Queer weiß das (29): Coming-out als Erwachsener: Verschenkte Jugend?
Die Kolumne im Queerspiegel: Heteros fragen, Homos antworten. Heute geht es um das Coming-out im Erwachsenenalter
Wenn man erst im höheren Alter feststellt, dass man homosexuell ist, betrachtet man seine erste, heterosexuelle Lebenshälfte dann im Rückblick als Irrtum? Melanie, Gesundbrunnen
Ein Coming-out im Erwachsenenalter scheint viele Heteros sehr zu beschäftigen. Das sieht man schon daran, dass Homosexualität besonders vom Fernsehen anhand von Geschichten thematisiert wird, in denen sich ein Mensch – meist natürlich ein Mann – nach einer langen heterosexuellen Beziehung vom selben Geschlecht angezogen fühlt. Natürlich geht das oftmals nicht ohne Klamauk oder übertriebenes Drama ab. Allerdings geht es auch durchaus einfühlsam, wie der erste Schwulenfilm der DDR, Heiner Carows "Coming out" von 1989 zeigte.
Keine belastbaren Zahlen
Umso überraschender ist es vielleicht, dass es über das späte Coming-out, also wenn sich ein Mensch seiner Homo- oder Bisexualität bewusst wird, nachdem er lange in einer Hetero-Beziehung gelebt hat, keine systematische Forschungen im deutschsprachigen Raum gibt. Das hat zumindest der Lesben- und Schwulenverband im Jahr 2014 im Rahmen einer Studie festgestellt, in der vor allem Familien von sogenannten Spätgeouteten im Mittelpunkt standen.
So bleibt nur zu vermuten, wie Betroffene typischerweise nach ihrem Coming-out auf ihr Hetero-Leben blicken. Mit Sicherheit stimmt die Binsenweisheit, dass es hier, wie so oft, auf den Einzelfall ankommt. Liest man in Online-Foren über das Thema, dann ist dort besonders häufig von Versteckspiel, Zerrissenheit und Gefühlschaos die Rede, aber auch von Erleichterung, wenn es mit dem Offenbaren endlich geklappt hat.
Keiner beschließ von heute auf morgen, homosexuell zu sein
Mit Sicherheit haben diese Menschen glückliche Zeiten erlebt, weshalb es vermessen wäre, ihr bisheriges Leben als Irrtum abzutun. Aber es war vermutlich nicht immer eine unbeschwerte Zeit, weil es Augenblicke der Selbstzweifel und Verdrängung gab. An die erinnert sich vermutlich jeder Homosexuelle während seines Coming-outs, eines Prozesses, der mal befördert, mal behindert wird von der eigenen Persönlichkeit und vor allem vom persönlichen Umfeld. Keiner beschließt ja von heute auf morgen: „Hey, ich bin dann mal schwul“ (oder lesbisch, bi, trans), auch wenn es auf Heteros manchmal so wirken mag. Für den vermeintlich überraschenden Schritt hat es in Wahrheit einen langen, mitunter gar überlangen Anlauf gebraucht.
Und was sagen die lieben Verwandten und Freunde?
Viele Homosexuelle haben ihr Coming-out während der Pubertät, ihr größtes Problem ist dann meist ein offen feindseliges Umfeld. Erwachsenen macht eventuell weniger halbstarkes Gepöbel zu schaffen. Doch die Welt, die für sie zusammenbricht, ist oft ungleich fester gefügt. Wer dann erlebt, dass Familie und Freunde sich abwenden, muss sich tatsächlich fragen, ob nicht doch vieles ein Irrtum war.
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Dieser Text erschien zunächst in der gedruckten Sonnabendsbeilage Mehr Berlin.
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