Atomgespräche mit dem Iran: Es geht ums "Zeit gewinnen"
Die Gespräche mit dem Iran über sein Atomprogramm gehen in die letzte Runde. Kann es eine Einigung geben? Experte Hans Rühle über den Sinn der Verhandlungen, Teherans Ambitionen und die Gefahr eines Wettrüstens im Nahen Osten.
Herr Rühle, wie weit ist der Iran von seinem Ziel entfernt, eine Atommacht zu werden?
Als die jüngsten Verhandlungen vor einem Jahr begannen, stand nach Ansicht aller Experten und der US-Regierung der Iran noch zwei Monate vor der Möglichkeit, einen zündbaren Sprengsatz zu bauen.
Hat sich daran inzwischen etwas geändert?
Ein Teil der damals vorhandenen Uranbestände wurde in ein Oxid umgewandelt, das nicht mehr so einfach für den Bombenbau verwendet werden kann. Der Iran hat auch die Hälfte seiner 19 000 Zentrifugen zur Urananreicherung stillgelegt. All diese Änderungen ließen sich aber innerhalb weniger Wochen wieder zurückdrehen.
Besonders um die Zentrifugen wird heftig gestritten, warum?
Spaltbares Material ist die Grundvoraussetzung, um Nuklearwaffen herzustellen – und der schwierigste Teil des Bombenbaus. Mit einer Zentrifuge können sie schwach angereichertes Material produzieren, das man zum Beispiel in einem Reaktor verwendet. Mit der gleichen Zentrifuge ist es aber auch möglich, waffenfähiges Uran zu produzieren. Da ist der Übergang zwischen militärischen und zivilen Zielen fließend.
Teheran behauptet immer wieder, die Atomkraft nur für friedliche Zwecke nutzen zu wollen. Ist das glaubhaft?
Von den 2000 Mitarbeitern der Atomenergiebehörde glaubt keiner an ein friedliches Programm. Alle Atommächte dieser Welt haben einst zivile Ziele vorgeschoben. Und irgendwann haben sie die Grenze überschritten.
Lässt sich eine iranische Atombombe überhaupt noch verhindern?
Langfristig wird der Iran zu einer Atommacht werden. Die Frage lautet, wie weit man das noch hinauszögern kann. Die Verhandlungen haben nur ein Ziel: Zeit gewinnen. Die Amerikaner glauben im Moment, dass sie den Iran 20 Jahre ruhigstellen können. Teheran selbst wäre wohl bereit, den Status quo fünf Jahre zu halten. Spätestens nach 20 Jahren stünde es dem Land dann aber frei zu tun, was immer es will – zumindest im Rahmen des Atomwaffensperrvertrags.
Warum wäre es denn so schlimm, wenn der Iran Atommacht würde?
Ein Rüstungswettlauf im Nahen Osten wäre dann unvermeidlich. Saudi-Arabien hat erst vergangene Woche erklärt: "Wenn der Iran Atomwaffen hat, werden wir auch welche haben." Ägypten hatte schon immer die Absicht, Atommacht zu werden. Die Türkei hat ebenfalls mehrfach betont, dass sie dem Iran nicht erlauben werde, die einzige Atommacht der Region zu werden. Der Iran ist zudem der einzige Staat, der einem anderen mit Auslöschung droht – nämlich Israel. Die Weltgemeinschaft muss sich fragen, ob sie es solch einem Staat erlauben darf, Atomwaffen zu besitzen.
Was bringen die jetzigen Kontrollen?
Im Moment unterliegt der Iran nur dem sogenannten Safeguard-Abkommen gemäß des Atomwaffensperrvertrags. Das Land hat sich aber geweigert, ein Zusatzabkommen zu ratifizieren, das den Kontrolleuren der Atomenergiebehörde mehr Befugnisse garantieren würde. Ein Kernpunkt der Verhandlungen ist deshalb, dass der Iran dieses unterschreibt. Teheran will seinerseits gar keine Kontrollen. Man empfindet sie als Affront.
Wie könnte denn ein Minimalkonsens aussehen, wenn eine Einigung bis zum 24. November erzielt werden sollte?
Dass bis dahin irgendetwas beschlossen wird, ist nahezu ausgeschlossen. Was kommen wird, ist eine weitere Verlängerung der Verhandlungen …
... aber die Amerikaner haben das doch ausgeschlossen, oder?
Nein, sie haben nur gesagt, sie verhandeln nicht auf Verlängerung, sondern auf Abschluss. Aber ihre Diplomaten betonen einstimmig, da geht nichts mehr. Man wird nun bis zum 24. November 23.59 Uhr formal so tun, als werde weiter verhandelt. Doch es ist klar, dass eine Verlängerung kommen wird. Vielleicht um vier oder sechs Monate.
Was wären die Bedingungen dafür?
Die wirtschaftliche Situation des Iran hat sich seit Beginn der Verhandlungen im vergangenen Jahr stark verschlechtert, der Ölpreis ist dramatisch gefallen. Der Iran wird also darauf drängen, dass weitere ökonomische Sanktionen gelockert werden.
Und die Amerikaner machen da mit?
Obama hat den amerikanischen Kongress im Genick, der keinen Vertrag akzeptieren wird, der zulasten der USA geht, im Iran sind die Mullahs und das Parlament der Meinung, die islamische Republik dürfe keinen Millimeter Boden freigeben.
Also keine Einigung in Sicht?
Ein langjähriger Berater der US-Regierung hat das Problem einmal auf den Punkt gebracht: "Der Iran will die Bombe – und wir wollen das nicht." Es wird nie einen Vertrag zwischen den beiden geben. Die Lösung wird sich anders ergeben. Man kann natürlich den Bombenbau verzögern und darauf hoffen, dass innerhalb der nächsten 20 Jahre ein Regimewechsel im Iran die Lage entschärft. Ansonsten gibt es nur zwei Optionen: Entweder man lässt den Iran Atommacht werden oder man greift militärisch ein.