionen gegen Teheran aufgehoben werden.
Iran ist mit seinen 80 Millionen Einwohnern das größte Land, das sich seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion der Weltwirtschaft öffnet. Westliche Unternehmen sind in Stellung, denn der Iran hat in vielen Bereichen großen Nachholbedarf. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel war im Juli unter den Ersten, die mit einer Delegation nach Teheran reisten. Kontakte knüpfen, wie er das nannte. Inzwischen waren längst auch französische und italienische Vertreter vor Ort. Außenminister Frank-Walter Steinmeier will im Oktober nach Iran reisen. Die wirtschaftlichen Perspektiven sind interessant, das Geschäft mit Öl und Gas lukrativ. Zudem verfügt Iran über eine starke Industrie, zum Beispiel in der Autoproduktion. Das Land ist ab 2016 ein riesiger bisher unerschlossener Absatzmarkt. Da will niemand das große Geschäft verpassen.
In den vergangenen Jahren hat das Handelsembargo in Iran einigen wenigen genutzt und eine Schicht an Neureichen hervorgebracht, die zu Millionären geworden sind. Darunter vor allem staatliche oder staatsnahe Akteure mit guten Kontakten, die Waren an den Sanktionen vorbei ins Land einführten. Ohnehin gehört die iranische Wirtschaft zu 70 Prozent dem Staat. Das politische Establishment hat von den Sanktionen profitiert, während der Rest des Landes litt.
Investitionen? Ja! Ein Ausverkauf Irans? Niemals
Ob das nun besser werden kann? Wie wird er aussehen, der „neue Iran“ nach der Einigung? Wo geht es lang? „Wir fahren einfach mal los“, antwortet Mohsen Qasemi. Er steigt in seinen weißen Toyota-SUV und fährt westlich aus der Stadt heraus. Auf mehrspurigen Highways geht es durch die Häuserschluchten. Vorbei an den Schildern der Fast-Food-Ketten „Pizza Hot“ oder „Mash Donald’s“, der schicken Restaurants Fellini oder Manhattan Grill, Werbung für Swatch und das Modegeschäft Massimo Dutti.
Mohsen Qasemi hofft, dass bald ausländische Firmen in seine Heimat investieren. „Das Land steht aber nicht zum Verkauf!“, sagt er bestimmt. Der Islamischen Republik und Staatsoberhaupt Ali Khamenei sei er in religiöser Pflicht ergeben. Eine zu starke Annäherung an den Westen lehne er ab. Er vermute dort Kräfte, die einen Regimewechsel anstreben. „Der Iran bleibt ein unabhängiges Land“, sagt er etwas zu laut. Er ballt die Faust und hält sie hin, als wolle er sagen: „Riech mal dran!“ Aber dann lacht er. Mohsen Qasemi ist ein höflicher Mensch. Er lächelt milde, selbst wenn seine Sätze scharf klingen.
Und so manifestiert sich in Qasemi ganz gut das Dilemma, vor dem auch Irans Präsident Hassan Ruhani steht. Innenpolitisch muss er hart auftreten, das Ende der Sanktionen als Irans Obsiegen über den Westen verkaufen, um die Hardliner in der eigenen Führung zu befrieden, ohne die er im komplizierten politischen System des Landes keine Reformen durchbringen kann. Nach außen hin muss er gleichzeitig unbedingt den Eindruck vermeiden, der Iran sei in Wahrheit doch der Schurkenstaat, für den Israel ihn immer gehalten hat. Mithin schlimmer und gefährlicher als der sogenannte Islamische Staat, wie Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kürzlich wieder sagte. Israel fürchtet das iranische Atomprogramm, fürchtet, dass mit den zusätzlichen Milliarden, die Iran mit dem Ende der Handelsbeschränkungen erwirtschaften könnte, das Land doch irgendwann in der Lage ist, eine Atombombe zu bauen.
Die politischen Gräben sind tief. Erst am vergangenen Freitag sagte Teheran ein Konzert des Dirigenten Daniel Barenboim ab, weil der israelischer Staatsbürger ist. „Iran erkennt das zionistische Regime nicht an und wird auch nicht mit Künstlern dieses Regimes zusammenarbeiten“, sagte ein Sprecher des iranischen Kultusministeriums. Eine Farce, denn zuvor kam auch aus Israel Kritik: „Barenboim verfolgt eine antiisraelische Linie und schwärzt Israel bei jeder Gelegenheit an“, schrieb die israelische Kulturministerin Miri Regev auf ihrer Facebook-Seite.
1,3 Mobiltelefone pro Einwohner
Iran ist zerrissen von der Dogmatik der Herrschenden und den Wünschen der eigenen Bevölkerung. An vielen Straßenecken und öffentlichen Plätzen sieht man Wände und Plakate mit religiösen Mahnungen oder den bunten Porträts religiöser Märtyrer. Mindestens so zahlreich und aufdringlich aber ist die Werbung für Smartphones. Die Verbreitungsrate von Mobiltelefonen in Iran beträgt 126 Prozent, macht 1,3 Handys pro Kopf.
Die digitale Welt des Internets ist zu einem neuen öffentlichen Zwischenraum geworden. Mit Antifilterprogrammen und virtuellen privaten Netzwerken umgehen viele Iraner die Internetzensur. So machen es auch die Theokraten und Hardliner, die ihre Botschaften ebenfalls auf Facebook, Whatsapp und Instagram verbreiten.
Mohsen Qasemi antwortet Frau und Freunden auf Whatsapp oder Telegram statt mit ganzen Sätzen gerne mit Emoticons. „Das geht schneller“, sagt er. Die Zensur sei sinnlos. Für ihn sei das Internet eine neue Arena, in der der Kampf über die Zukunft des Landes weitergeführt werde. „Wir müssen uns gegen die wehren, die sich an anderen als den islamischen Werten orientieren.“
Und davon gibt es einige. Vor allem bei den jungen Iranern. 60 Prozent der Einwohner sind jünger als 35 Jahre. Im Internet entziehen sie sich den moralischen und religiösen Restriktionen des Regimes, lesen ungefilterte Nachrichten und Gerüchte über Prominente, debattieren über Freiheit, Frauenrechte und demokratische Teilhabe – Teufelszeug aus Sicht der Ajatollahs und der Profiteure des Regimes wie Qasemi.
Es ist nicht der erste Kampf, den Mohsen Qasemi für den Iran führt. 1978/79 stritt er für eine Islamische Republik. Damals war er 19 und bewaffnet. Die islamischen Revolutionäre kämpften gegen das Regime des Schahs Mohammed Reza Pahlavi. Mohsen Qasemis Familie zählte da noch zu den „mostazafin“, den Unterdrückten; Landflüchtlinge, die in den siebziger Jahren auf der Suche nach einem besseren Leben nach Teheran gekommen waren, keine Arbeit fanden und in den Elendsvierteln am Rande der Stadt endeten. Unter dem Schah sollte der Iran westlich, säkular, modern werden. Doch die Moderne bedeutete nicht nur Freiheit, sondern auch Diktatur. Der Schah und seine Familie kontrollierten die Wirtschaft. Ajatollah Khomeini war da die Stimme der Opposition und beanspruchte die Macht – im Namen der „mostazafin“, im Namen auch von Mohsen Qasemi. „Gerechtigkeit, Würde und Selbstbestimmung“, war sein Versprechen. Am 16. Januar 1979 titelten zwei iranische Tageszeitungen dann „Shah raft“. Der Schah hat das Land verlassen. Khomeini kehrte aus dem Exil zurück und errichtete seinen Gottesstaat.
Heute, 36 Jahre nach Gründung der Islamischen Republik, besitzt Mohsen Qasemi einen SUV. Er hat einen guten Arbeitsplatz und kauft bei Ikiea ein. Für andere haben sich die Versprechen der Revolution nicht erfüllt. Qasemi steht im Stau. „Die Religion“, sagt er und hält inne, „sie befriedigt längst nicht mehr alle menschlichen Wünsche.“ Die junge Gesellschaft sehne sich nach Normalität und einem Ausbruch aus der Isolation. Davor fürchte er sich nicht, sagt Qasemi. Vor dem sozialen Wandel, der sich nun beschleunigen könnte, wenn das Land sich langsam öffnet. „Denn das geistige und spirituelle Fundament der Republik ist stark.“
Viele warten auf die Ankunft des Imam Mahdi
Die Konservativen wiederholen diese Rhetorik oft in diesen Tagen. Nach dem Atomabkommen gelten sie als die Verlierer. Die moderate Regierung um Präsident Ruhani hat im Wahlkampf 2013 den Kampf gegen die Sanktionen und eine Politik der internationalen Verständigung versprochen. Der Erfolg gibt der Regierung nun recht und verspricht mehr Stimmen bei der Parlamentswahl 2016. Es könnte das Ende der konservativen Mehrheit im Land bedeuten und die Machtbalance im Land verändern.
Mohsen Qasemi hat mittlerweile sein Ziel erreicht und parkt das Auto. Er greift zu seiner Gebetskette und steigt vor einem gigantischen marmornen Moscheekomplex aus. Zwei riesige Minarette leuchten hellgrün in den Nachthimmel. Die Berge im Hintergrund wirken winzig. Pilger jeden Alters strömen in den Hof des Komplexes. Manche sitzen im Rollstuhl oder gehen auf Krücken.
Mohsen Qasemi steht an der Moschee von Jamkaran, südwestlich von Teheran. Die schiitischen Gläubigen, viele gehören zur iranischen Arbeiterschicht, erwarten hier die Ankunft ihres Messias, des Imam Mahdi, des verschwundenen zwölften Imams. Die Legende besagt, dass der hier aus einem Brunnen auferstehen soll, um Gerechtigkeit und Frieden auf der Erde wiederherzustellen. Im vergangenen Jahrzehnt haben konservative Politiker die Pilgerstätte stark ausgebaut. Heute gibt es Büros, Konferenzräume, Internet, Suppenküchen und eine Tierfarm. Es ist eine Hoffnungsindustrie. Auf dem Hof der Moschee stehen zwei Brunnen, einer für Frauen, einer für Männer. Hunderte Pilger stehen davor an, um Briefe an den Imam Mahdi einzuwerfen. Mohsen Qasemi faltet seinen Brief und wartet, bis er an der Reihe ist. „Die Menschen bitten den Imam um Gefallen. Sie formulieren ihre Träume, Sorgen und Probleme, bitten um Dinge, die ihnen versagt bleiben, hoffen, dass der Imam in die materielle Welt eingreift und hilft.“ Mohsen Qasemi ist an der Reihe. Kurz schließt er die Augen, dann wirft er den Brief in den Brunnenschlitz. „Jetzt müssen wir warten“, sagt er.
Florian Bigge