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Kinder wollen oft wissen, wer ihr biologischer Vater ist.
© dpa

Samenspenden: Bundesregierung will Kindern bei der Suche nach dem Vater helfen

„Wer bin ich eigentlich?“ Das fragen sich viele Kinder, die durch Samenspenden gezeugt wurden. Ihre Suche nach den Vätern ist schwierig und oft frustrierend – die Bundesregierung will sie erleichtern.

Eva erinnert sich genau an diesen Tag. Es war der 7. November 2005, ein Montag. Sie kam von der Arbeit und wollte kurz bei ihrer Mutter vorbeischauen. Die beiden Frauen tranken Kaffee, plauderten. Beinahe nebenbei teilte die Mutter mit, dass Eva durch die Samenspende eines fremden Mannes gezeugt wurde: „Das war genau heute vor 24 Jahren.“

Eva, sie nennt sich so, weil sie Rücksicht auf ihre Eltern nehmen will, stand einfach auf. Fluchtartig verließ sie die Mutter. „Ich musste da erst mal raus.“ Sie konnte nicht nach Hause fahren, setzte sich an den Rhein. Stundenlang saß sie da, guckte aufs Wasser und versuchte zu verstehen, was sie da gerade gehört hatte. „Du glaubst, du hast deine Mutter, deinen Vater, deine Großeltern, deine Familie. Und plötzlich verrutscht dieses Bild.“ Sie lebte da schon lange nicht mehr bei den Eltern, sie stand auf eigenen Füßen, war „ein fertiger Mensch“, wie sie es nennt. Und auf einmal war alles auf Null. Zweifel an ihrer Identität stellten sich ein. Sie stand vor dem Spiegel und schaute sich an: „Wer bin ich eigentlich?“

Diese Frage lässt sie nicht mehr los. Sie will ihren biologischen Vater kennenlernen, möchte wissen, was er macht und wie er aussieht, was er für ein Mensch ist. Ob er überhaupt noch lebt? Sie grübelt, welche Eigenschaften sie von ihm haben könnte. Seit elf Jahren sucht sie nach ihm.

Eva wurde in Düsseldorf gezeugt, in einer Gemeinschaftspraxis in der Graf- Adolf-Straße 18, am 7. November 1981. Das ist alles, was ihre Mutter ihr sagen kann. Eva ist nach Düsseldorf gefahren. Aber die Praxis gibt es nicht mehr, der Arzt, der ihrer Mutter zur Samenspende verholfen hat, ist schon lange tot. Sie hat seinen Kollegen ausfindig gemacht, fragte ihn, ob er etwas über den Verbleib der alten Patientenunterlagen weiß. „Seien Sie froh, dass Sie leben!“ hat der ihr gesagt. Mehr nicht. Sie hat sich an die Ärztekammer gewandt: Keine Akten. Sie hat den Sohn des behandelnden Arztes gefunden, ihn angeschrieben, auch er ist Arzt. – „Er hat sich meine Anfragen verbeten.“

Anonyme Spenden sind in Deutschland illegal

„Eine typische Geschichte“ sei das, heißt es beim Verein Spenderkinder – etwa 110 Erwachsene, die sich zusammengeschlossen haben, um über die Folgen dieser Art der Familiengründung aufzuklären, die eine lebenslange Herausforderung sei. 80 Prozent der aufgeklärten Spenderkinder haben ein Bedürfnis zu erfahren, wer ihr biologischer Vater ist, schätzt der Verein. Doch nur die wenigsten wissen überhaupt von der Samenspende: „In den allermeisten Fällen bleibt das ein Familiengeheimnis.“ Seit den siebziger Jahren wurden mehr als 100 000 Menschen in Deutschland durch Spendersamen gezeugt.

Lange empfahlen Reproduktionsmediziner , die Zeugungsart vor den Kindern geheimzuhalten. Aber anonyme Samenspenden sind in Deutschland illegal. 1989 stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass zum Persönlichkeitsrecht auch die Kenntnis der eigenen Abstammung gehört. 2013 gab das OLG Hamm einer jungen Frau recht, die den Namen ihres biologischen Vaters erfahren wollte. Der Arzt hatte dem Spender Anonymität zugesagt . Für einen jungen Menschen sei es aber entscheidend, seine Herkunft zu kennen: „Wir spiegeln uns in unseren Eltern,“ argumentieren die Richter. Der Bundesgerichtshof hat diese Auffassung 2015 bestätigt.

Nun liegt ein Gesetzesentwurf der Bundesregierung vor, der Kindern zu diesem Auskunftsrecht verhelfen soll. Im Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) soll ein zentrales Samenspenderregister eingerichtet werden. Die Daten der Spender und der Empfängerinnen sollen für 110 Jahre gespeichert werden. Ab dem 16. Lebensjahr soll jede Person, die vermutet durch eine Samenspende gezeugt worden zu sein, dort Auskunft erhalten. Im BGB soll die gerichtliche Feststellung einer Vaterschaft für den Spender ausgeschlossen werden; er wird von Sorge-, Unterhalts- und Erbrechts-Ansprüchen freigestellt.

Die Bundesärztekammer findet den Vorstoß der Bundesregierung dennoch enttäuschend: Es bleibe offen, in welchen Fällen Ärzte eine Befruchtung mit fremdem Samen durchführen dürften, auch der private Bereich werde nicht geregelt. Darauf wies auch der Vertreter der Berliner Samenbank während einer Anhörung hin: Künstliche Befruchtungen ohne ärztliche Assistenz mit aus dem Ausland importierten Samen seien ein großes Problem. Weiter wird kritisiert, dass die Praxis, sich im Ausland Eizellspenden oder Leihmütter zu besorgen, ausgeblendet würde.

Der Gesetzgeber drückt sich

Auch beim Thema Embryonenspende drückt sich der Gesetzgeber: Seit 2013 werden in Bayern und Baden-Württemberg Embryonen, die bei Kinderwunschbehandlungen übrigbleiben, an kinderlose Paare vermittelt. Das erste dieser Kinder kam im November 2014 zur Welt, etwa zwanzig sollen es mittlerweile sein. Ob bei diesen vorgeburtlichen Adoptionen ein Verstoß gegen das Embryonenschutzgesetz vorliegt, ist umstritten.

Nicht nur hier sieht die Juristin Christine Motejl, die den Verein Spenderkinder vertritt, Versäumnisse: Im zentralen Spenderregister sollen nur Daten von Samenspendern ab 2018 gespeichert werden. Motejl aber drängt auf eine Lösung auch für die Altfälle. Die Auseinandersetzung mit einzelnen Ärzten und Samenbanken sei für die Betroffenen nicht zumutbar, oft werde behauptet, gar keine Daten zu haben: „Manche Ärzte legen es bewusst auf Gerichtsverfahren an.“ 

Eva werden die neuen Gesetze nichts mehr helfen. Ihre Daten scheinen für immer verloren. Sie hat jetzt ihre DNA zum Family Finder geschickt, einer Datenbank, bei der sich Samenspender und Spenderkinder registrieren können. Sie hofft darauf, dass sich vielleicht auch ihr Vater dort meldet. Es gibt Spender, die das tun, wenn sie erfahren, wie sehr Spenderkinder darunter leiden, den leiblichen Vater nicht zu kennen. Seit 2013 gab es immerhin zwei Treffer. Die jetzt geplante Freistellung von rechtlichen Pflichten, hofft Eva, könnte mehr Samenspender ermuntern, dort ihre DNA abzuliefern. Die Suche einfach aufgeben kann sie nicht: Erst vor ein paar Wochen sei sie beim Arzt wieder einmal nach Erbkrankheiten gefragt worden. Sie weiß nichts darüber.

Marion Mück-Raab

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