Die Geschichte hinter "The Danish Girl": Lili Elbe und der Weg zu ihrem wahren Ich
Lili Elbe war die erste Person, die in den 1920er ihr Geschlecht durch eine Operation anglich - mithilfe des Berliner Instituts für Sexualwissenschaft. Was steckt hinter der Geschichte, die der Film mit Eddie Redmayne jetzt erzählt?
1912 ist ein Schicksalsjahr für den Maler Einar Wegener. Er verlässt seine Heimatstadt Kopenhagen und seine Schwester, um nach Paris zu gehen. Dort will er mit seiner Frau Gerda neu beginnen. 18 Jahre später kommt Einar Wegener zurück in seine Heimat: als Frau, Lili Elbe. Eine Frau, der die Schwester nur ein zögerliches Willkommen geben kann: „Sei mir nicht böse, wenn ich dich noch nicht bei deinem Namen Lili nennen kann“, sagt sie, „denn ich suche nur nach meinem Bruder, wenn ich dich ansehe. In deinen Augen, an deinem Mund, an den Händen und deiner Stirn. Ich liebte diese Augen und diese Stirn sehr. Ich küsste diese Stirn so häufig.“
Der Schwester fällt es schwer, einen neuen Menschen in einer so ähnlichen Form zu sehen. Sie denkt, Lili Elbe habe ihren Bruder Einar aus dem Körper verdrängt. Lili selbst kämpft mit dem Gefühl, Einar umgebracht zu haben. Dabei ist Lili als Einar geboren.
Kaufmannskind aus Dänemark, unauffälliger Schüler, dann Kunststudium in Kopenhagen. Dort lernt Einar Wegener Gerda Gottlieb kennen, ein Jahr später die Hochzeit. Gerda beginnt Einar zu zeichnen, immer öfter in Frauenkleidern. Kopenhagen ist schockiert, das Paar zieht nach Paris, Einar nennt sich ab Ende der zwanziger Jahre Lili. Im März 1930 unterzieht sie sich in Berlin einer ersten kosmetischen Operation, im Mai in Dresden einer Transplantation von Ovarien. Am 17. Juni 1931 kehrt sie nach Dresden zurück, um sich ihren größten Wunsch zu erfüllen – den der natürlichen Mutterschaft.
Die erste geschlechtsangleichende Operation der Geschichte
Die Geschichte von Lili Elbe ist die der ersten geschlechtsangleichenden Operationen. Am 7. Januar läuft der Film über ihr Leben, „The Danish Girl“, in deutschen Kinos an. Oscar-Gewinner Eddie Redmayne spielt die Hauptrolle. Regisseur Tom Hooper ("The King's Speech") verkürzt vieles aus der wahren Geschichte und gibt vor allem dem sich wandelnden Verhältnis von Lili und Gerda viel Raum. Das Filmdrama basiert auf dem gleichnamigen Roman von David Ebershoff aus 2001, der sich wiederum aus der nahezu vergriffenen Autobiografie von Lili Elbe speist (hier Auszüge der englischen Fassung).
In den gesammelten Tagebucheinträgen finden sich die für die Epoche wohl genauesten Selbsteinschätzungen einer transidenten Person. Sie berichtet von den Machtkämpfen in ihr, zwischen Einar und Lili. Zwei Menschen lebten in ihrem Körper, schreibt sie. Der Name Lili sei ein Spitzname, den ihr eine Freundin gab, als sie für eines von Gerdas Bildern posierte. Ihren Nachnamen Elbe gibt sie sich erst nach der ersten Operation in Dresden.
Die Machtkämpfe in ihr - zwischen Lili und Einar
Lili Elbe berichtet von den unterschiedlichen Zügen der beiden Persönlichkeiten. Einar war Landschaftsmaler, der „Stürmen widerstehen“ könne, er war solide und fest. Lili wiederum malte überhaupt nicht, sie sei außerdem „sehr oberflächlich“ und anfällig für Heulkrämpfe. Im Februar 1930 dann der Eintrag, dass seine, Einars Zeit nun beendet sei. „Lili wusste das schon lange [...], und deshalb rebelliert sie täglich heftiger.“
So heftig, dass sie sich ein Datum für ihren Selbstmord setzt: 1. Mai 1930. Doch dazu kommt es nicht. Kurt Warnekros, ein renommierter Dresdner Arzt für kosmetische Chirurgie, zeigt ihr einen Weg auf, gibt ihr Hoffnung. Lili Elbe trifft sich mehrmals mit ihm in einem Pariser Hotel, Warnekros vermittelt sie an Magnus Hirschfeld in Berlin.
In Berlin berät Magnus Hirschfeld Lili Elbe
Hirschfeld ist zu dieser Zeit der wohl bekannteste Sexualforscher der Welt. Er hat 1918 das Institut für Sexualwissenschaft im Tiergarten in Berlin gegründet, der damals weltweit wichtigste Ort für Sexualforschung. Hirschfeld organisiert Beratungstreffen für Homo- und Heterosexuelle, Trans- und Intersexuelle, außerdem treffen sich viele der renommiertesten Ärzte und Psychologen der Weimarer Republik im Institut auf Konferenzen.
Im Februar 1930 reist Lili Elbe nach Berlin. Am ersten Tag im Institut führt ein Forensiker Bluttests durch. Sie fallen „eindeutig weiblich“ aus. Am zweiten Tag erklärt Magnus Hirschfeld ihr, dass eine umfängliche Operation nur in der Frauenklinik in Dresden möglich sei. Doch für eine Überweisung in die Frauenklinik müsse Lili eine erste Operation in Berlin durchführen lassen. „Als sicher anzunehmen ist, dass damit eine Kastration (Orchiektomie) gemeint gewesen war“, schreibt die Hirschfeld-Stiftung.
Am 4. März wird Lili Elbe in einer Praxis am Rosenthaler Platz operiert. Die Operation habe selbst die Ärzte verwundert: Lilis Stimme sei nach der Operation “einem Sopran gleich“, und „vom Personal wurde sie als Frau wahrgenommen“, schreibt die Hirschfeld-Stiftung. Lili Elbe reiste nach Dresden.
Im Mai 1930 werden Lili Elbe Ovarien transplantiert
Am 26. Mai 1930 transplantiert Kurt Warnekros Lili Elbe Ovarien – und findet dabei unterentwickelte Ovarien in ihrem Körper. Da sie in ihren Tagebüchern nichts weiter darüber schreibt, lässt sich nur schwer nachvollziehen, ob Lili Elbe – nach heutiger Definition – nicht vielleicht als intersexuell gelten würde, wie manche meinen.
Es ist zu dieser Zeit nicht selbstverständlich, dass eine solche Operation glücklich verläuft. Die Medizin weiß noch sehr wenig über das Immunsystem. Es ist zwar bekannt, dass Organe abgestoßen werden können, aber es gibt kein handfestes Gegenmittel. Lili Elbe aber wird im Juli gesund entlassen, reist nach Kopenhagen, um sich zu erholen.
Die Geschlechtsidentität von Lili Elbe wird in der Zeit nach der Operation auch rechtlich neu festgelegt. König Christian X von Dänemark annulliert die Ehe zwischen Gerda und Einar Wegener, Lili Elbe bekommt einen Reisepass unter ihrem neuen Namen und Geschlecht. Lili Elbe verliebt sich in den Kunstsammler Claude Lejeune; sie haben vor zu heiraten. Gerda heiratet einen italienischen Piloten Fernando Porta, mit dem sie nach Casablanca zieht.
"Ich möchte so gern einmal Mutter werden"
Die Geschichte der ersten geschlechtsangleichenden Operation hätte wohl mit einer versöhnlichen Note geendet, wäre nicht Lili Elbes dringlichster Wunsch noch unerfüllt. "Ich möchte so gern einmal Mutter werden!" schreibt sie in ihrem Tagebuch. Am 14. Juni 1931 kehrte sich nach Dresden zurück, um sich eine Gebärmutter transplantieren zu lassen.
Der Arzt Kurt Warnekros ist nicht von der Notwendigkeit der Operation überzeugt und fordert weitere Untersuchungen an. Am 17. Juni 1931 wird Lili Elbe trotz der Bedenken operiert. Nach der Operation leidet sie unter starken Unterleibsschmerzen, sie hat Ohnmachtsanfälle und wird immer schwächer.
Drei Monate später stirbt sie an den Komplikationen.
Kurz vor ihrem Tod schrieb sie einen letzten Brief: „…Jetzt weiß ich, dass der Tod kommt…ich habe heute Nacht von Mutter geträumt…sie nahm mich in ihre Arme…sie sagte Lili zu mir….und Vater war auch dabei…“.
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