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Ein Teilnehmer des Querdenken-Aufmarschs am Sonnabend.
© AFP

Querdenker beklagen „Besatzungsrecht“: Als nächstes möchten sie das Grundgesetz abschaffen

Corona-Skeptiker und Rechtsextreme rüsten sich nun für neue Provokationen. Folgt der nächste Aufmarsch schon am Tag der Einheit?

Dass ihr Protestwochenende ein großer Erfolg war, darüber sind sich die Aktivisten weitestgehend einig. Diskutiert wird noch, ob der versuchte Sturm auf den Reichstag taktisch klug war.

Manche sagen: Die Bilder davon seien kontraproduktiv, weil sie Bürgerliche davon abhielten, sich der Bewegung anzuschließen. Andere sagen: Das Zeichen war wichtig. Beim nächsten Mal werde man den Reichstag ganz sicher erobern.

Auf Telegram, Youtube und anderen sozialen Netzwerken werten die Teilnehmer der verschiedenen Demonstrationen nicht nur das Wochenende aus, sondern planen auch die nächsten Schritte. Dabei lassen sich zwei Konstanten erkennen. Erstens wurden am Sonnabend von Wortführern mehrfach falsche Gerüchte gestreut, um die aggressive Stimmung unter den Teilnehmern weiter anzuheizen.

Und zweitens werden aus dem Geschehen des Wochenendes nun neue Lügengeschichten gesponnen – von einer diktatorischen Bundesregierung und dem Aufstand besorgter Bürger.

Die Gruppe „Querdenken“, die sowohl eine Großdemonstration als auch die Versammlung an der Siegessäule angemeldet hatte, distanzierte sich von den Reichstagsstürmern. Diese hätten „mit ihrer Bewegung nichts zu tun“. Dafür kündigt ihr Pressesprecher etwas Großes an, das die Bundesrepublik radikaler verändern würde als die Erstürmung eines Gebäudes: In den kommenden zwei Wochen wolle man eine eigene Verfassung ausarbeiten.

Ziel sei es, das deutsche Grundgesetz zu ersetzen. Dieses solle künftig nicht mehr gelten, es sei lediglich „Besatzungsrecht“. Über die neue Verfassung solle auf 80 Bühnen im Tiergarten beraten werden, die besten Vorschläge würden dann auf der Hauptbühne ausgearbeitet, so der Querdenken-Sprecher.

In der Vergangenheit hatte der Mann bereits rassistische Inhalte auf Facebook verbreitet.

Wie Falschmeldungen die Menge aufstachelten

Das Verfassungs-Vorhaben könnte daran scheitern, dass das beantragte Zeltlager im Tiergarten vom Bundesverfassungsgericht verboten wurde. Sonntagabend rückte die Polizei an, etliche Zelte wurden abgebaut. „Querdenken“ erklärte am Montag, nun eine Reihe neuer Zeltcamps anzumelden und so juristische Erfahrungen zu sammeln, wie sich diese durchsetzen lassen.

Deutlich ist inzwischen, was am Sonnabend den Sturm auf den Reichstag auslöste. Kurz bevor sich Rechtsextreme, Reichsbürger und Corona-Leugner in Bewegung setzten, stand eine szenebekannte Aktivistin auf der Bühne vor dem Gebäude – und stachelte die Menschenmenge auf. Bei der Frau handelt es sich um eine Heilpraktikerin aus der Eifel, die sich unter anderem auf die Behandlung mit Bachblüten sowie auf „Metall-“ und „Krebstherapie“ spezialisiert hat.

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Zusätzlich angestachelt wurde die Menge durch eine Lüge, die diese Heilpraktikerin von der Bühne durchs Mikrofon rief. Ihr zufolge war US-Präsident Donald Trump in Berlin gelandet. Deshalb müssten die Demonstranten ein Zeichen setzen und Trump so zeigen, dass „wir die Schnauze gestrichen voll haben“. Donald Trump gilt vielen Verschwörungsgläubigen als Erlöser und großer Befreier, der die Weltverschwörung geheimer Eliten beenden wird.

Am Montag erklärte die Heilpraktikerin, ihre Behauptung der Ankunft von Donald Trump habe sich im Nachhinein „nun leider als etwas unrichtig“ herausgestellt.

Die Lüge von den übergelaufenen Polizisten

Auch andere Akteure haben am Sonnabend die ohnehin aggressive Stimmung auf den Straßen durch das Verbreiten von Falschmeldungen zusätzlich verschärft. So wurde das Gerücht gestreut, Polizisten hätten sich auf die Seite der Demonstranten geschlagen und würden gewalttätige Aufstandsversuche unterstützen. Im Zweifel solle man den Beamten einfach das Codewort „711“ zurufen.

Das extrem rechte „Compact“-Magazin verkündete am Sonnabend über seinen Telegram-Kanal, das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hätte die Auflösung der „Querdenken“-Demonstration in einem Eilverfahren für rechtswidrig erklärt – und behauptete: „Die Veranstaltung kann weitergehen“. Die Nachricht war frei erfunden. Trotzdem wurde sie hundertfach geteilt.

Auch das im Netz verbreitete Gerücht, eine Demonstrantin sei von der Polizei getötet oder zumindest vergewaltigt worden, entpuppte sich als falsch. Die Berliner Polizei wertet entsprechende Behauptungen als Versuch, gezielt Fake News zu streuen und so Einsatzkräfte zu diskreditieren. Tatsächlich riefen am Montag massenweise empörte Anhänger der „Querdenken“-Bewegung bei der Pressestelle der Polizei an und beschuldigten Beamte, Demonstranten getötet zu haben.

Prominente Rechtsextreme wurden gefeiert

Bei der Auswertung der zahlreichen Livestreams und Fotos, die das Geschehen vom Wochenende dokumentieren, wird auch deutlich, wie groß die Anzahl der anwesenden Rechtsextremen, Rechtspopulisten und Reichsbürger war. Dabei fällt auf, dass prominente Vertreter der Szene von den Demonstranten regelrecht gefeiert wurden – Fälle, in denen Mitdemonstranten den Rechten offen widersprachen, findet man keine.

Martin Sellner, Aktivist der rechtsextremen Identitären Bewegung, freute sich am Wochenende über die „vielen positiven Rückmeldungen“ von Teilnehmern und die zahlreichen Wünsche, ein gemeinsames Foto zu machen.

Jürgen Elsässer, Chefredakteur des vom Verfassungsschutz beobachteten „Compact“-Magazins, hatte sich bereits im Vorfeld darüber erfreut gezeigt, bei der „Querdenken“-Bewegung gebe es keinerlei „Abgrenzung nach rechts“. Sein Mitarbeiter betonte, da sei „ein Volk auf der Straße, das mit diesem System nichts mehr zu tun haben will“. In der Telegram-Gruppe der „Corona-Rebellen“ wurde am Montag vor der Schaffung eines Mischvolks in Deutschland gewarnt, das Ziel sei die Auslöschung der Deutschen.

[Mehr zum Thema: Politik bestürzt über Ereignisse am Reichstag - „Dass am Bundestag die Reichsflagge wieder weht, ist nicht zu ertragen“]

Die nächste Großdemonstration der Szene könnte in viereinhalb Wochen anstehen. Anhänger der „Corona-Rebellen“ und der rechtsextremen Organisation „Patriotic Opposition Europe“ wollen am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, auf die Straße gehen. Manche Unterstützer drängen zu massiveren Aktionen, die Zeit werde langsam knapp. Andere scheinen zunächst praktische Fragen umzutreiben. Zum Beispiel: Von welchem wohlgesonnenen Arzt kann man sich rückwirkend Masken-Atteste ausstellen lassen, wenn man bei der Demo in Berlin eine Anzeige kassiert hat?

Die Neonazi-Kleinstpartei „Der Dritte Weg“ plant für den 3. Oktober ebenfalls einen Marsch durch Berlin, Experten rechnen mit bis zu 600 Teilnehmern. Auch die Reichsbürger der Gruppe „Staatenlos“ wollen am 3. Oktober demonstrieren – erneut vor dem Reichstagsgebäude. Deren Wortführer ist der ehemalige NPD-Kader Rüdiger Hoffmann, der wegen versuchten Mordes mehrere Jahre im Gefängnis saß.

An welchem Tag die Gruppe „Querdenken“ ihren nächsten Aufmarsch plant, ist unklar. Nach Angaben ihres Sprechers müssen viele Akteure nun erst einmal Schlaf nachholen. Dann werde man beraten.

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