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Queer feiern - wie hier im Schwuz in Neukölln.
© Tilmann Warnecke/Tsp

Das SchwuZ in Neukölln: "Tunten im Kleid neben Nachbarn mit Rollator"

Das SchwuZ war schon immer ein Vorreiter der queeren Szene in Berlin. Hier sprechen seine Macher über Tunten, das politische Erbe des Clubs - und die gute Nachbarschaft im Rollbergviertel.

Eine bunte Insel im clubarmen Neukölln: Vor zweieinhalb Jahren ist das Schwulenzentrum (kurz SchwuZ) von Kreuzberg in den Neuköllner Rollbergkiez gezogen. Hier hat sich das Team um Geschäftsführer Marcel Weber und den künstlerischen Leiter Michael von Fischbach ein Refugium der guten Laune und politischen Arbeit aufgebaut. Ein Gespräch über ihr politisches Erbe, den Kampf gegen Homophobie, Tunten und queere Kultur.

Das SchwuZ hat bereits eine sehr lange und bewegte Geschichte. Es ist schon mehrfach umgezogen, zuletzt vor drei Jahren nach Neukölln. Wie kam es dazu?

Marcel Weber: Wir mussten raus aus unserer, nun ja wie soll ich es nennen, Komfortzone.

Was soll das bedeuten?

Weber: Man muss dazu sagen, dass das SchwuZ in der Szene schon immer ein Vorreiter war. Von den Anfängen der West-Berliner Schwulenbewegung in den 70ern, waren wir schon immer eine politische Institution, und dieses Standing wurde im Laufe der Jahre immer weiter auf ein Minimum zusammengestaucht. In den 2000ern wurden dann vor allem nur noch Partys veranstaltet, wir hatten aber den gemeinsamen Wunsch, diesen Zustand zu verändern. Also haben wir es getan.

Gab es eine bewusste Entscheidung für Neukölln als neuen Standort?

Michael von Fischbach: Nein – also jein. Natürlich war Neukölln ein Stadtteil, in dem wir uns immer vorstellen konnten zu arbeiten und den Club zu betreiben. Ausschlaggebend war dann letzten Endes die Beschaffenheit der Räumlichkeiten, die Location an sich. Dahinter hängt ja ein riesen Organisationsaufwand.

So ein Umzug hört sich in der Tat sehr aufwendig und arbeitsintensiv an. Gab es Schwierigkeiten?

Weber: Auch wenn ich bereits 17 Jahre für das SchwuZ arbeite, musste ich bis dahin noch nie solch einen Aufwand betreiben. Während es in den 70er Jahren kaum ein Problem war, einen Club zu eröffnen, ist das heutzutage ein riesen Akt geworden. Es gibt so viele Amtsgänge und Papierkram zu erledigen. Vom Brandschutz bis zur Hygiene gibt es sehr viele Auflagen, die man erfüllen muss. Wir finden die Auflagen wichtig und gut, aber sie bedeuten einen großen Haufen Arbeit. Wir wussten bis kurz vor Beginn unserer Eröffnungsparty nicht, ob wir eröffnen dürfen.

Marcel Weber, Geschäftsführer des Schwuz.
Marcel Weber, Geschäftsführer des Schwuz.
© Nadine Seidler/Schwuz

Wo lag das Problem?

Weber: Beim Brandschutz. Das ist natürlich wichtig, aber auch mit viel Papierkram verbunden.

v. Fischbach: Wir zitterten tatsächlich bis zum bitteren Ende. Es fühlte sich so an, als säße unser ganzes Team in einem Jumbojet, der unbedingt landen muss, aber der Tower sagt immer wieder: “Nein, ihr könnt noch nicht. Dreht doch nochmal bitte eine Runde”. Das war wirklich nervenzehrend. Wir haben mit Hochdruck gearbeitet und dann hat alles geklappt.

Wie gestaltete sich die Kontaktaufnahme zu den Kiezbewohnern im Rollbergviertel? Gab es Probleme mit dem neuen Club?

Weber: Nein, da gab es keine Probleme. Warum auch? Wir sind ja schon geübt in unserer Nachbarschaftspflege und haben von Anfang an alle Nachbarn freundlich behandelt und stets zu unseren Veranstaltungen eingeladen. Wir haben rechtzeitig alles ins Boot geholt.

Es hat sich nie jemand beschwert?

v. Fischbach: Tatsächlich nicht. Natürlich ist es etwas Neues, wenn im Laufe eines Wochenendes anstatt den üblichen Blaulichtern und dem Streifenwagenlärm (die Polizeiwache liegt direkt neben an) auch 3000 bis 4000 Partybesucher die Straße bevölkern. Aber wir sind offensiv zu unseren Nachbarn gegangen. Direkt am ersten Partywochenende luden wir die Bewohner der nahgelegenen Seniorenwohnanlage zu Kaffee und Kuchen ein. Niemand soll sich zurückgelassen oder übergangen fühlen. Das war ein wunderschönes Bild, als sich die alten Damen und Herren mit unseren Partygästen der Vornacht gemeinsam zum Kaffeeklatsch trafen. Die Tunten im Kleid neben den Rollatorenschiebenden Nachbarn und Nachbarinnen. Das war wirklich bezaubernd zu sehen wie diese zwei Welten zusammenkamen.

Weber: Der Kontakt wird auch bis heute aufrechtgehalten, weil hier alle dazugehören.

Wie schwierig ist es, an das großes Erbe, welches mit der Geschichte des SchwuZ zusammenhängt, anzuknüpfen?

Weber: Was wir machen, ist uns tagtäglich zu fragen, warum Berlin und der Bezirk das SchwuZ brauchen. Wir müssen uns fragen, wie sehen unsere Gegner aus und wie sichtbar oder unsichtbar sind die? Das einiges schief lief und immer noch schief läuft, ist mit einem Blick in die Medien bewiesen. Wir leben immer noch in einer homophoben Gesellschaft, in der eine Partei wie die AfD mit homophober und fremdenfeindlicher Hetze auf Stimmenfang gehen kann. Dagegen muss man kämpfen, darüber muss man reden. Des Weiteren gibt es nicht nur externalisierte Ressentiments in der Gesellschaft, auch in der Szene selbst gibt es genügend Arbeit zu tun und Vorurteile abzubauen. Für derlei Zwecke organisieren wir Diskussionsveranstaltungen und Vorträge.

v. Fischbach: Vielleicht sind wir auch gerade deswegen so auf Diskriminierungen in der Gesellschaft fixiert, weil viele von uns selbst welche erfahren. Wir sind sehr sensibel, was Diskriminierung angeht, und müssen uns daher auch einbringen. Das heißt jedoch nicht, dass nicht auch Schwule, Lesben, oder Transgender Ressentiments hegen, die es abzubauen gilt.

Neben der politischen Arbeit hat man als Clubbetreiber sicherlich noch mehr zu tun.

v. Fischbach: Das Wichtigste meines Tätigkeitsbereichs ist es, Monat für Monat ein neues Programm zu erstellen. Es ist ein großer Organisationsaufwand, sämtliche Acts und DJs zu buchen, zu bewerben und zu betreuen. Man möchte es nicht glauben, aber wir beschäftigen ein Team von über hundert Leuten. Da greift ein Rädchen ins andere.

Michael von Fischbach, künstlerischer Leiter des Schwuz.
Michael von Fischbach, künstlerischer Leiter des Schwuz.
© Tim Wildemann/Schwuz

Auf der Homepage stellt das SchwuZ klar, Diskriminierung jeglicher Art zu ahnden. Nur wer sich an die Regeln hält, wird reingelassen. Was unterscheidet das SchwuZ sonst noch von anderen Clubs?

Weber: Nirgends in Berlin hat man solch eine große Diversität. Egal, ob es die Gäste oder unsere Veranstaltungen betrifft. Von der Musik bis zum Booking – wir bedienen einfach die größtmögliche Bandbreite. Wir sind sehr gesellig, nicht zu hedonistisch oder egoistisch. Soweit ich zurückdenken kann, haben Tunten im Fummel bei uns freien Eintritt.

Für die Uneingeweihten: Was sind Tunten und was ist ein Fummel?

v. Fischbach: Tunten, mhm, ich sage ja immer ganz gerne Damenimitatorinnen.

Weber: Es ist eine selbstgewählte Bezeichnung von Menschen, die sich in der Zeit der West-Berliner Schwulenbewegung politisch engagiert haben. Sie waren die MitbegründerInnen der Schwulenbewegung und haben mit dem Stöckelschuh protestiert. Man sagt ja immer, jede/r darf sein wie er oder sie ist, und wenn dann manche so sind, wie sie sind, will’s doch wieder keiner haben. Die Tunten haben gezeigt, wer sie sind. Ein Fummel ist der Dress, in den sie sich kleiden. Viele Schwule und viele Tunten müssen nach wie vor Gewalt erfahren, wenn sie ihre Sexualität offen zeigen. Bei uns im Club gibt es dieses Problem nicht. Auch heute braucht es immer noch viel Selbstbewusstsein, zu dem zu stehen, was man ist, und sein Ich offen zu zeigen. Unsere Gäste kommen meistens mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Für den Mut, auch in Frauenkleidern und Schminke vor die Tür zu gehen, belohnen wir unsere Gäste gerne. Genauso übrigens auch bei Frauen, die sich wie Männer kleiden – also Dragkings.

Wie soll es mit dem SchwuZ weitergehen?

v. Fischbach: Hoffentlich wird es weiterhin einfach immer besser. Wir hoffen, dass auch in Zukunft immer mehr Leute, die selten in queere Clubs gehen oder noch nie in einem waren, bei uns vorbeikommen und feststellen, dass es hier sehr schön ist.

Weber: Wir machen weiter, bis sämtliche Kategorien aufgehoben wurden und wir alle glückliche Menschen sind.

v. Fischbach: Dann hätten wir sie – unsere queere Utopie.

Das Gespräch führte Torben Lehning. Es ist zuerst auf Neuköllner.net erschienen (auf Facebook geht es hier zu Neuköllner.net, auf Twitter hier).

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