Queer weiß das (30): Wie ist es, als schwuler Flüchtling hierher zu kommen?
Ein #jetztschreibenwir-Spezial unserer Kolumne im Queerspiegel: Heteros fragen, Homos antworten. Ein schwuler Flüchtling berichtet, wie es ist, nach Deutschland zu kommen.
Wie ist es, als queerer Flüchtling nach Deutschland zu kommen? Dorothee, Wilmersdorf
Als ich das erste Mal in Berlin in einem schwulen Club ausging, war ich vor Überwältigung regelrecht geschockt. Ich komme aus Damaskus, dort gibt es einen winzigen, geheimen schwulen Club. Man trifft sich freitags, es kommen immer dieselben dreißig Leute. Hier, im Schwuz in Neukölln, tanzten hunderte Männer, es war ausgelassen. Ich saß den ganzen Abend schüchtern in einer Ecke, meine Hände zitterten.
Das war vor gut einem Jahr, ich bin im vergangenen Herbst nach Berlin gekommen. In Syrien ist es sehr schwierig, schwul zu sein. Man wird so oft angefeindet, wenn man dafür gehalten wird. Im Nachtclub hat einmal die Armee eine Razzia gemacht, die haben jeden geschlagen, der in ihren Augen feminin aussah. Auf der Flucht, auf dem Weg in die Türkei, habe ich alles getan, um straight zu wirken: Ich habe weite Hosen getragen, meine Haare abrasiert, meinen Bart wachsen lassen, mein Tattoo verdeckt. Wenn der Daesh (IS) dich sieht und denkt, dass du schwul bist, töten sie dich.
Die Security war keine Hilfe
Dass es für Homosexuelle in Deutschland einfacher ist, wusste ich vorher. Am Anfang war es dennoch nicht leicht. Zuerst habe ich in einer Turnhalle gewohnt. Die Stimmung war aggressiv, ich wurde wegen meines Schwulseins oft beleidigt. Die Security war keine Hilfe, ganz im Gegenteil: Einer von denen hat die Beleidigungen sogar angestachelt. Inzwischen lebe ich in einem Wohnheim. Dort habe ich ein Einzelzimmer – irgendwann bin ich zum Manager des Heimes gegangen und habe gesagt: Ich kann nicht mehr zusammen mit Hetero-Männern leben, vor allem nicht mit arabischen. Seitdem werde ich in Ruhe gelassen.
Meine schwulen Freunde in Berlin habe ich vor allem über Kennenlern- Apps gefunden. Schon der erste war wirklich nett: Er hat mich auf Partys eingeladen, er war auch derjenige, mit dem ich das Schwuz besuchte. Zwei, drei Monate nach meiner Ankunft ist mir erstmals bewusst geworden, dass ich es hier wirklich genieße, schwul zu sein. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, das schwule Leben wird mir fast zu viel. Ich gehe in viele Clubs, zu vielen Festivals: Von dem einen Extrem ins andere ist vielleicht doch nicht so einfach. Vielleicht fehlt mir einfach noch Stabilität.
Warum ich anonym bleiben will
In meinem Wohnheim werden immer wieder Magazine und Zeitungen verteilt. Wenn einer meinen Namen lesen würde, hätte ich Angst, dass sie den Artikel an meine Familie schicken und mich so outen würden. Deswegen will ich an dieser Stelle anonym bleiben.
Sollte ich aber irgendwann meine Familie wieder in Syrien besuchen, werde ich hoffentlich kein Problem mehr haben, es ihnen persönlich zu sagen. Ich habe gesehen, wie entspannt und selbstbewusst Männer in Deutschland mit ihrem Schwulsein umgehen – das hat mir viel Kraft und Mut gegeben.
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Dieser Text erschien auf Mehr Berlin und ist Teil unserer Sonderausgabe #jetztschreibenwir mit Berichten und Geschichten von geflüchteten Journalisten, die am Sonnabend, den 15. Oktober erschien und im Abo, am Kiosk und als E-Paper erhältlich ist. Das Protokoll wurde aufgezeichnet von Tilmann Warnecke. Der interviewte Syrer sucht übrigens dringend eine eigene Wohnung (ein Zimmer bis 500 Euro warm) - Hinweise bitte an die Queerspiegel-Redaktion, Mail siehe unten.
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