Kritik an "Queen of Drags": Pro7 kündigt Drag-Show mit Heidi Klum an - die Aufregung ist groß
Zehn Drag Queens sollen in eine Villa einziehen. Heidi Klum wird diesen jede Woche Aufgaben stellen. Kann das funktionieren?
Die erste Petition gibt es schon. Die Berliner Drag Queen Margot Schlönzke sucht auf der Plattform Change.org Unterstützung für ihr Anliegen: Heidi Klum soll bitte nicht die Moderatorin der ProSieben-Show „Queen of Drags“ werden. Über 750 Menschen haben schon auf der Petitionm unterschrieben, für die auch der Drag-Performer Ryan Stecken verantwortlich zeichnet. Auch in den Sozialen Medien herrscht vor allem: Verärgerung.
Doch worum geht es eigentlich? Am Mittwoch kündigte ProSieben an, eine neue Reality-Show zu produzieren, die im Winter 2019 ausgestrahlt wird. In „Queen of Drags“ sollen zehn Drag Queens in eine Villa einziehen. Heidi Klum als Moderatorin wird diesen dann, zusammen mit den Juror*innen Bill Kaulitz und Conchita Wurst, jede Woche Aufgaben stellen. Am Ende bleibt eine Drag Queen übrig, die „Queen of Drags“ eben.
Dieses Reality-Format kennt man in Deutschland vor allem von „Germany's Next Top Model“, dem Heidi Klum ebenso ihr Gesicht verleiht. In den USA allerdings ist die große Vorlage „RuPaul's Drag Race“. Bereits die elfte Staffel dieser Serie lief kürzlich im amerikanischen Sender VH1 – in Deutschland können die ersten zehn Staffeln auf Netflix angeschaut werden.
Die große Vorlage ist "RuPaul's Drag Race"
Die Aufregung um die Personalie Heidi Klum lässt sich vor allem an der Personalie RuPaul erklären. Denn RuPaul ist selbst eine Drag Queen. Dazu eine, die schon seit vielen Jahren im Geschäft ist. Die mit Musik, Talkshows, aber auch politischen Botschaften der Drag-Szene in den USA ein prominentes Gesicht gegeben hat – dem dann viele weitere Gesichter folgten.
„RuPaul’s Drag Race“ ist eine Show, die von queeren Menschen für queere Menschen gemacht wird. LGBTI-Performern wird hier ein Rahmen geboten, in dem sie sich zeigen können, ein Ort, der ihnen eine Bühne sein kann – für ihr Talent. Drag Queens hatten in den Medien lange Zeit die Funktion, als Freaks aufzutreten. Als Ziel für Belustigung und Schadenfreude. Doch „RuPaul’s Drag Race“ hat den Blick umgedreht: Hier schaut nicht die heteronormative Gesellschaft amüsiert auf queere Menschen, hier persiflieren die Queers selbst die Geschlechterrollen.
Pro 7 scheint das Konzept von Drag nicht zu verstehen
Und das vor Millionen von Zuschauern. Drag bedeutet, Geschlecht nicht ernst zu nehmen. Es wird überzeichnet – der Mund, die Augen, die Hüften. Es wird dekonstruiert – wie sich ein Mann, wie sich eine Frau zu benehmen hat. Es ist die Darstellung dieser Rollen, ohne jede Grenze. Die Perücke wird um drei weitere Perücken erweitert, um Haare bis zum Himmel zu kreieren. Die Normen unserer gesellschaftlichen Geschlechter verschwinden darunter.
Zunächst kann es daher als erfreuliche Entwicklung gesehen werden, dass auch in Deutschland ein TV-Drag-Format startet. Dass queeren Künstlern Sichtbarkeit gegeben wird. Doch scheint Drag in der Konzeption dieser Sendung nicht verstanden worden zu sein. Drag bedeutet auch: Dekonstruktion, kreativer Ausdruck, der aus der queeren Szene heraus entstanden ist, für Unterhaltung ebenso genutzt wird wie für Protest, für politischen Aktivismus. Der männlichen Angst vor dem Weiblichen wird hier der bizarr überschminkte Mittelfinger gezeigt.
„So hast du zu sein!“
Und genau diesem Drag soll in Deutschland nun Heidi Klum medial vorstehen? Die Frau, die mit „Germany’s Next Top Model“ genau das Gegenteil tut, nämlich jungen Frauen sagt: „So hast du zu sein!“ Entweder hat ProSieben also das Konzept dieser jahrhundertealten Kunstform nicht verstanden – oder aber, man schert sich nicht um dieses Erbe, sondern möchte auf einen Zug aufspringen, der auch in Deutschland langsam in Fahrt kommt.
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Im Vereinigten Königreich und Thailand gibt es bereits offizielle Ableger von „RuPaul’s Drag Race“. Die Möglichkeit, der Franchise auch hier eine Sendung zu geben, hätte also bestanden. Doch ProSieben betont, dass man ein eigenes Format machen wolle – da die Folgen von „Gemany’s Next Top Model“, in denen Drag Queens aufgetreten waren, so gut angekommen seien. Auf Anfrage des Tagesspiegels, ob RuPaul denn nicht kontaktiert wurde, verwies man lediglich auf eine Pressemitteilung mit oben genannter Aussage.
Wie auch Margot Schlönzke in ihrer Petition schreibt: Talente gäbe es in Deutschland genug. Gerade Berlin hat eine reiche Drag-Szene. Das mögen dann zwar nicht so medial erprobte und glattgezogene Gesichter und Charaktere sein wie Heidi Klum. Doch wäre sowohl dem deutschen Fernsehen als auch der deutschen Drag-Szene damit ein großer Gefallen getan worden, queeres Leben durch die Augen von queeren Menschen zu zeigen. Eine queere Narration, die nicht immer wieder der normalisierenden Einordnung einer Heidi Klum bedarf. Das wäre Drag. Das würde Deutschland wirklich bereichern.
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