Schwanger durch Samenspende: Ein Kind - auch ohne Mann
Das Glück kommt per Post: 465 Euro kostet eine Portion Sperma bei einer dänischen Samenbank. Eine Garantie, dass der Lebenstraum wahr wird, gibt es aber nicht.
Einmal ist keinmal, heißt es. Aber das stimmt ja nicht.
Jana ist zu Hause in ihrer Wohnung ganz im Westen Deutschlands, als Anfang Mai das Paket aus Dänemark eintrifft. Für diesen Tag hat sie in der Firma Homeoffice angemeldet. Kein Nachbar soll annehmen, was ihr zugesandt wird, verpackt wie eine Matrjoschka. Im Karton eine Transportbox, darin ein Behälter mit flüssigem Stickstoff, darin ein kleines Becherchen und darin: Sperma. Sieben Tage lang hält der Stickstoff das Sperma gefroren, wenn nötig.
Eine Spritze liegt der Lieferung bei. Pünktlich zum Eisprung, an ihren fruchtbaren Tagen, wird sie das Sperma auftauen, es in die Spritze aufziehen und sich selbst einführen. Dann eine Weile liegen bleiben.
Jana will ein Kind.
465 Euro kostet eine Portion Sperma, die eine dänische Samenbank verschickt hat. Für Heiminsemination wird empfohlen, gleich zwei zu bestellen. Auf der Internetseite der Samenbank, dort, wo die Preisliste zu finden ist, steht ganz oben das Foto eines blonden Kleinkindes, man sieht es im Profil, die Löckchen und Pausbäckchen. Der Hintergrund ist verschwommen.
Zu den knapp 1000 Euro für den „Samen zur Selbstbehandlung ohne ärztliche Unterstützung“ kommen die Transportkosten innerhalb Europas, 215 Euro, und Mehrwertsteuer.
Es ist Janas erster Versuch und es liegt so viel Sehnen und Hoffen darin.
„Ich bin aufgeregt“, schreibt sie ein paar Tage später per SMS. „Trotz unter 8 Prozent Chance laut Statistik horche ich auf etwaige Zeichen (keine da …) und trinke keinen Alkohol, esse keinen Rohmilchkäse etc. Bloß nix riskieren …“ Dahinter setzt sie einen Smiley.
Plan A hat nicht geklappt. Nun greift Plan B
Jana ist 42 Jahre alt, sie ist eine hübsche Frau, blond, mittelgroß, sportlich, klug. Sie lacht gern und viel. Eine, in die Männer sich sofort verlieben müssten, für die sie alles stehen und liegen lassen sollten.
„Mein Plan A war immer, mit Mann eine Familie gründen zu können“, sagt Jana. Nun greift Plan B. Jana will dieses Kind. Dann eben allein.
Ein unerfüllter Kinderwunsch ist etwas, über das nicht gern gesprochen wird. Jana möchte dies nur unter falschem Namen tun. Sie gehört zu den rund 40 Prozent der ungewollt Kinderlosen in Deutschland, die alleinstehend sind. Laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums ist ein Großteil der Frauen bereit, sich den Wunsch auch ohne Mann zu erfüllen. Einfach ist das allerdings nicht.
Jana lebt in Westdeutschland, doch aufgewachsen ist sie im Süden des Landes, mit Geschwistern, Vater und Mutter. „Wir sind eine schöne, warme Familie“, sagt sie. Es ist ihr nicht leichtgefallen, sich von der Idee zu verabschieden, diese Familie eines Tages ganz klassisch zu erweitern. Verliebt, verlobt, verheiratet, Mutter. „Es war für mich immer klar, dass ich Mutter sein möchte“, sagt Jana. Mutter von drei Kindern, am liebsten bevor sie 35 ist. Der Mann, den sie heiratet, sagt: lieber zwei. „Ich dachte: Okay, dann eben nur zwei.“ Doch Jana wird nicht schwanger. Und in die Freude über jede neue Geburtsanzeige aus dem Freundeskreis mischt sich Bitterkeit. Wieso die und nicht wir?
Jana denkt an kaum etwas häufiger als an Babys
Die Frage verfolgt sie: „Und was ist mit euch?“ Gefühlt stellt sie jeder. Bei Familienfeiern raten die Alten: Denk nicht nur an deine Karriere. Dabei denkt Jana an kaum etwas häufiger als an Babys. Doch wie sich bald herausstellt, ist ihr Mann zeugungsunfähig. Soll sie das etwa sagen?
1,4 Millionen Menschen in Deutschland im Alter zwischen 25 und 59 Jahren, so ermittelte es das Institut für Demoskopie in Allensbach vor ein paar Jahren, hätten gerne Nachwuchs oder bedauern es, kinderlos geblieben zu sein. Doch obwohl sie es mit einem festen Partner mindestens ein Jahr lang versuchten, konnten sie keine Kinder bekommen. Es ist kein seltenes Phänomen. Und doch wird jenen, die darüber sprechen, häufig das Gefühl vermittelt, sie seien nicht normal. Es klappt nicht auf dem sogenannten natürlichen Weg, schon sich das einzugestehen suggeriert umgekehrt: etwas ist unnatürlich.
Dass ihr Mann nicht kann, wie sie beide wollen, belastet die Beziehung sehr. Sie zerbricht schließlich an anderem. Als ihre Ehe geschieden wird, ist Jana Mitte 30.
Sie datet. Doch aus den Bekanntschaften und Affären entwickelt sich nichts Ernstes. Sie spricht mit ihrer Familie über ihren Kinderwunsch, beginnt sich zu informieren, wie der noch erfüllbar wäre. Eines Abends ruft ihre Mutter an und sagt: „Schalt mal den Fernseher ein, da kommt was über eine Frau, die alleine ein Kind bekommt.“
Sie fängt an zu rechnen
Jana denkt darüber nach. Als sie im Februar dieses Jahres wieder einen Mann kennenlernt und bald feststellt, dass sie nicht zusammenpassen, werden ihre Überlegungen konkret. „Ich hab’ angefangen zu rechnen, mit meiner Familie geredet.“ Sie recherchiert Kosten für Kitas und Tagesmütter, kalkuliert ihr Gehalt für unterschiedliche Teilzeitmodelle, überlegt, ob sie ein Au-pair in ihrer Wohnung unterbringen oder sich zu dem Zweck eine größere leisten könnte. Sie erwägt, im Fall der Fälle zurück zu ihren Eltern zu ziehen, den Job zu wechseln. Am Ende hat sie 22 000 Euro zur Erfüllung ihres Kinderwunsches zur Seite gelegt. Das klingt viel. Doch schon Ende des Sommers werden es knapp 5000 Euro weniger sein.
Als alleinstehende Deutsche, die mit dem Sperma einer dänischen Samenbank schwanger werden will, braucht sie als Sicherheit einen Bürgen. Ihr Bruder sagt sofort zu. Die Schwester sagt zu ihr: „Wer, wenn nicht du!“ Auch sie wünscht sich mit ihrem Mann ein Kind. Schwanger werden – die beiden Schwestern versuchen es im Mai gleichzeitig.
„Für mich sind Kinder einfach der Sinn des Lebens“, sagt Jana. Dieses ganze Kümmern und Liebhaben. „Es ist toll, wenn man einem Kind einen guten Start geben kann“, sagt sie. „Ich will etwas geben.“
Sinn ist, was man dem eigenen Leben gibt. Jana verwöhnt als Tante ihre Nichten und Neffen. Sie pflegt ihre Freundschaften, reist, mag ihren Beruf. Wenn Sinn bedeutet, dass ihr Leben einen Zweck hat, so ist er ohne eigenes Kind ganz sicher nicht verloren. Sie braucht kein Kind, um Sinn zu stiften. An manchen Tagen steht ihr das klar vor Augen. An anderen nicht. Dann ist der Sinn des Lebens nur eine Chiffre für Liebe, für Mann und Kind und für all das, was ihr nicht vergönnt ist aus einer großen, himmelschreienden, schwer zu verstehenden Ungerechtigkeit heraus.
Schock und Trauer - fast wie beim Tod eines Angehörigen
„Zu realisieren, dass man kein Kind bekommen wird, ist eine existenzielle Krise“, sagt die Familientherapeutin Petra Thorn und macht am Telefon eine kurze Pause: „ähnlich wie der Tod eines Angehörigen.“ Das Kind, in Fantasien und Lebensentwürfen stets präsent, ist plötzlich für immer fort. „Das ist eine immense Umstellung.“ Und es wird getrauert, tief und heftig, ein Jahr vielleicht, manchmal länger.
Seit mehr als 20 Jahren berät Thorn Alleinstehende und Paare bei Kinderwunsch, schwerpunktmäßig auch dann, wenn es um Samenspende geht. Dass Singlefrauen ihre Hilfe suchen, kommt mittlerweile immer häufiger vor. Teil von Thorns Beratung ist, darüber zu sprechen, was es bedeutet, wenn eine Behandlung ohne Erfolg verläuft. Doch natürlich bleibt das bis zum Ernstfall Theorie.
Die endgültige Feststellung, dass der Wunsch sich nicht erfüllen wird, kann aber nach dem ersten Schock und der Trauer fast erleichternd sein. Endlich Klarheit, durch die sichtbar werden kann: Kinder sind nicht das Einzige im Leben, was glücklich macht. „Ein neuer Plan muss her und das muss aktiv angegangen werden“, sagt Petra Thorn. „Gleichzeitig wissen wir jedoch auch, dass es keinen gleichwertigen Ersatz für ein Kind gibt.“
Sich im Ausland inseminieren zu lassen oder Samen dort zu bestellen, ist seit jeher eine Option, die Profile etwa dänischer Spender sind auch sehr umfassend, während in Deutschland lediglich Wunschkriterien angegeben werden können. Zudem unterstützen nicht alle Kliniken und Ärzte in Deutschland Singles und auch lesbische Paare bei dem Versuch, ein Kind durch Samenspende zu empfangen, es gelten die Bestimmungen der Ärztekammern in den unterschiedlichen Bundesländern.
Blond, grüne Augen, Kleidergröße L - das ist der Spender
Daran ändert auch das Samenspenderregistergesetz nichts, das am 1. Juli 2018 in Kraft getreten ist. Das Gesetz regelt vor allem die Aufbewahrung der Spenderdaten und sorgt dafür, dass sich Spenderkinder, sobald sie 16 Jahre alt sind, über ihre Herkunft informieren können. Zuvor ermöglicht es auch den Eltern der Kinder, in deren Namen Informationen über die Identität des Spenders einzuholen, wenn gewünscht sogar schon kurz nach der Geburt. Allerdings schreibt das Gesetz auch fest: Der biologische Vater ist nicht der rechtliche Vater, er muss keine Unterhaltszahlungen leisten und hat keinen Anspruch auf das Sorgerecht
Auch dänische Spender unterliegen dem Gesetz, wenn ihr Samen von deutschen Frauen genutzt wird.
„Das ist der Spender“, schreibt Jana in einer SMS und schickt den Link zum Profil auf der Internetseite der Samenbank. „Blond, grüne Augen, optisch soll das Kind wenigstens so aussehen wie ich, wenn es schon keinen Vater hat“, schreibt sie. „Rest des Profils ist sehr sympathisch.“ Smiley.
Der Steckbrief des jungen Dänen, der Vater von Janas Kind werden soll, umfasst mehr als zehn Seiten. Er ist Student, bräunt schnell und trägt Kleidergröße L. Er ist Rechtshänder, Nichtraucher und hat keine Allergien. Sich selbst nennt er aufgeschlossen, einfühlsam und intelligent. Er wandert gern. Die Klinik beschreibt ihn als großen, gutaussehenden Mann. Damit er nicht identifiziert werden kann, sind auf dem Profil nur Babyfotos erlaubt. Die zeigen einen fröhlichen kleinen Menschen. In Druckbuchstaben hat er einen kurzen Brief an seine künftigen Kinder verfasst. Er schreibt: Liebes biologisches Kind, ich hoffe, dass du Teil einer liebevollen Familie bist. Ich wünsche dir alles Gute.
Sein Profil ist „offen“, das heißt: seine Kinder dürfen ihn kontaktieren, wenn sie 18 sind. Jana war das sehr wichtig. Sein Sperma ist deswegen auch ein bisschen teurer. Ohne ausführlichen Steckbrief und komplett anonym kostet eine Portion nur 210 Euro.
Jana ist voller Hoffnung. Sie ist eine patente Frau in einem verantwortungsvollen Job. Was sie anpackt, macht sie mit viel Energie. Als ein Arzt ihr nach einer Knieverletzung empfiehlt, mehr Fahrrad zu fahren, lernt sie Mountainbiken. Ihre sieben Tassen Kaffee täglich hat sie schon vorher auf vier reduziert, das Rauchen vor Jahren aufgegeben. Doch ob sie schwanger wird oder nicht, ist, am Ende, eine Frage des Zufalls.
Franziska hatte Glück, ein Mann fehlt ihr nicht
Bei etwa 25 Prozent liegt die durchschnittliche Chance einer Anfang 20-Jährigen, innerhalb eines Zyklus zu empfangen. Bei einer Frau Mitte 30 ist diese Chance nur noch halb so groß. Die Fruchtbarkeit nimmt mit dem Alter ab, keine Frau, die das nicht weiß.
„Ich hätte das früher machen sollen“, sagt Jana. „Aber ich habe mich einfach nicht getraut.“
Ende Mai. Es hat nicht geklappt. Aber ihre Schwester ist schwanger.
Einmal ist keinmal. Aber das stimmt ja so nicht. Jana lacht am Telefon. Sie klingt traurig dabei. Natürlich wäre es ein Wunder gewesen, das weiß sie, gleich beim ersten Versuch Erfolg, mit 42 Jahren, ohne ärztliche Hilfe. Aber sie wünscht es sich doch so sehr! Zählt das denn nichts?
Die Medizin ermöglicht viel. Aber nicht alles
Vielleicht, denkt Jana, hat sie eine Gelbkörperschwäche. Das Gelbkörperhormon Progesteron sorgt dafür, dass sich eine befruchtete Eizelle gut in der Gebärmutter einnisten kann. Vielleicht sollte sie sich doch in der Klinik einer Samenbank behandeln lassen, sie hat gegoogelt und eine niederländische gefunden, die nicht zu weit entfernt ist. Erst mal aber fliegt sie für zehn Tage in den Urlaub.
Wie viele alleinstehende Frauen in Deutschland sich dafür entscheiden, ein Kind per Samenspende zu empfangen, darüber gibt es keine konkreten Zahlen. Sicher aber ist, dass sie es tun. Der meistgenannte Grund dafür, das bestätigen Mediziner, Psychologen und Studien, ist nicht, dass die Frauen sich über Jahre nur auf ihre Karriere konzentrierten, sondern dass kein passender und vor allem williger Partner gefunden werden konnte. Die moderne Medizin ermöglicht, dass heute allein entschieden und getan werden kann, was früher nur zu zweit möglich war. Und moderne Beziehungen machen diese Option interessant. Kaum eine Frau ist heute noch ökonomisch abhängig von ihrem Partner, kein Mann steht mehr unter dem gesellschaftlichen Druck, unbedingt für (männliche) Nachkommen sorgen zu müssen. Die Machtverhältnisse haben sich verschoben. Doch maximale Freiheit zu leben, macht zugleich unfrei.
Männer in ihren 20er oder 30er Jahren haben es nicht zwingend nötig, sich auf eine feste Beziehung mit einer Frau einzulassen. Anders sieht es für die Frauen aus – sofern sie Kinder haben wollen. Doch es ist eben dieses Wollen, dass sie in den Augen der Gleichaltrigen höchst unattraktiv erscheinen lässt. Bei jedem Kennenlernen wird das Gegenüber, ob bewusst oder unbewusst, auch auf Tauglichkeit als Vater geprüft. Willst du eigentlich Kinder? Wer die Frage nicht bald nach dem ersten Treffen stellt, verliert womöglich kostbare Zeit. Und lenkt eine entstehende Beziehung recht schnell in eine Richtung, die man unter anderen Voraussetzungen gern erst später eingeschlagen hätte. Entspannt ist anders.
Der Samen des Vaters ihres Sohnes war ausverkauft
„Mit meinen zwei Kindern fühle ich mich wie eine Familie“, sagt Franziska. „Einen Mann hingegen vermisse ich gar nicht. Komisch irgendwie.“ Seit vielen Jahren lebt und arbeitet die 41-Jährige in Berlin. Ihr Sohn ist vier Jahre alt, die Tochter eineinhalb. Auf ihrem Handy zeigt Franziska ein Foto der beiden. Zwei niedliche, spielende Kinder, besonders die Tochter sieht ihrer Mutter ähnlich. Die beiden sind Halbgeschwister, gezeugt durch Insemination in einer Kopenhagener Samenbank, mit Sperma von unterschiedlichen Spendern – der Samen des Vaters ihres Sohnes war ausverkauft.
Es ist ein Tag im Juni, Franziska hat gerade Mittagspause und Zeit zu reden. Ihre Kollegen wissen, dass ihre zwei Kinder mit einer Samenspende gezeugt wurden, Franziska spricht offen darüber. Trotzdem soll ihr richtiger Name nicht in der Zeitung stehen, denn sie will ihre Kinder schützen.
Als sie 30 war, gab sie sich selbst das Versprechen: Wenn ich bis 35 keinen potenziellen Kindsvater kennengelernt habe, mache ich das allein. Auch sie sparte Geld, insgesamt 5000 Euro für fünf Versuche. Anders als Jana entschied sie sich dafür, die Befruchtung vor Ort in Dänemark durchführen zu lassen. Die Klinik fragte nach ihren Kriterien – etwa 1,80 groß, blond, blaue Augen – und schickte ihr vorab ein paar Spenderprofile. „Ich habe einen gewählt, der in etwa die Merkmale von dem Mann hatte, in den ich zu der Zeit verliebt war“, sagt Franziska und grinst. Er war außerdem kein junger Student, sondern ihr Jahrgang. Das gefiel ihr: ein Mensch wie sie, schon mitten im Leben stehend.
Von der Klinik bekam sie Ovulationstests, die den Anstieg eines Hormons im Urin messen, das den Eisprung auslöst, also die fruchtbaren Tage anzeigen. „Beim nächsten Eisprung“, erklärten sie Franziska, „buchen Sie einen Flug.“ Sie flog allein, übernachtete in einem Hostel
"Sperma ist drin" - "Jetzt nicht husten"
und saß am anderen Morgen um zehn auf einem Gynäkologenstuhl in der Klinik. Eine Hebamme injizierte ihr das Sperma und sagte: So, jetzt kannst du hier noch zehn Minuten liegen bleiben und dann shoppen gehen.
Vor der Tür tippte Franziska eine SMS an ihre Schwester, die eingeweiht war: „Sperma ist jetzt drin.“ Die antwortete: „Jetzt nicht husten.“ Der Schwangerschaftstest 14 Tage später war positiv.
Den Kollegen erzählte sie zunächst, sie hätte jemanden kennengelernt. Erst als ihr Sohn geboren war, erfuhren sie die Wahrheit. Die Eltern wussten es früher und obwohl sie anfangs sehr überrascht waren – das Thema „alleine ein Kind bekommen“ war ihnen noch völlig unbekannt – freuten sie sich sehr mit Franziska. Nur ihre Großeltern sorgten sich: Wie willst du das denn schaffen, alleine in Berlin?
„Ich war mir schon vorher im Klaren darüber, dass es heftig wird alleine“, sagt Franziska. Sie suchte sich eine Zwei-Zimmer-Wohnung und verließ ihre Wohngemeinschaft, organisierte sich Hilfe für die Zeit nach der Geburt, in den Kreißsaal begleitete sie ihre Schwester. Ihr Sohn kam schließlich per Kaiserschnitt. Und bald war Franziska klar: Eine Schwester oder ein Bruder für ihn, das wäre schön.
Die zweite Geburt, wieder ein Kaiserschnitt, bewältigte sie ohne Begleitung.
„Jetzt, da ich zwei Kinder habe, weiß ich, dass es das ist, was ich immer wollte“, sagt Franziska. „Vor der ersten Schwangerschaft und eigentlich auch noch währenddessen hatte ich immer Angst, dass ich mit dem Baby im Arm feststelle, dass ich gar kein Kind wollte, sondern doch nur einen Mann.“ Das Gegenteil sei der Fall gewesen. „Mit den Kindern fiel der ganze Stress, doch endlich den richtigen zu finden, von mir ab.“
Eine Beziehung wünscht sie sich trotzdem, irgendwann.
"Mein Marktwert sinkt mit Kind"
Wenige Tage später sitzt Jana in einem Café am Berliner Hauptbahnhof, neben sich einen großen Rollkoffer. Auf dem Rückweg aus dem Urlaub hat sie noch Freunde in der Stadt besucht, gleich steigt sie in den Zug nach Hause. Sie sieht müde aus. Und sie hat begonnen, an der Absolutheit ihres Wunsches zu zweifeln. Immer wieder fragt sie sich: Möchte ich das wirklich?
„Mein Singleleben kann ich so gestalten, wie ich will, mit Sport, Urlauben und so weiter, das wäre dann alles vorbei“, sagt sie. Und: „Mein Marktwert sinkt mit Kind.“
Sie hat noch einmal Samen nachbestellt von ihrem Wunschspender. Material für drei weitere Versuche ist so für sie in der Samenbank reserviert. Aber sie datet auch wieder. „Ich habe schon überlegt, wie mache ich das parallel?“, sagt Jana. Sie entscheidet sich für Ehrlichkeit. Einem Mann erzählt sie es schon beim dritten Treffen: Ich bin da gerade an einem Projekt dran. Sie lacht. Projekt. Verrückt. Aber so ist es.
Er reagiert entspannt: „Ich kann ja einer Frau nicht das Recht nehmen, ihr Kind zu bekommen.“ Aus ihrer Beziehung wird trotzdem nichts.
Jana ist zuversichtlich. Vielleicht bringt der zweite Versuch den gewünschten Erfolg. Im Juli will sie eine lange Radtour unternehmen. Ob das dann noch geht?, fragt sie und lächelt strahlend. Vielleicht wird sie dann längst schwanger sein.
Die eigenen Ärzte helfen ihr nicht
Von einer befreundeten Ärztin hat sie sich Utrogest verschreiben lassen. Ein Medikament, in dem Progesteron enthalten ist, das Gelbkörperhormon, das eine Schwangerschaft im Zweifelsfall erhält und von dem Jana glaubt, dass sie nicht genug selbst produziert. Utrogest wird häufig eingesetzt bei Kinderwunsch.
Ihre eigenen Ärzte helfen Jana nicht. Sie hat sich ihnen anvertraut. Doch die Berufsordnung der zuständigen Landesärztekammer gestattet nicht, alleinstehende Frauen oder auch lesbische Paare mit Spendersamen zu behandeln.
Ende Juni ist es Zeit für Janas zweiten Versuch. Wieder Homeoffice, wieder Warten auf die Lieferung aus Dänemark. Am Abend schickt sie ein Foto: Transportbox und Spritze. „Daumen drücken.“ Smiley.
Jana nimmt das Utrogest. Sie versucht, entspannt zu bleiben, die Hoffnung nicht so gewaltig werden zu lassen. Sie geht zum Sport, trinkt abends auch mal ein Glas Wein. „Beim ersten Mal habe ich mich irre gemacht“, erinnert sie sich. „Jetzt unternehme ich lieber all das, was mein Leben schön macht.“ Das durchzuhalten ist schwer. Jana träumt. Immer wieder diesen einen Traum: „Ich komme aus dem Krankenhaus mit einem Baby, stehe in meinem Treppenhaus, es ist also ganz realistisch. Ich bin so happy, schaue mein Kind an und strahle.“ Dann wacht sie auf und weint – „weil nichts davon stimmt“.
Was, du möchtest keine Kinder? Wie egoistisch!
Wenn sie Schwangere sieht, dann ist ihr erster, dringender Gedanke immer: Ich will auch! Die Vorstellung loslassen, dass sie selbst Mutter sein könnte? „Das würde mir sehr wehtun“, sagt Jana.
Was eine gute Mutter ist, darüber gibt es viele unterschiedliche Vorstellungen. Doch dass jede Frau Mutter werden möchte, gilt gemeinhin als völlig klar. Was, du möchtest keine Kinder? Wie egoistisch, wie kaltherzig. Du kannst keine bekommen? Dann muss dein Leben ja schrecklich sein, du Arme. Dass öffentlich zwar vermehrt, aber insgesamt noch immer wenig über alternative Wege zum Wunschkind, über künstliche Befruchtung und Samenspende diskutiert wird, macht die Sache nicht leichter.
Mitte Juli schickt Jana eine SMS: „Kein kleines Wunder. 2 mal negativ.“ Dann noch eine: „Ich hasse diesen Blick auf den Test.“ Für ein paar Tage will sie in die Berge fahren, Abstand gewinnen, nachdenken. Ihre Zweifel werden lauter. Sich einer Klinik anvertrauen, wie sie es überlegt hatte, möchte sie erst mal nicht.
Ein Arzt, der sich dafür entschieden hat, auch Singles zu helfen, ein Kind zu bekommen, ist der Berliner Matthias Bloechle. Er empfängt an einem Morgen in seiner Praxis, dem Kinderwunschzentrum an der Gedächtniskirche. Bloechle behandelt Frauen wie Jana auch aus Gründen der Gerechtigkeit. „Es ist wichtig zu unterstützen, was von alleine oder ohne Mann nicht geht“, sagt er. Die meisten alleinstehenden Frauen, die seine Hilfe suchen, haben eines gemeinsam: Sie sind sehr gut ausgebildet. Weil sie keinen Partner haben, knüpfen sie ihr eigenes Netz von Unterstützern aus Familie und Freundeskreis. Manche bringen ihre Mutter gleich mit zur Behandlung. Der Weg in die Kinderwunschklinik ist ein großer Schritt. Aber was wäre die Alternative: ein ungeschützter One-Night-Stand mit einem Fremden?
„Klar ist das hier eine ärztliche Behandlung“, sagt Bloechle. „Aber so ist auch ein bestimmter Schutz für die Frauen damit verbunden, vor Infektionen, vor Missbrauch.“
Es ist ein recht technischer Weg zur Mutterschaft, einer zutiefst menschlichen Angelegenheit. Und auch die Spender sind schließlich real existierende Menschen.
Niels hat wahrscheinlich 75 Kinder - er will sie alle kennenlernen
Niels zum Beispiel, 48 Jahre alt. Er lebt in Kopenhagen und möchte anonym bleiben. Vor acht Jahren hat er begonnen, regelmäßig Samen zu spenden, für drei Jahre insgesamt. „Ich bin ein atypischer Samenspender“, sagt Niels am Telefon und lacht. Er sei älter gewesen als der Durchschnitt. „Und ich habe es nicht fürs Geld getan, wie vermutlich die meisten anderen, die oft Studenten sind.“ Er hatte bereits versucht, eine alleinstehende gute Freundin zu schwängern – ohne Erfolg –, als er realisierte, dass er auch fremden Menschen helfen kann, ein Kind zu bekommen. „Ursprünglich dachte ich dabei an heterosexuelle Paare, die unfreiwillig kinderlos bleiben“, sagt Niels. „Aber natürlich hilft es auch allen anderen, zum Beispiel Singlefrauen und lesbischen Paaren.“ Er ist eine Option.
Niels wuchs mit Mutter, Vater und zwei Schwestern auf, eine heile Familie. Natürlich sei ein liebevoller, anwesender Vater allem vorzuziehen, sagt Niels. Aber ist nicht die Alternative zu einem Spendervater, gar nicht am Leben zu sein? Niemand wird gefragt, ob er geboren werden will. Aber es ist wahrscheinlich, dass sich im Kosmos der Kinder eher Menschen bewegen, die das Leben als Geschenk betrachten. Es mag egoistisch sein, unbedingt ein Kind haben zu wollen. Eines beim Großwerden zu unterstützen, ist das Gegenteil.
Das Sperma wird auf Qualität geprüft
Anfangs spendete Niels ein oder zwei Mal die Woche, morgens auf dem Weg zur Arbeit fuhr er bei der Samenbank vorbei. Durchschnittlich verdiente er 30 Euro pro Spende. Bevor er begann, musste er sich untersuchen lassen, anschließend regelmäßig nachweisen, dass er gesund ist, nicht HIV-positiv, dass es keine Erbkrankheiten in der Familie gibt. Auch das Sperma wird auf gute Qualität geprüft und bleibt sechs Monate in Quarantäne.
Die Anzahl der Kinder, die aus dem Samen eines Spenders gezeugt werden dürfen, ist länderspezifisch unterschiedlich. In Dänemark etwa darf ein Spender zwölf Familien helfen, die Anzahl der Kinder in diesen Familien ist dabei nicht limitiert. In Deutschland sollten es nach einer Richtlinie des Arbeitskreises für donogene Insemination nicht mehr als 15 Spenden sein, im neuen deutschen Spenderregistergesetz ist allerdings keine verbindliche Zahl festgeschrieben.
Das kritisieren die Mitglieder des ehrenamtlichen Vereins „Spenderkinder“. Zunehmend möchten Spenderkinder ihre Väter nicht nur kennenlernen, sondern von ihnen auch als Person wahrgenommen werden, also eine Beziehung aufbauen. Wie soll das funktionieren, wenn die Schar der Nachkommen und Halbgeschwister schier unüberschaubar wird?
Er spart Geld - um später etwas mit seinen Kindern zu unternehmen
Niels hofft, dass seine Kinder ihn eines Tages kontaktieren werden. Er hat ein offenes Spenderprofil, sie dürfen, wenn volljährig, also erfahren, wer er ist. „Anfangs dachte ich, dass ich vielleicht zehn bis 15 Kinder haben würde. Aber dann begann ich zu rechnen.“ Wie viel Sperma ist durchschnittlich nötig, um eine Frau zu schwängern, wie viel hatte er in drei Jahren gespendet? Er kam zu dem Ergebnis: „50 bis 75 Kinder sind wohl realistischer.“
„Ich freue mich sehr darauf, meine Kinder mal kennenzulernen“, sagt er. Wie es denen geht, die vielleicht schon auf der Welt sind, darüber denkt er oft nach. „Ich bin auch stolz, ihr biologischer Vater zu sein.“ Am liebsten wäre ihm, er und alle seine Kinder könnten sich irgendwann stets einmal im Jahr treffen. Er würde sie gern miteinander bekannt machen, unbedingt mit allen in Kontakt sein. Das Geld, das er mit seinem Sperma verdient hat – etwa 30.000 Kronen, also rund 4000 Euro – hat er gespart. Er will es irgendwann für gemeinsame Unternehmungen mit seinen Kindern ausgeben. Er lacht. Klingt vielleicht utopisch. „Wir Dänen sind liberal“, sagt er. Und wo steht schon geschrieben, dass eine Familie nur aus Blutsverwandten bestehen muss? Dass sie nur eine bestimmte Größe haben darf?
In diesem Sommer hat Niels sich verliebt. Die Frau ist schwanger – von einem Spender. Schicksal, sagt Niels. Zu wem, wenn nicht zu ihm, hätte ihr Weg sie führen sollen?
„Familie ist für mich da, wo man sein kann, wie man wirklich ist und wo man sich sicher fühlt“, sagt Franziska in Berlin. Familie sind sie auch zu dritt. Trotzdem ist es auch ihr wichtig, dass ihre beiden Kinder ihre Väter mit 18 Jahren kennenlernen können. Dass er keinen anwesenden Papa hat, ist ihrem Sohn kürzlich im Kindergarten klargeworden: Hier ist mein Papa, wo ist denn deiner?
Mama, wo ist mein Papa?
Wir haben keinen Papa.
Warum?
Ich habe noch nicht den richtigen gefunden. Aber das ist nicht schlimm.
Die Geschichte ihrer Herkunft wird sie den beiden Kindern Stück für Stück erzählen. Das ist es auch, was erwachsene Spenderkinder und Psychologen empfehlen. Von Anfang an darüber sprechen, nicht erst mit 18. Überhaupt: reden! Nicht alle Eltern halten es wie Franziska.
16 Kinder, alle vom selben Spender
Die hat unterdessen über die internationale Webseite www.donorsiblingregistry.com schon viele Halbgeschwister ihres Sohnes gefunden. Auf der Webseite können nach einer Registrierung die Merkmale oder das Pseudonym des anonymen Spenders eingeben werden. Anschließend ist zu sehen, wer Gleiches eingetippt hat. Insgesamt sind sie nun 14 Mütter mit 16 Kindern – alle von einem Spender. Die meisten leben in Skandinavien, zwei Halbgeschwister ihres Sohnes und deren Mütter hat Franziska bereits besucht, sie haben vereinbart, sich fortan regelmäßig zu sehen.
„Es war ein wunderbares Gefühl, die ,Verwandtschaft’ zu treffen“, sagt Franziska. „Weil ich zum ersten Mal andere Frauen kennengelernt habe, die in derselben Situation waren und sind wie ich.“ Die sich genauso viele Gedanken gemacht hatten und schließlich genauso glücklich waren, ihren Lebenstraum verwirklicht zu haben. Allein.
Ihr Sohn war noch zu klein, um das Treffen bewusst wahrzunehmen, doch für seine Mutter war es toll, ihn mit seinen Halbgeschwistern zusammen zu sehen. Sie fühle sich ihnen nahe, sagt sie. Und: „Sie sehen sich sehr ähnlich.“ Der Spender müsse ein markanter Typ sein, langsam erkenne sie im Sohn immer deutlicher die Züge eines Fremden. Auch ist er impulsiv, sie eher ruhig. Hat er das vom Vater?
Während der Schwangerschaft hat sie kaum an den Spender gedacht, nun geschieht das häufiger. „Vorher hatte ich Angst, dass das vielleicht belastend wäre, aber das ist es nicht.“ Franziska ist glücklich. „Klar ist das gerade alles anstrengend“, sagt sie. „Aber die Alternative wäre halt: kein Kind.“
Der neue Mann ist nett. Nur Kinder will er keine
Jana hadert. Es ist Ende Juli und sie hat jemanden kennengelernt. In diesem Sommer wird sie 43. Ihr rennt die Zeit davon, sagt sie. Aber eine liebevolle Beziehung und dann ein Kind. Das war doch Plan A. Der neue Mann ist nett, sportlich, attraktiv, gebildet. Nur Kinder will er keine. Noch lagert nachbestelltes Sperma für zwei weitere Versuche in der dänischen Samenbank, drei Monate Reservierung 45 Euro. Janas August versinkt in Arbeit.
Ein paar Wochen später ist der Kontakt zu ihrer neuen Bekanntschaft schon wieder eingeschlafen. Dafür hat sie einen Entschluss gefasst. Kein Date der Welt soll sie mehr bremsen. Im Herbst will sie in Heiminsemination einen dritten Versuch unternehmen, schwanger zu werden. Und sollte das nichts werden, wird sie in der niederländischen Klinik anrufen, dieses Mal wirklich. Sie hat Urlaubstage gespart, um dort auch hinfahren zu können. „Ich hab’ nur unglaubliche Angst, dass die mich untersuchen und sagen: zu spät.“ Dann ist es wirklich vorbei.
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