Präsidentschaftswahl in den USA: Donald Trump setzt jetzt auf die Schlammschlacht
Das übersteht er nicht? Von wegen. Donald Trump hat die schwersten Tage seiner Kandidatur hinter sich – bleibt aber im Rennen. Auch nach Sexismus-Vorwurf und TV-Duell. Amerika steht vor schmutzigen Wochen.
Er hat doch damit gerechnet. Trotzdem bringt die Frage Donald Trump völlig aus dem Konzept. „Sie haben damit angegeben, bei Frauen sexuell übergriffig geworden zu sein – stehen Sie dazu?“, fragt ihn der Moderator des TV-Duells in der Nacht zu Montag. Trump stockt. Immer wieder zieht der Präsidentschaftskandidat die Nase hoch. Sagt, das sei alles nur „Lockerroom Talk“ gewesen – Dinge, die Männer eben so in der Umkleidekabine besprechen. Fängt an, zusammenhanglos über die Bedrohung durch den IS zu schwadronieren.
Im Saal der Washington University in St. Louis, Missouri, schaut Konkurrentin Hillary Clinton interessiert zu. Als der Moderator noch mal nachhakt, stammelt Trump unter heftigem Schniefen etwas von „Respekt vor Frauen“, dass er „Amerika wieder sicher“ machen wird und „andere Staaten uns unsere Jobs“ wegnehmen. Im Pressezentrum starren hunderte Journalisten auf das Schauspiel, das sich vor ihnen entfaltet. Zu diesem Zeitpunkt will keiner darauf wetten, dass Trump die 90 Minuten dieser zweiten Präsidentschaftsdebatte übersteht.
Trump inszeniert ein schmutziges Spektakel
Trump steht nach dem vergangenen Wochenende, an dem sich Dutzende Parteifreunde und Prominente von ihm öffentlich distanziert hatten, unter Druck, mit dem Rücken zur Wand – das merkt man ihm an. Das „Town-Hall-Meeting“ beginnt schon frostig. Neben den zwei Präsidentschaftskandidaten sind 40 Wähler im Saal dabei. „Oh, hello“, sagt Clinton zu Trump. Die Hand reichen sich die beiden nicht.
Kurz zuvor hatte Trump bei einer Pressekonferenz ein schmutziges Spektakel inszeniert. Auf dem Podium stellte Trump vier Frauen vor. Sie stammen, bis auf eine, aus der Vergangenheit des früheren Präsidenten Bill Clinton. Da sind Paula Jones, Kaugummi-kauend im glitzernden Trainingsanzug, und Kathleen Whilley. Sie warfen Clinton in den 90ern vor, sie sexuell belästigt zu haben. Dann ist da Juanita Broddericks, sie beschuldigte den Präsidenten 1999 sogar, sie 1978 vergewaltigt zu haben – ein Vorwurf, der nie von einem Gericht aufgegriffen wurde. Die Vierte bei dem Auftritt, Kathy Shelton, sagte schließlich, Hillary Clinton habe als Anwältin ihren Vergewaltiger verteidigt.
"Pack sie an der Muschi"
Donald Trump will mit der Aktion von dem seit Freitag bekannten Video ablenken, in dem er selbst mit sexuellen Übergriffen gegenüber Frauen geprahlt hat. Die „Washington Post“ hatte vor einigen Tagen einen Mitschnitt von 2005 veröffentlicht, auf dem Trump sagt, als „Star“ könne man sich bei Frauen alles erlauben, ihnen auch zwischen die Beine greifen. Und seinen Gesprächspartner, einen TV-Moderator, fordert er auf: „Pack sie an der Muschi. Du kannst alles machen.“
Entsprechend groß war das Interesse an diesem TV-Duell. Mehr als 80 Millionen US-Bürger dürften die Debatte gesehen haben – genaue Zahlen gab es am Montag zunächst nicht. Zeitgleich spiegelte sich der Schlagabtausch auch bei Twitter: Zur Debatte wurden dem Kurznachrichtendienst zufolge 17 Millionen Tweets abgesetzt.
"Schlimmer kann es nicht werden"
Trump ist jetzt im Krieg, nicht nur gegen Hillary Clinton, sondern auch gegen die Führung der Republikaner – „das Establishment“, wie er sie nennt. Denn das ließ ihn fallen. Bekannte Senatoren wie John McCain oder Kelly Ayote, die in New Hampshire um ihre Wiederwahl kämpfen, wollen lieber Mike Pence auf ihren Wahlzettel schreiben, als für Trump stimmen. Condoleezza Rice, einst Außenministerin unter George W. Bush, teilte auf Facebook mit: „Genug. Donald Trump sollte nicht Präsident sein.“
Doch das alles kommt spät. Die klare Mehrheit unter den republikanischen Wählern will, dass Trump weitermacht. Denn: „Was habt ihr zu verlieren? Schlimmer kann es nicht werden“ – so wirbt Trump in der Nacht zu Montag tatsächlich um Unterstützer.
Nach 30 Minuten: Trump fängt sich doch noch
Abgemacht war in St. Louis, dass die beiden Moderatoren scharf nachfragen. Und CNN-Nachrichtensprecher Anderson Cooper und Martha Raddatz, außenpolitische Chefkorrespondentin des Senders ABC, machten davon Gebrauch. Die blaue und mit Sternen und einem Wappenadler geschmückte Kulisse ist die gleiche wie zur ersten TV-Debatte vor zwei Wochen. Doch das Format ist anders. Damals standen Clinton und Trump an Pulten und mussten Fragen eines Journalisten beantworten – diesmal laufen sie mit drahtlosen Mikrofonen auf der Bühne umher und zwar vor 40 unentschiedenen Wählern aus der Gegend um St. Louis. Die sitzen im Halbkreis um die beiden Kandidaten, ein Meinungsforschungsinstitut hatte sie eingeladen.
Trump ist besser vorbereitet als bei der ersten Runde. Häufig ist es Clinton, die sich an diesem Abend verteidigen muss. Sie zählt ihre Leistungen als First Lady, Senatorin, Außenministerin auf, während Trump auf der Bühne auf und ab geht und skeptisch schaut. Nach einer Stunde ist die Tatsache, dass Trump vor der Debatte wegen seiner vulgären Äußerungen von der eigenen Parteiführung angefeindet wurde, fast vergessen.
Vor allem aber besinnt sich Trump in St. Louis darauf, dass viele Amerikaner einen Wandel in Washington wollen. Er präsentiert Clinton als Politikerin, die seit 30 Jahren redet und nichts tut. Er attackiert Präsident Barack Obama. Er beschreibt ein Amerika, das schwach ist, das Millionen von Jobs ins Ausland abziehen lässt, das von seinen Gegnern verspottet wird – und zwingt Clinton, sich dafür zu rechtfertigen. Eine Präsidentin Clinton wären „vier weitere Jahre Obama“, sagt Trump.
Hillary Clinton wirkt müde
Lügen, Desaster, das sind Trumps Lieblingsworte, wenn er über Clinton spricht. Weniger deutlich ist Trump, wenn er eigene Pläne darlegt. So greift er dankbar eine Frage zu Obamacare auf – ein „komplettes Desaster“ –, erklärt aber nicht, wie er eine Versicherung für alle Amerikaner ohne neue Schulden sicherstellen will. Dann spricht er über Steuern – und ihm gelingt das Kunststück, Clinton dafür zu kritisieren, nicht die Steuerschlupflöcher geschlossen zu haben, die er jahrelang selbst genutzt hat. Immer wieder bringt er die Demokratin mit „reichen Freunden“ in Verbindung, Namen nennt er nicht, „weil wir diese Leute nicht berühmt machen wollen“.
Nach der ersten halben Stunde hat sich Trump gefangen. Er tigert weniger über die Bühne, wenn Clinton spricht. Er wippt kaum noch, lässt zunehmend das erratische Kopfnicken sein, schnieft weniger. Wenn er dran ist, lässt sich Clinton jedes Mal auf den Stuhl sinken und wartet mit Sphinx-Miene ab, bis „der Donald“ fertig ist. Sie wirkt müde.
Aber Clinton bleibt bei ihrer Strategie, ihre jahrzehntelange Erfahrung als Politikerin und „Public Servant“ zu betonen. Sie lächelt siegesgewiss, wenn sie zum dritten Mal an diesem Abend hervorhebt, wie lange sie öffentliche Ämter bekleidet. Eine Karriere, in der sie sich für Kinder, Schwarze, Behinderte, Frauen, Homosexuelle eingesetzt hat. Auch über Parteigrenzen hinweg. Ich, Hillary Clinton, finde Lösungen und arbeite mit anderen zusammen – diese Nachricht soll doch bitte endlich ankommen.
Eine Menge unzufriedene Patrioten
Bei Trumps Anhängern war die Anspannung vor dem zweiten TV-Duell hoch. „Ich glaube, er macht sich heute Abend zum Idioten“, prophezeite die 33-jährige Sarah kurz zuvor. Die frauenverachtenden Sprüche ihres Kandidaten stören sie allerdings nicht. „So reden die Jungs halt.“ Dann zieht sie weiter, die Straße hoch, um zu feiern. In Florissant, einem Vorort von St. Louis, findet am Sonntagnachmittag, also kurz vor dem Duell, ein Straßenfest statt. Unter einem strahlend blauen Himmel mit weißen Federwolken, den Jackson Five aus den Boxen und vielen Heuballen. Republikaner und Demokraten haben ihre Wahlkampfstände nebeneinander aufgebaut. Gesprochen wird aber nicht miteinander.
Lou Hannibal, 77 Jahre alt, im blau kariertes Hemd, hat sich hinter Wahlplakaten für die Vorgärten aufgebaut. „Donald Trump“ steht darauf, und „Mike Pence“. Hannibal ist der Vorsitzende des „St. Louis County Club der Republikaner“. Er hat Angst vor Staatsschulden, Angst vor zu wenig Rente (Hillary wird die Unternehmen in die Pleite besteuern), Angst vor syrischen Flüchtlingen. Deshalb geht Hannibal für Trump auf die Straße. Der Sexismus, Rassismus, die Lügen seines Kandidaten? Nein, nein, das sei ein Missverständnis. Es gebe nur „eine Menge unzufriedener Patrioten, die für sich die Regierung zurückhaben wollen“.
Eine Horde solcher Patrioten drängt später an der Washington University auf die Wiese vor, auf der NGOs, Kirchengemeinden und Menschenrechtsaktivisten ihre Botschaften verbreiten dürfen. „Hillary in den Knast, Hillary in den Knast“, rufen die älteren weißen Damen und Herren, einer hält kurz inne, um zu sagen: „Ihr habt ein Problem in Deutschland. Diese Muslime werden euch alle den Kopf abschneiden.“
Wie viel steckt noch in Trump?
Vielleicht hat Clinton Trumps Selbstbewusstsein unterschätzt und seinen Willen zur Schlammschlacht. Sie läuft einige Male in die Fallen ihres Gegners. Sie rechtfertigt sich viel und wirkt dadurch stärker in der Defensive. Nicht nur ihre eigenen Anhänger bedauern das. Konservative Trump-Kritiker hatten gehofft, eine Niederlage des Kandidaten könnte den Ruf nach einer Ablösung des Milliardärs durch die republikanische Führung stärken. Ein K.o.-Schlag für Trump wäre gut für die Republikaner gewesen, kommentierte Bill Kristol, Chefredakteur des konservativen „Weekly Standard“.
Daraus wurde nichts. Einer CNN-Umfrage zufolge erkennen zwar 57 Prozent der Zuschauer Clinton als Siegerin, 37 Prozent Trump. Sein Lieblingssender Fox aber sieht das ganz anders – Trump habe klar gewonnen und die Erwartungen übertroffen. Wie viel noch in Trump steckt, wird in gut einer Woche zu sehen sein. In der Nacht auf den 20. Oktober gibt es das dritte TV-Duell.
"Wie der Diktator einer Bananenrepublik"
Angst und Aggressivität, daran berauscht sich die Trump-Kampagne, und tatsächlich findet der Kandidat der Republikaner beim TV-Duell wieder in diesen Wahlkampfmodus zurück. Dabei hilft ihm, dass Wikileaks fast zeitgleich mit Trumps „Pack sie an der Muschi“-Aufschrei klassifizierte E-Mails von Clinton veröffentlichte. Darin geht es um Interna zum Syrien-Einsatz und ihre Kontakte zu Großbanken – heikle Themen. Trump jedenfalls ruft, unter seiner Präsidentschaft werde Clinton ins Gefängnis kommen. Das verblüfft selbst Polit-Profis. „Er redet wie der Diktator einer Bananenrepublik“, sagte Clintons Wahlkampfchef Robby Mook.
Ganz unrecht hat der Mann nicht. In St. Louis signalisiert Trump, dass er aufgegeben hat, gemäßigte Wähler für sich zu gewinnen. Er setzt in der Endphase des Wahlkampfes darauf, genügend hartgesottene Anhänger zu mobilisieren. Männer und Frauen, die wütend sind: auf Obama, auf Politiker, die jedes Problem zerreden und am Ende nichts tun, auf „die da oben“. Nicht überraschend, dass Trump der Held der Rechtspopulisten in ganz Europa ist.
Trump ist ein ausgestreckter Mittelfinger an Washington
Dass Trump mit dieser Taktik der verbrannten Erde so weit gekommen ist, zeigt das Ausmaß der Entfremdung zwischen vielen Wählern und dem politischen System. Trump-Anhänger, vor allem weiße Männer mit geringem Bildungsstand, kümmert es nicht, dass ihr Kandidat täglich die Regeln des Anstandes verletzt. Jeder Fall ist ihnen ein neuer Beweis, dass der Mann anders ist. Trump ist ein ausgestreckter Mittelfinger an Washington.
Clintons Unbeliebtheit, ihr E-Mail-Skandal und ihre arrogante Art machen es Trump leichter, sind aber nicht die Ursache dafür, dass 40 Prozent der Wähler nach wie vor zu dem Populisten halten. Jeder andere Gegenkandidat des Reality-TV-Stars Trump würde genauso erbarmungslos als Vertreter eines alten Establishments attackiert.
Die meisten Experten glauben dennoch, dass es am Ende für Clinton reicht. Sie führt in den Umfragen nicht nur landesweit, sondern auch in den meisten umkämpften Bundesstaaten, die für das Ergebnis besonders wichtig sein werden. Zudem schwächen demografische Veränderungen die Rolle von Trumps Kernanhängerschaft: Noch 1988 reichten dem älteren George Bush 63 Prozent der Stimmen der weißen männlichen Amerikaner zum Sieg – bei der Wahl 2012 überzeugte Mitt Romney immerhin 62 Prozent dieser Wählergruppe, verlor gegen Barack Obama aber mit einem Abstand von 3,5 Millionen Stimmen. Trump müsste 70 Prozent aller weißen Männer für sich gewinnen, um ins Weiße Haus einzuziehen. Davon ist er weit entfernt.
"Wie ein Silberrücken dominiert"
Nach der Debatte treten sich an der Washington University die Wahlkämpfer, Kongressabgeordnete, Journalisten und Professoren auf die Füße. Nun wird versucht, dem Ereignis den eigenen Dreh, den eigenen „Spin“ zu verpassen. Wie waren die Kandidaten, wer hat seine Botschaft besser ans Publikum gebracht? Nochmal schlägt die Stunde der alten Rechtsaußen: Nigel Farage, früherer Ukip-Chef und seit dem Brexit unterbeschäftigt, lobt Trump: Er habe Clinton „wie ein Silberrücken dominiert“. Rudy Giuliani, Ex-Bürgermeister von New York und einer der engsten Unterstützer Trumps knarzt: „Ich bin überzeugt, dass Clinton ins Gefängnis gehört.“
Die Debatte von St. Louis hat den Wahlkampf von Donald Trump nicht beendet, wie einige erwartet oder gehofft hatten. Trump bleibt im Rennen – und mit ihm könnte es zu einer Schlammschlacht unbekannten Ausmaßes kommen. Vor der Debatte hatte die Comedy-Sendung „Saturday Night Live“ in einem Sketch eine angesichts der Probleme Trumps ausgelassene Clinton gezeigt, die tanzt und Champagner trinkt. Nach der Nacht von St. Louis ist bei den Demokraten niemandem mehr nach Feiern zumute.
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