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"Herstory" zeigt die alltäglichen Probleme von Transpersonen.
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Webserien "HerStory" und "The Outs": So gut können queere Serien sein

Packend erzählt: "HerStory" und "The Outs" sind Gratis-Miniserien im Netz. Sie zeigen hervorragend den Alltag queerer Menschen und könnten so zum Vorbild kommerzieller Produktionen werden.

Die diesjährigen Oscarnominierungen sind wegen ihrer wenig diversen Auswahl zu Recht kritisiert worden. Immerhin hat der Protest schwarzer Filmemacher dazu geführt, dass die Academy nun dafür sorgen will, dass zur abstimmungsberechtigten Mitglieder-Mehrheit der älteren, weißen Männer endlich mehr Frauen und Minderheitenvertreter hinzukommen.

Ein kleiner Schritt, dessen Wirkung sich wahrscheinlich erst auf lange Sicht entfalten wird - aber immerhin. Und vielleicht hilft es dem Oscar ja auch in Sachen LGBTI* etwas auf die Sprünge. Denn für queere Filmfans sind die Nominierungen in diesem Jahr ebenfalls kein Grund, sich auf die Verleihung im Februar zu freuen. So wurde etwa „Carol“ zwar sechs mal nominiert, aber nicht in den wichtigsten Kategorien Bester Film und Beste Regie.

Dass Eddie Redmayne, der letztes Jahr bereits einen Oscar als bester Hauptdarsteller gewonnen hat, für „The Danish Girl“ erneut in dieser Kategorie nominiert wurde, ist ihm zu gönnen. Allerdings wirft seine Nominierung in einer Zeit, in der Transfiguren und Transthemen in Filmen und Serien präsenter als je zu vor sind, auch ein grelles Licht auf den Umstand, dass es vor allem Cis-Schauspieler sind, die von diesem Trend profitiert haben.

In der Kritik: Bisher werden wenige Rollen von Transdarstellern gespielt

Abgesehen von  Ausnahmen wie „Orange Is The New Black“ oder „Tangerine“ werden die entsprechenden Rollen - siehe „Transparent“, „Stonewall“ und demnächst „Zoolander 2“ - nicht mit Transdarsteller/innen gespielt. Wird das kritisiert, heißt es immer, es gäbe einfach keine passenden Schauspielerinnen mit Transerfahrung. Eine ähnliche Abwehrstrategie, wie sie deutsche Quotengegner benutzen, wenn sie auf den angeblichen Mangel qualifizierter Frauen hinweisen.

Hier wie dort lautet die Antwort: Schaut besser hin! Es gibt diese Leute, ihr müsst sie nur suchen. Zum Beispiel im Netz. Dort kann man seit einer Woche die Gratis-Miniserie „HerStory“ sehen, die so gut gespielt, geschrieben und gefilmt ist, dass sie alle Trans-Talent-Zweifler/innen verstummen lassen sollte.

"HerStory" erzählt die Geschichte von befreundeten Transfrauen

Im Zentrum der sechs Kurz-Episoden, die in L.A. spielen, stehen die befreundeten Transfrauen Violet, genannt Vi (Jen Richards), und Paige (Angelica Ross). Vi arbeitet in einer Bar, wo sie der Cis-Lesbe Allie (Laura Zak) auffällt. Diese arbeitet an einem Artikel über Transfrauen und ist auf der Suche nach einer Interviewpartnerin.

Beim ersten Gespräch sowie dem halb in Richtung Date driftenden Interview, zeigt sich Allies große Unsicherheit und Unwissenheit im Umgang mit der einzigen Transperson, die sie bisher kennen gelernt hat.  Doch sie ist offen und will wirklich etwas wissen über die Lebens- und Gefühlswelt von Vi. So kommen sich die beiden langsam näher.

Paige arbeitet als Menschrechtsanwältin, die gerade einen Fall bearbeitet, bei dem eine Transfrau aus einem Frauenhaus geworfen wurde. Auch sie lernt jemanden kennen, wobei  James (Christian Ochoa) keine Ahnung von Paiges Transerfahrung hat - man sieht sie ihr nicht an. Paige sagt erstmal nichts...

„HerStory“ wurde durch Cowdfunding und Gagenverzicht finanziert. Für 100 000 Dollar hat das Team um Regisseurin Sydney Freeland, ebenfalls trans*, eine packende Serie geschaffen. Sie zeigt alltägliche Probleme von Transpersonen, und thematisiert auch die Transphobie in der lesbischen Community. Allies Freundin Lisa (Caroline Whitney Smith) haut immer wieder krasse Sprüche raus (“If a guy wants to throw on a skirt and call himself Veronica, that’s fine. I mean, I don’t think he has to chop his dick off. But I don’t think I have to share a bathroom with him.”) Dass sie es nicht bei verbalen Ausfällen belässt, führt zu einer sehr kritischen Situation für Paige.

Das Filmteam bestand zu 80 Prozent aus Frauen

Am Drehbuch von „HerStory“ haben die Schauspielerinnen Jen Richards und Laura Zak (Vi und Allie) mitgeschrieben. Insgesamt bestand das Filmteam zu 80 Prozent aus Frauen, die Hälfte davon queer oder trans*. Was sicher einen positiven Einfluss auf die sensibel und genaue erzählte Geschichte hatte, deren einziger Schwachpunkt ihre kurze Spieldauer von einer knappen Stunde ist. Dass man sich anschließend sofort eine Langversion wünscht, ist gewollt: Das Ziel der Macherinnen ist, mit der Gratis-Serie die Aufmerksamkeit von Produzenten zu erregen. Gern würden sie „HerStory“ für Netflix oder Amazon umsetzen. Nach dieser eindrucksvollen Bewerbung sollten sich die Anbieter eigentlich um den Stoff reißen.

"The Outs": Das Leben schwuler Twentysomethings in Brooklyn

Die Ex-Freunde Jack (Hunter Canning, links) und Mitchell (Adam Goldman) stehen im Mittelpunkt von "The Outs".
Die Ex-Freunde Jack (Hunter Canning, links) und Mitchell (Adam Goldman) stehen im Mittelpunkt von "The Outs".
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Zugegeben, „The Outs“ ist anders als „HerStory“ nicht ganz neu. Schon 2012 wurde die Serie auf dem Videoportal Vimeo gezeigt - es ist die erste erfolgreiche, crowdfinanzierte queere Webserie überhaupt. Ein Wieder- oder Neusehen lohnt sich dennoch: Nicht nur, weil „The Outs“ noch immer wirkt wie direkt aus dem Leben junger schwuler Großstädter gegriffen. Sondern auch, weil für dieses Frühjahr endlich die zweite Staffel angekündigt ist.

„The Outs“ porträtiert drei Twentysomethings in Brooklyn: Mitchell (gespielt vom Regisseur und Drehbuchschreiber Adam Goldman), seine beste Freundin Oona (Sasha Winters) und seinen Ex-Freund Jack (Hunter Canning). Mitchell und Jack sind nicht im Guten auseinander gegangen, um es vorsichtig auszudrücken; dass Mitchell Jack im Bett mit Oonas damaligen Freund erwischte, der sich bei der Gelegenheit als sexuell recht flexibel erwies, hat die Sache nicht besser gemacht.

Mitchell sucht jetzt erfolglos nach einer neuen romantischen Zweierbeziehung, unterstützt von Oona, die ihrerseits einen eher pragmatischen Zugang zu Männern und deren Neurosen hat. Jack dagegen ist direkt in eine „slutty phase“ übergegangen, wie Mitchell spitz anmerkt. Sprich: Jack nutzt jede Gelegenheit, die schwule Dating-Apps hergeben, aus, und in Brooklyn sind das viele Gelegenheiten. Die erste Folge beginnt denn auch mit einem anonymen Sexdate Jacks - eine Szene, die für eine kommerziellen Serie womöglich zu gewagt wäre und dafür umso adäquater Vorzüge und Merkwürdigkeiten eines Hook-Ups mit einem total Fremden gleichermaßen einfängt.

Schwule New Yorker auf der Suche

Das Schöne an „The Outs“ ist, dass das Datingverhalten Mitchells, Jacks und Oonas zwar als Grundrauschen ständig mitschwingt, daran aber grundsätzliche Fragen verhandelt werden. Kann aus einer Beziehung doch so etwas wie Freundschaft werden, wenn das Vertrauen zueinander zerstört, Vertrautheit aber noch da ist? Welche Beziehungen kann man als Großstädter, dem via Grindr, Gayromeo oder Tinder unzählige potenzielle PartnerInnen quasi wie im Supermarkt angeboten werden, überhaupt führen? Wie wirkt sich unser Privatleben auf den Beruf aus und umgekehrt?

„The Outs“ ist da oft witzig, manchmal melancholisch, nie moralisch und auf jeden Fall sehr ehrlich. Und ähnlich wie „HerStory“ sehr professionell produziert - obwohl das Budget insgesamt sogar nur 25 000 Dollar betrug. Richtig ärgerlich ist auch hier nur, dass nach sieben Folgen – die unterschiedlich lang sind - bereits Schluss ist.

„The Outs“ entstand übrigens auch, weil Regisseur, Darsteller und Drehbuchautor Adam Goldman mit der Repräsentation schwuler Männer im US-Fernsehen unzufrieden war. Serien wie „Modern Family“ oder „The New Normal“ konzentrierten sich damals auf homosexuelle Paare, die dabei sind, ein Kind zu adoptieren - Figuren also, die sich dem heterosexuellen Familienmodell annähern und die so für das Mainstreampublikum vermeintlich leichter als Identifikationsfiguren taugen.

Die Fanbase von "The Outs" ist groß

So einfach macht es „The Outs“ dem nicht-queeren Zuschauer nicht— die Serie ist deutlich fokussierter aus einer schwulen Sicht erzählt, dürfte dem Lebensgefühl vieler Schwuler, zumal in den Metropolen, dafür aber auch viel mehr entsprechen. Die Fanbase von „The Outs“ jedenfalls war und ist bis heute groß. Der Schauspieler Alan Cumming (bekannt unter anderem aus The Good Wife, Spy Kids, Goldeneye) war so begeistert, dass er sich für ein Kurzauftritt in der letzten Folge anbot - ein herrlicher Auftritt, in dem er sich selbst als Sugardaddy spielt.

Immerhin: Zumindest HBO hat inzwischen begriffen, dass Serien aus einer dezidiert queeren Perspektive durchaus erfolgsversprechend seien können. Dort lief in zwei Staffeln „Looking“, konzipiert vom britischen Regisseur Andrew Haigh, dessen Film „45 Years“ im vergangenen Jahr auf der Berlinale lief. „Looking“ variiert das Grundthema von „The Outs“, im Mittelpunkt stehen hier drei schwule Freunde aus San Francisco.

Vimeo hat sich jetzt entschieden, mit „The Outs“  und einigen weiteren Formaten selbst in die Serienproduktion einzusteigen und so mit Netflix oder Amazon als Streaming-Dienst zu konkurrieren. Start der zweiten Staffel soll im Frühjahr sein - diesmal mit einem größeren Ensemble und aufwändiger produziert, aber immer noch ganz nah am Alltagsleben schwuler Großstädter dran.

Dieser Text erscheint auf dem Queerspiegel, dem queeren Blog des Tagesspiegels. Themenanregungen und Kritik gern im Kommentarbereich etwas weiter unten auf dieser Seite oder per Email an: queer@tagesspiegel.de.

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