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FDP-Politikerin Karoline Preisler auf der Corona-Demo in Berlin.
© Atila Altun

Corona-Demo in Berlin: „Die wollten Kriegsgerichte und Galgen für Merkel und Drosten“

FDP-Politikerin Karoline Preisler hat in Berlin den Dialog mit Corona-Demonstranten gesucht. Im Interview erzählt sie, wofür sie sich „extrem geschämt“ hat.

„Ich hatte Covid-19 und mache mir Sorgen um Euch“ – mit dieser Botschaft, die auf einem Schild um ihren Hals hing, ging Karoline Preisler am Samstag bei der Corona-Demo in Berlin auf die Straße. Die FDP-Politikerin aus Mecklenburg-Vorpommern wollte ein Zeichen setzen, einen Gegenpol bilden zu den zehntausenden Demonstranten, die gegen die Verhältnismäßigkeit der Corona-Maßnahmen protestierten.

Allerdings war das nicht der einzige Grund, weshalb sie die mehr als 200 Kilometer Weg von Schwerin nach Berlin auf sich nahm. Sie hatte Arzttermine in Berlin. Im März hatte sich Preisler mit dem Coronavirus infiziert. Was folgte, war ein schlimmer Verlauf, währenddessen ihr teilweise sogar das Stehen schwergefallen ist.

Am Sonntag, einen Tag nach ihrem Besuch der Corona-Demo, sprachen wir mit Preisler über ihre Erfahrungen, die 75 Masken, die sie dabei hatte – und über den Grund, warum sie sich „extrem geschämt“ hat.

Frau Preisler, was ist Ihr Fazit nach allem, was Sie erlebt haben?
Mein Fazit ist, dass das eine neue Form des Dialogs sein kann, dass man als politisch engagierter Mensch da hingeht, wo der Schuh drückt. Das ist natürlich keine neue Erfindung: Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben wahrscheinlich genau dafür an die Versammlungsfreiheit gedacht. Die soll ja gerade den Menschen die Möglichkeit geben sich auszudrücken, die sich vom aktuellen politischen Geschehen vielleicht nicht ganz mitgenommen fühlen. Deswegen war das für mich richtig.

Was war Ihr persönlicher Ansporn?
Ich bin da hingegangen, wo Menschen Corona-Maßnahmen hinterfragen und vielleicht auch anzweifeln, dass es Corona gibt – die wären ja nie zu mir gekommen und hätten mit mir als Politikerin gesprochen, weil sie mit der momentanen Politik nicht einverstanden sind.

Ging es denn Ihrer Meinung nach wirklich darum, die Maßnahmen zu hinterfragen?
Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen zu überdenken, bedeutet auch immer, den Maßstab, der dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung zugrunde liegt, anzuerkennen. Ich habe gestern ganz viele Menschen getroffen, die einen großen Leidensdruck hatten und mir was sagen wollten, aber auch unsere demokratischen Prozesse gar nicht kannten. Eine Psychologin, ein Arzt – ganz viele Leute mit einer Berufsausbildung. Die wollten Kriegsgerichte und Galgen für Merkel und Drosten und glauben an eine schlimme Diktatur.

Sie haben uns gestern in einem Video gesagt, dass Sie mit „Querdenkern“ gute Gespräche geführt haben, aber schlechte Erfahrungen mit einem Mitglied der „Identitären Bewegung“ gemacht haben. Können Sie das präzisieren?
Ich muss sagen, dass das Mitglied der „Identitären Bewegung“ perfekt vorbereitet war. Der hat immer Sachen eingeworfen wie „Erklären Sie doch mal, was für Sie Faschismus ist“. Das war ein junger, gebildeter Mensch. Die Passanten, darunter auch „Querdenker“, und ich haben ziemlich schnell festgestellt, dass der überhaupt nicht am Dialog interessiert war – der wollte die Leute dort indoktrinieren.

Und die „Querdenker“ waren gemäßigter?
Ja, aber es gab auch bei den „Querdenkern“ Leute, die das Weltjudentum oder jüdische Millionäre für Corona verantwortlich machen. Mit einem habe ich das Gespräch abgebrochen, weil dieses „Wir sind alle unterwandert vom jüdischen Kapital“ unerträglich war – mir fehlten einfach die Worte. Ich habe viele Menschen getroffen, die aufgewühlt sind. Bei einigen Gesprächspartnern zuckten die Hände oder das Gesicht vor Emotionen. Ich bemühte mich viele Stunden lang um Deeskalation. Ich habe eine Frau getroffen, die ist schwer herzkrank – die forderte ein Recht auf Durchseuchung, sonst würden wir alle für immer eingesperrt bleiben.

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Sie haben gestern 75 Masken dabei gehabt, die Sie verteilen wollten. Warum und wie viele sind Sie losgeworden?
Es hatten ja am Vortag einige Leute angekündigt, sie würden infiziert an der Demo teilnehmen. Da habe ich mir gedacht: Wenn ich die dazu kriege, eine Maske zu nehmen, hat sich der Aufwand schon gelohnt. Ich bin letztlich knapp zehn Masken losgeworden. Manche haben sie genommen, um ihre Gesprächsbereitschaft zu zeigen, aber nur zwei haben sie getragen.

Können Sie sagen, warum die beiden eine Maske tragen wollten?
Ein Mann, der die Maske aufgesetzt hat, war auch eher jemand, der die Demo kritischer besucht hat. Der kam auch an und hat gefragt, ob er eine neue Maske haben könne – er hatte also sogar schon eine. Die zweite Person war eine Psychologin, die, glaube ich, verstanden hat, dass es gefährlich wird, wenn das Demonstrationsgeschehen dichter wird.

Gab es denn neben Gesprächsbereitschaft auch positives Feedback für Ihr Engagement?
Ja, ich bin vor dem Brandenburger Tor von ganz vielen Berlin-Touristen angesprochen worden. Drei haben mir gesagt, dass sie es ganz toll finden, was ich mache. Die haben die Welt nicht verstanden – auf der ganzen Welt würden Menschen sterben und in Deutschland demonstrierten Menschen gegen ein Stück Stoff.

Was ist Ihnen negativ in Erinnerung geblieben?
Gegen Mittag wurde es richtig übergriffig, deshalb bin ich auch kurz darauf gegangen. Die Leute waren so aufgeregt und wussten nicht, wohin mit sich. Da hatte ich Angst, dass mich irgendjemand, der da vor mir rumfuchtelte, mal nimmt und schüttelt. Für mich war das dann einfach kein sicherer Ort mehr.

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Sind Sie denn im Nachhinein froh, dass Sie gegangen sind – im Wissen, was danach noch alles passiert ist mit dem versuchten Sturm auf den Reichstag?
Absolut, und ich muss sagen: Jeder, der behauptet, dass es nicht abzusehen war, dass viele Rechtsextreme da sind und es eskalieren könnte, der lügt. Ich habe seit 9 Uhr Reichsbürger, Identitäre und Rechtsextreme gesehen. Es war auch nicht zu übersehen. Es gab ab Mittag auch ganz viele AfD-Flyer. Ich habe so viele verunglimpfte Davidsterne und Nazi-Symbole gesehen, dass klar war: Diese Leute wollen sich nicht über die Verhältnismäßigkeit von Corona-Maßnahmen austauschen.

Sie haben am Sonntagmorgen auf Twitter geschrieben, dass Sie eine Frau getroffen haben, die Ihren jüdischen Glauben offen gezeigt hatte. Sie hatten Angst um sie – inwiefern?
Ich habe sie angesprochen und ihr sagt: Mensch, das finde ich aber ganz schon mutig. Niemand schaut, ob ich ein Kreuz um den Hals habe, aber ich habe die ganze Zeit auf ihre Kette mit dem Davidstern geguckt und alle anderen natürlich auch. Es sind so schreckliche Leute vorbeigelaufen, die im Gespräch mit mir antisemitische Thesen vertreten haben. Ich habe mich so extrem geschämt.

Hat sie Ihnen gesagt, warum sie da war?
Sie hat nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle entschieden, dass sie sichtbar sein muss, damit die Gesellschaft weiß, dass sie diese braucht. Tatsächlich habe ich mich sehr verantwortlich gefühlt für die Frau. Es war ja wie mit meinem Corona-Schild: Man bekommt genau die Leute ab, die das triggert. Ich habe immer darauf geachtet, dass die Polizei in Rufnähe ist.

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