Abschied von Heinz Buschkowsky: Im Abgang trocken
Als Heinz Buschkowsky sein Amt antrat, hatte Neukölln noch keinen Weltruhm, sondern galt als schlecht beleuchtete Berliner Reste-Rampe. Ob die Wende nun sein Verdienst war oder ob sie zufällig passiert ist, darüber streiten Freunde und Feinde.
Ein angemessener Abschied war das nicht. Heinz Buschkowskys letzte Bezirksverordnetenversammlung nach 15 Jahren als Bürgermeister – und dann einfach ein Blumenstrauß und ein wenig warmer Beifall? Irgendetwas Kurtkrömerhaftes hätte sich doch angeboten, mit Sahnetorten, Bussi-Bussi und Blaskapelle, aber nein: Die Bezirksverordneten haben ihn, Tagesordnungspunkt 4, angehört, nett verabschiedet, nach Hause geschickt und sich dann in die Feinheiten der bezirklichen Radwegeplanung versenkt. Und er stand vor der Saaltür und scrollte sein Smartphone durch, tschüss, Heinz.
Kann ja noch kommen an seinem letzten Arbeitstag in dieser Woche. Zum Abschluss der knappen Abschiedsrede in der Bezirksverordnetenversammlung hatte er seinen Leuten immerhin noch eine Botschaft mitgegeben: „Wo Neukölln ist, ist vorn.“ Ein stolzer Satz, den sein Vorgänger Bodo Manegold so vermutlich nicht gesagt hätte, zum einen, weil der nicht so der Typ war, zum anderen, weil Neukölln damals eben auch noch nicht diesen Weltruhm mit sich herumschleppte, sondern eher als schlecht beleuchtete Berliner Reste-Rampe galt. Ob die Wende nun aber Buschkowskys Verdienst war, wie seine Fans meinen, oder ob sie trotz seiner Arbeit irgendwie zufällig passiert ist, das ist eine jener Streitfragen um ihn herum, die sich stundenlang debattieren, aber unmöglich klar beantworten lassen.
Schlau, eitel und populär
Buschkowsky stand zunächst einmal vor allem für Buschkowsky selbst. Schlau, eitel und populär ist er, sagt Sätze wie sonst kein etablierter demokratischer Politiker, Sätze wie „Wir müssen denen, die alle Regeln für einen unverbindlichen Ulk halten, hin und wieder die Ohren lang ziehen.“ In solchen Botschaften traf er sich mit Weggefährten wie der Jugendrichterin Kerstin Heisig, die ihn lobte für seinen „schier unerschöpflichen Tatendrang, Mut und Humor, gepaart mit einem messerscharfen Verstand“.
Und mutig war er vor allem, wenn es darum ging, die Lebenslügen der eigenen Leute aufzudecken. Linksdrift und Realitätsverweigerung regten ihn auf, die Mitte der Sozialdemokratie war da, wo er war, und wenn die Partei das nicht mitbekam, dann war das Pech für die Partei. „Multikulti ist gescheitert“, der Satz, mit dem er 2004 die Talkshows der Republik enterte, galt als ein solcher Tabubruch, und er entfaltete vor allem deshalb so große Wirkung und Glaubwürdigkeit, weil er von praktischer Erfahrung und Zuneigung gestützt war und nicht von der buchhalterischen Kälte, die der Theoretiker Thilo Sarrazin später in die Debatte brachte.
"Ey, Bürgermeister, hastu Feinde?"
Buschkowsky verkaufte sich nicht nur besser mit seiner Fernsehpräsenz und druckreifen Sprache, sondern er sah auch die Fallstricke und kriegte immer gerade noch die Kurve zum sozialdemokratischen Mainstream, bevor es gefährlich wurde. „Multikulti ist gescheitert“ – der Satz klang böse, aber er richtete sich ja eindeutig nicht gegen Ausländer, sondern gegen jene, die aus der heilen Welt der Sozialpädagogen-WGs und kulturrelativistischen Zirkel Ratschläge geben wollten, gegen jene, die sich den Berliner Alltag als einen einzigen Karneval der Kulturen vorstellten. Das spaltete zwangsläufig auch die Partei; der Heinz, raunten seine Leute, ist manchmal ein bisschen speziell, aber die Wähler da unten mögen das wohl, oder?
Nicht nur die Wähler: Es ist mehr als nur verhaltener Stolz, wenn er erzählt, dass ihm die schrägen Kids aus türkischen und arabischen Familien über die Straße schon mal zurufen: „Ey, Bürgermeister, hastu Feinde? Wir kämpfen für dich!“ Er würde auch für sie kämpfen, das wissen sie, jedenfalls, wenn sie sich anständig benehmen. Buschkowsky, ein Arbeiterkind, besitzt die Glaubwürdigkeit jener, die sich aus kleinsten Verhältnissen nach oben gearbeitet haben, die sich nicht beim kleinsten Gegenwind im Arbeitszimmer verschanzen, und er mag die schrägen Vögel.
Sein Fahrer ist Türke, und man darf ihm glauben, dass das kein abgefeimter PR-Schachzug ist, sondern Herzenssache – und ganz am Rande vielleicht auch die Anerkenntnis, dass Türken mit der Neuköllner Straßenverkehrsordnung irgendwie besser zurechtkommen, weil sie sie praktisch erfunden haben.
Seine eigene Haltung war unstrittig
Deshalb ärgerte ihn auch, dass in den letzten Monaten viele Pegida-Anhänger sich auf ihn beriefen. Also war er noch einmal aufgefordert, seine Position zu bestimmen – und überholte sogar die halbe CDU von rechts: Man solle die Pegida-Leute doch nicht alle zu Nazis stempeln, sondern ihre Ängste ernst nehmen, zumindest aber nicht auch noch gegen sie demonstrieren.
Seine eigene Haltung war indessen unstrittig. Er selbst, sagte er bündig, sei für mehr Integration und nicht für weniger, und habe schon deshalb nichts mit Pegida zu schaffen. Den meisten Ärger hatte er deshalb auch nicht mit libanesischen Großfamilien, deren Umtriebe er selbst plakativ anprangerte, sondern mit verbohrten Linksradikalen, die ihn bis auf den Weihnachtsmarkt verfolgten und ihm dort eine „antirassistische Schneeballschlacht“ androhten.
Diese Leute abzuwimmeln, das war einfach. Substanziellerer Kritik hat sich der Bürgermeister dagegen nur ungern gestellt. Die Debatte entzündete sich meist an einem seiner Leitsätze, „Integration und die Bereitschaft dazu sind in erster Linie eine Bringschuld der Hinzukommenden“. Eine Feststellung, die kaum zu bestreiten ist, aber die Frage einer eventuellen Bringschuld der schon Vorhandenen ebenso ausblendet wie die Wirkung solcher Sätze.
Oft schematische Argumentation
Selbst Barbara John, die langjährige Berliner Ausländerbeauftragte, als CDU-Mitglied nicht unbedingt Teil der antirassistischen Linken, nannte sein erfolgreichstes Buch „Neukölln ist überall“ einen „Groschenroman mit fatalen Wirkungen“. Diese Generalabrechnung habe die Feindseligkeit im Umgang mit Einwanderern verstärkt und radikale Positionen, die er selbst gar nicht vertrete, indirekt eben doch gesellschaftsfähig gemacht, sagte sie.
Tatsächlich argumentiert er in seinen Büchern oft schematisch wie aus dem Bauch heraus, formuliert sein Unbehagen, beteuert seine Toleranz und polemisiert dann kräftig weiter. Manchmal sind seine Mahnungen an die Muslime schlechthin adressiert, manchmal nur an die Fundamentalisten; soziale und kulturelle Probleme gehen durcheinander mit jenen, die auf radikaler Religionsausübung beruhen. Die Lösungsvorschläge fallen knapper aus, sie sind ebenso bekannt wie politisch weitgehend undurchsetzbar: Kita-Pflicht, flächendeckend gebundene Ganztagsschule, schließlich Aufhebung des Kooperationsverbots zwischen Bund und Ländern, um Geld für Investitionen loseisen zu können.
Konsequent setzte er sich deshalb beim umstrittenen Elterngeld an die Spitze der Kritiker. Es könne ja wohl nicht angehen, dass alle Experten dafür kämpften, die Migrantenkinder aus der Enge ihrer abgeschotteten Familien herauszuholen – und dass der Staat dann genau diesen Kampf unterminiere und die Abkehr von der Gesellschaft mit Geld belohne. Selten ist die riesige soziale Kluft zwischen Berlin-Neukölln und München-Grünwald deutlicher zutage getreten. Grünwald hat gewonnen, aber Neukölln wird die Folgen tragen müssen, darauf deuten erste Trends hin.
Vorwurf: Er rede den Bezirk schlecht
Aber was war mit Buschkowskys eigenem Verantwortungsbereich? Im Kompetenzgewirr von Bund, Land und Kommunen findet sich immer jemand, der mehr Schuld an eventuellen Missständen trägt, das macht die Analyse kompliziert. Barbara John stellte das Problem an einem Beispiel heraus: Wenn er fordere, dass mehr Kinder in Kitas gehen, „dann muss er dafür sorgen, dass es genug Kitaplätze gibt“.
Immer wieder wurde ihm auch vorgeworfen, den Bezirk schlechtzureden, statt die unstrittigen Erfolge der Integrationspolitik hervorzuheben. Die Linkspartei rieb ihm zum Abschied noch kurz und bündig hin, schon seit Jahren sei von ihm keine sinnvolle Initiative für den Bezirk ausgegangen, und er habe wissentlich in Kauf genommen, dass in der Öffentlichkeit ein negatives Bild von Neukölln entstanden sei.
In der Tat scheint es, als seien die großen, viel bestaunten Erfolge seiner Politik schon lange entrückt, beispielsweise der wunderbare Wandel der verloren geglaubten Rütli-Schule zu einem weithin beachteten Vorzeige-Campus, der allerdings auch erst in Gang kam, nachdem sich die verzweifelten Lehrer mit einem Brandbrief laut bemerkbar gemacht hatten, was nicht unbedingt als Indiz für vorausschauende Politik gelten kann. Leiser ging es mit den „Stadtteilmüttern“ voran, muslimischen Frauen, die mit seiner Unterstützung problematische Familien betreuten – jede noch so kleine Initiative von unten fand bei ihm Rückhalt, und vieles, was woanders in Getöse endet, etwa die Ansiedlung von Roma-Familien, lief in Neukölln weitgehend konfliktfrei.
Einfacher, die Dicke der Bretter zu beklagen, als sie selbst zu bohren
Und weniger beachtet wurden positive Entwicklungen, die mit Kern-Neukölln nichts zu tun hatten, so zum Beispiel die aufwendige Rekonstruktion des Gutshofs Britz, der zu einem Schmuckstück wurde, weil Buschkowsky Geld in die Hand nahm in der klaren Erkenntnis, dass er die kiezfernen Bewohner der südlichen Ortsteile nicht völlig vernachlässigen durfte. Den Mietenanstieg in den Szene-Gegenden bedauerte er, machte aber nie gegen die Gentrifizierung mobil, weil er wusste, dass ohne sie die Sanierung der Häuser nicht zu haben war; Hängekloverbote und ähnliche bürokratische Verzweiflungsmaßnahmen wurden aus Neukölln nicht bekannt.
Generell sind grobe handwerkliche Fehler, wie sie zuletzt Kreuzberg fast zerrissen haben, unter seiner Aufsicht nicht passiert. Im Grunde war Buschkowsky ein Experte fürs geräuscharme Verwaltungshandeln: Kein Volkstribun, keiner für die großen Bierzeltreden und Wahlkampfauftritte, sondern entgegen dem ersten jovialen Anschein ein eher spröder Politiker.
Neukölln hat ungefähr so viele Einwohner wie Bonn, und es ist in Buschkowkys Amtsjahren auch ungefähr so bekannt geworden. Die Urheberschaft an diesem Phänomen muss er sich im Grunde nur mit Kurt Krömer teilen, dem anderen berühmten Neuköllner – beide hätten zusammen noch allerhand Halligalli machen können, waren als Dick & Doof 2.0 auf dem Weg zum Traumpaar.
Ein Juxpolitiker wollte er nicht sein
Doch dann geschah ein Zerwürfnis, das in die Entertainment-Geschichte eingegangen ist: Erst knallte Buschkowsky Krömer vor der Kamera eine Sahnetorte ins Gesicht, dann revanchierte sich Krömer später damit, dass er den Bürgermeister mit einem schwarzen Schaf und einer Ladung Stroh ins Raucherkabuff des Studios sperrte. Was Buschkowsky daran wohl besonders empörte: Er blieb dort die ganze Sendung eingeschlossen, kam überhaupt nicht mehr zu Wort. „Seitdem hat er nicht mehr mit mir gesprochen“, juxte Krömer später in einem Interview, „da hat das kleine HB-Männchen ein bisschen Blut gespuckt.“
Ein Juxpolitiker wollte er also zweifellos nicht sein, sein Platz war das Büro – auch wenn er in den vergangenen Tagen vielleicht etwas zu oft das 80-Stunden-Pensum betont hat, das ihm seit Jahrzehnten auferlegt sei. 80 Stunden – täglich von früh um acht bis abends um zehn und noch mal zehn Stunden am Wochenende? Das klingt nach schlechtem Zeitmanagement und ist doch andererseits kaum der Betonung wert. Denn nie hat jemand auch nur andeutungsweise behauptet, der große Buschkowsky kniee sich nicht bis zum Anschlag rein in die Arbeit.
Klar, dass so was mal irgendwann aufhören muss
Es gab Situationen, da hätte er es mit seiner enormen Popularität zu was bringen können in der Berliner Politik. Doch zu seiner Schläue gehörte natürlich auch die Einsicht, dass es einfacher ist, die Dicke der Bretter zu beklagen, als sie selbst zu bohren, in verantwortlicher Position im Senat beispielsweise. In Neukölln, seiner Heimat, kennt er jede Haustür, weiß jeden Tonfall zu deuten und jede Aggression aufzufangen; einen „Unfallforscher der Integrationspolitik“ hat er sich in seinem bislang letzten Buch „Die andere Gesellschaft“ genannt, das erklärt vielleicht auch, warum ihn der große unfallfreie Teil Neuköllns deutlich weniger interessiert hat.
Klar, dass so was mal irgendwann aufhören muss, jedenfalls in einem Alter, in dem auch sonst kaum noch jemand arbeitet. Heinz Buschkowsky hat unerwartet hingeworfen, das erinnert an den ebenso plötzlichen Rückzug Klaus Wowereits. Doch während der wohl einfach keine Lust mehr hatte, wird Buschkowsky von seiner Gesundheit gebremst; bei der Wahl 2016 hätte er aus Altersgründen ohnehin nicht mehr antreten können. Immerhin hat er eine wichtige Führungsaufgabe auf jeden Fall gelöst: eine Nachfolgerin aufzubauen.
Franziska Giffey, die bisherige Bildungsstadträtin, wird über die Parteigrenzen hinaus geschätzt, und wenn sie auch einen anderen Stil pflegt, gilt sie wie er als Freundin klarer Ansagen. Die wesentlichen Fakten über sie hat Buschkowsky vor einigen Tagen in einem Zeitungsinterview zusammengefasst: „Sie ist qualifiziert, sie ist jung, und sie sieht besser aus als ich.“ Für alle Fälle hat er sich aber eine Basis zum Dazwischenreden gesichert, die Kolumne in der „Bild“-Zeitung. Falls ihm dennoch fad wird, wird sich leicht ein Verleger für ein neues Buch finden. Ein Thema gibt es aber noch nicht. Denn zur Einwanderung und Integration, findet er, habe er alles gesagt.
Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.