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The Category is... Revolution: Dominique Jackson als Electra in der Netflix-Serie "Pose".
© Netflix

„Weiße Leute ziehen nie ein“: Schwarze, queere Subkultur trifft auf Mainstream

Queere Lebenslust: Die außergewöhnliche Netflix-Serie "Pose" setzt der New Yorker Ballroom-Kultur ein Denkmal. Jetzt ist die zweite Staffel gestartet.

Ein gediegenes Restaurant in den Hamptons, wo die New Yorker Schickeria ihre Sommer verbringt. Das Lokal ist voll mit weißen Menschen in pastellfarbenen Polohemden, die sich flüsternd unterhalten. Ein Tisch jedoch sticht heraus – dort sitzen vier dunkelhäutige Frauen in grellbunten Kleidern, trinken Long Island Ice Teas und führen angeregte Gespräche.

Die Restaurantbesucher mustern sie missbilligend, dann geht eine zu ihnen, um sich über die Lautstärke zu beschweren. „Ich erkenne es, wenn Männer sich als Frauen verkleiden“, raunt sie. Daraufhin baut sich die amazonenhafte Elektra vor ihr auf und erteilt der Frau eine so heftige Ansage, dass sie mit zitternden Lippen an ihren Platz zurückkehrt. Die anderen prosten sich lachend zu.

Dass vier trans Frauen of Color gemeinsam an einem Tisch sitzen und auch noch Spaß haben, war im Fernsehen bisher eher selten zu sehen. Die US-Serie „Pose“, deren zweite Staffel in Deutschland gerade auf Netflix erschienen ist, zeigt queere Lebensfreude wie wohl keine andere Sendung derzeit.

Dabei geht es um viele ernste Themen: Die Aids-Epidemie der 80er und 90er Jahre, homo- und transfeindliche Gewalt, Rassismus, Armut. Aber die queeren Charaktere in „Pose“ sind nicht nur von diesem Leid bestimmt, sie lieben, tanzen, streiten – und gründen ihre eigene, eingeschworene Gemeinschaft in einer feindlichen Welt.

Die Ballroom-Szene wurde in den 1960ern begründet

Schauplatz der Serie ist New Yorks Ballroom-Szene, eine Subkultur, in der sich queere Afroamerikaner und Latinos in sogenannten Familien zusammenfinden. Begründet wurde sie in den 60ern als Reaktion auf den Rassismus in der weißen LGBTI-Community. Die Mitglieder der Ballroom-Szene gehören verschiedenen so genannten Häusern an, die jeweils eine Mutter haben, meist erfahrene Drag Queens oder trans Frauen.

In der ersten Staffel von „Pose“, die 1987 spielt, gründet die trans Frau Blanca (Mj Rodgriguez) nach ihrer HIV-Diagnose ein eigenes Haus, das „House of Evangelista“. Sie nimmt mehrere Kinder auf, darunter die Sexarbeiterin Angel und den obdachlosen Damon, der ein talentierter Tänzer ist.

In sogenannten Balls treffen sich die Familien, um gemeinsam zu tanzen und in verschiedenen Kategorien gegeneinander anzutreten. Die Bälle sind bunte, extravagante Feste queerer Lebenslust und Kreativität. Preise gibt es etwa für den überzeugendsten Runway-Look oder die beste Leistung in dem Tanzstil Voguing. Der ist nach dem berühmten Modemagazin benannt und besteht aus einer schnellen Aneinanderreihung modelartiger Posen.

Mehr als 50 trans Darsteller*innen spielen in "Pose" mit - im Bild Indya Moore.
Mehr als 50 trans Darsteller*innen spielen in "Pose" mit - im Bild Indya Moore.
© Netflix

Die zweite Staffel von „Pose“ springt in das Jahr 1990. Ballroom dringt langsam in den Mainstream vor – ausgelöst durch Madonnas Hit-Single „Vogue“. Blanca ist sich sicher, dass das der große Durchbruch ist, von dem ihre Kinder profitieren werden. Während der Voguing-Trend voll im Gange ist, wütet auch die Aids-Epidemie immer weiter. Die Krankenschwester Judy und Pray Tell, Moderator der Balls und selbst HIV-positiv, unterhalten sich auf einer Beerdigung darüber, dass beide schon auf hunderten Trauerfeiern waren. „Wer als erstes die 1000 schafft, gewinnt einen Toaster“ scherzt Judy.

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Ballroom ist die glitzernde Kulisse von „Pose“, doch im Kern geht es immer um Familie. Die hat hier nichts mit Blutsverwandtschaft zu tun, sie ist selbstgewählt. Menschen übernehmen füreinander Verantwortung, sind Mütter, Schwestern, Brüder, die sich gegenseitig schützen und aufbauen. Der Mix aus Drama, Politik, Humor und Glamour machen „Pose“ zu einer außergewöhnlichen Serie, auch wenn die Dialoge manchmal etwas hölzern sind und einige Handlungsbögen allzu didaktisch daherkommen.  

Der Cast von "Pose" ist revolutionär

Aufgefangen werden diese Schwächen im Drehbuch von der nuancierten Darstellung der Schauspielerinnen und Schauspieler. Der Cast von „Pose“ ist revolutionär. Noch nie spielten so viele trans Personen Hauptrollen in einer Serie, insgesamt wirken über 50 trans Schauspielerinnen und Schauspieler mit.

Billy Porter gewann für seine Rolle als Pray Tell einen Emmy für die beste Hauptrolle - als erster offen schwuler Afroamerikaner. Auf dem roten Teppich sorgt er regelmäßig mit seinen eleganten Roben und extravaganten Auftritten für Aufsehen. Die Show schafft für queere Personen of Color eine nie dagewesene Sichtbarkeit.

Billy Porter gewann für die Rolle des Pray Tell einen Emmy - als erster offen schwuler schwarzer Schauspieler.
Billy Porter gewann für die Rolle des Pray Tell einen Emmy - als erster offen schwuler schwarzer Schauspieler.
© REUTERS/Monica Almeida/File Photo

Im Gegensatz zu vielen anderen Produktionen geht es bei „Pose“ auch hinter der Kamera divers zu. Der Serienmacher Steve Canals, selbst queer und schwarz, kämpfte jahrelang darum, das Projekt zu realisieren. Unterstützung fand er schließlich in Ryan Murphy und Brad Falchuk, die unter anderem „American Horror Story“ zusammen kreierten. Die drei stellten ein diverses Team zusammen. Mit dabei sind Janet Mock und Our Lady J, die selbst trans sind. Mock ist die erste trans Frau of Color, die bei einer Fernseh-Episode das Drehbuch schrieb und die Regie führte.

Mit der Madonna-Storyline greifen die Macher von „Pose“ eine aktuelle Entwicklung auf. Denn Ballroom und Voguing sind gerade so angesagt wie zuletzt 1990. Verantwortlich dafür ist diesmal unter anderem die weltweit erfolgreiche US-Reality-Show „RuPaul’s Drag Race“, in der Drag Queens gegeneinander antreten. In der Sendung finden immer wieder Balls statt, Voguing gehört zum festen Repertoire vieler Queens.

Voguing ist wieder angesagt wie zuletzt 1990

Die Show läuft in Deutschland auf Netflix, genau wie der Dokumentarfilm „Paris is Burning“, der 1990 Premiere feierte. Er gab der Welt erstmals einen Einblick in die New Yorker Ballroom-Kultur der 80er Jahre. Der Film ist die Grundlage von „Pose“, viele Charaktere und Handlungsstränge sind von ihm inspiriert.

Inzwischen voguen Künstlerinnen wie Rihanna, Beyoncé oder FKA Twigs in ihren Auftritten, Romane wie „Das Haus der unfassbar Schönen“ von Joseph Cassara spielen in der Welt des Ballroom. Auch in Berlin ist die Subkultur angekommen. Viele Tanzstudios bieten Voguing-Kurse an, im HAU, in der Berghain-Kantine oder im Kreuzberger Südblock finden regelmäßig Balls statt.

Was passiert mit schwarzer, queerer Subkultur im Mainstream?

„RuPaul’s Drag Race“ wird gerade als „Queen of Drags“ für das deutsche Fernsehen adaptiert. Am 14. November läuft die erste Folge auf ProSieben. Statt einer schwarzen Drag Queen wie RuPaul sitzt dort neben Bill Kaulitz und Conchita Wurst allerdings Heidi Klum in der Jury. Eine Entscheidung, die in der Community große Empörung ausgelöst hat und Fragen nach kultureller Aneignung aufwirft.

Was passiert, wenn eine schwarze, queere Subkultur vom Mainstream aufgegriffen wird? Wer profitiert davon, wer bleibt außen vor? In „Pose“ jedenfalls werden Blancas Hoffnungen enttäuscht. Der durch Madonna ausgelöste Hype ebbt nach einer Weile ab, die Community ist wieder unter sich. Es kommen kaum noch Menschen zu Damons Voguing-Kurs, mit dem er seinen Lebensunterhalt verdient. Stattdessen wollen die meisten nun den MC-Hammer-Tanz lernen, erklärt die schwarze Studiobesitzerin dem jungen Tänzer.  „Weiße Leute mögen es, zu Besuch zu kommen, aber sie ziehen nie ein.“

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