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Der Vormarsch der Terrorgruppe Isis zwingt alte Feinde in neue Allianzen. Hier versammeln sich freiwillige um mit der irakischen Armee gegen Isis zu kämpfen.
© Reuters

Irak-Krise: Probelauf für neue Sicherheitspolitik

Einmarsch, Wiederaufbau, Abzug: die Zeiten, in denen jemand noch an den Erfolg dieser Politik glaubte, sind vorbei. Die Krise im Irak kann deshalb nur mit Partnern in der Region gelöst werden. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Sidney Gennies

Manchmal braucht es eine Katastrophe, damit sich Verhältnisse zurechtrücken können, die lange unabänderlich schienen. Der Vormarsch der Terrorgruppe „Islamischer Staat im Irak und Syrien“ (Isis) ist eine solche Katastrophe. Isis ist es in seiner fanatischen Verblendung gelungen, fast alle wichtigen Player auf dem politischen Spielbrett vom Iran bis zu den USA gegen sich aufzubringen und in neue, vielleicht heilsame Allianzen zu zwingen.

Die Terrorherrschaft, die die sunnitische Isis im Irak plant und im Norden Syriens – etwa in Raqqa – auch schon offen praktiziert, verursacht vor allem bei der Bevölkerung großes Leid. Das dürfte mittelfristig selbst jene sunnitischen Glaubensgenossen im Irak abschrecken, die in Isis bisher noch einen Verbündeten im Kampf gegen die schiitische Dominanz im Land gefunden zu haben glauben. Davon profitiert auch der schiitische Ministerpräsident Nuri al Maliki, der in seiner Amtszeit alles falsch gemacht und mit seiner repressiven Politik gegenüber der sunnitischen Minderheit der Terrorgruppe überhaupt erst Zulauf beschert hat. Angesichts des Horrors, den Isis bietet, können und müssen die gemäßigten Schiiten und Sunniten im Land ihre von al Maliki künstlich offen gehaltenen Gräben nun aber zumindest zeitweise überwinden, um die Gefahr abzuwenden.

Irak ist auf USA und Iran angewiesen

Besonders die Bevölkerung leidet unter dem Vormarsch der Terroristen. Hunderttausende sind bereits auf der Flucht.
Besonders die Bevölkerung leidet unter dem Vormarsch der Terroristen. Hunderttausende sind bereits auf der Flucht.
© AFP

Was regional im Irak gilt, muss auf weltpolitischer Ebene fortgeführt werden. Anzeichen dafür, dass die Bereitschaft dazu wenigstens grundsätzlich existiert, gibt es bereits. So betreibt der britische Außenminister William Hague die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen des Vereinigten Königreichs zu Iraks Nachbarn Iran. Und auch die USA erwägen eine wie auch immer geartete Kooperation mit dem Erzfeind Iran, um den Vormarsch der Isis-Kämpfer zu stoppen. Allein dass es die Andeutung einer Zusammenarbeit gibt, zeigt, wie brisant die Lage im Irak ist. Denn sowohl US-Präsident Barack Obama als auch der iranische Präsident Hassan Rohani gehen mit der Annäherung ein innenpolitisches Risiko ein. Obama wird sich in den USA rechtfertigen müssen, warum die Iraner, die mit ihrem Atomprogramm nach US-Lesart nicht weniger als den Weltfrieden gefährden, nun ein wichtiger Partner sein sollen. Genauso wird Rohani erklären müssen, wie eine Zusammenarbeit mit den von iranischer Propaganda zum Satan stilisierten Amerikanern die Region stabilisieren soll.

Die Feinschaft bleibt bestehen

Der Hass auf die USA ist in Iran auch wegen staatlicher Propaganda allgegenwärtig. Für Rohani ist die Annäherung deshalb auch ein innenpolitisches Risiko.
Der Hass auf die USA ist in Iran auch wegen staatlicher Propaganda allgegenwärtig. Für Rohani ist die Annäherung deshalb auch ein innenpolitisches Risiko.
© Reuters

Dass sie es dennoch versuchen, lässt hoffen und könnte – wenn die Strategie aufgeht – eine Zeitenwende in der internationalen Sicherheitspolitik einleiten. Einmarsch, Wiederaufbau, Abzug: Die Zeiten, in denen der sogenannte Westen, angeführt von den USA und Großbritannien, dachte, mit einer solchen Politik ließen sich Krisenregionen auf Dauer stabilisieren, sind seit den Kriegen in Afghanistan und Irak vorbei. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat deswegen recht, wenn sie (sicher nicht ohne sich mit den amerikanischen Partnern zuvor beraten zu haben) anmahnt, die Lösung der Irakkrise sei vor allem Sache der Regionalmächte. Das bedeutet aber nicht, die Region sich selbst zu überlassen, sondern im Gegenteil mit allen stabilen Staaten zusammenzuarbeiten. Dazu gehören die bisherigen Partner Türkei, Jordanien und Saudi-Arabien ebenso wie der verhasste, aber einflussreiche Iran.

Es bedeutet vor allem, dass das Schicksal des Mittleren Ostens nicht von Washington oder London aus bestimmt werden kann. Die Region befindet sich in einer historischen Neuordnung, die nach und nach die Konzepte von Staatsgrenzen und Staatsformen, wie sie die Kolonialmächte am Reißbrett entworfen hatten, abschüttelt. Denn Isis ist ja nicht wegen seiner militärischen Überlegenheit so erfolgreich, sondern weil die Terrorgruppe die Instabilität der Staatskonstrukte und die Feindschaft zwischen den verschiedenen Ethnien und Konfessionen für sich zu nutzen versteht.

Der Prozess der Neuordnung wird nun schmerzhaft – auch für den Westen. Die Federführung aber sollte in der Region liegen. Selbst wenn dazu gehören könnte, dass der Irak in seiner jetzigen Form nicht erhalten bleibt, sondern in kleinere Staaten zerfällt.

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