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Unser Autor: Der Buchblogger Linus Giese.
© Privat/Bob Sala

Trans* in Berlin: Mein neues Leben als Linus

„Ich möchte ein Mann sein“: Darüber traute sich unser Autor bis vor kurzem nicht zu reden. Doch mit einem Besuch bei Starbucks änderte sich alles – mit positiven wie negativen Folgen.

„Mein langer Weg zur glücklichen Stone Butch“ - es ist mehr als vier Monate her, dass ich unter diesem Titel einen Artikel im Queerspiegel veröffentlichte. Geschrieben habe ich damals einen Text, der mich viel Kraft und Mut kostete, und bei dem ich doch wusste, dass er nur die halbe Wahrheit offenbart. Vor vier Monaten habe ich allen erzählt, dass ich Mara bin: eine lesbische Butch, mit Brüsten, einer glücklichen Partnerschaft - und einem Geheimnis. Dieses Geheimnis lag wie ein tonnenschwerer Brocken auf meiner Brust und ich sprach mit niemandem darüber. Nur manchmal, wenn ich alleine vor dem Spiegel stand, sagte ich: ich möchte ein Mann sein, ich bin ein Mann – nur wem ich das erzählen könnte, das wusste ich nie.

Dass ich eigentlich ein Junge sein möchte, weiß ich, seitdem ich sechs Jahre alt bin. Als ich heranwuchs brachte ich diesen Jungen jedoch zum Schweigen – er musste verschwinden, weil er mich in Schwierigkeiten brachte und weil ich spürte, dass sich andere vor ihm ekelten. In all den Jahren war er immer da, irgendwo tief in mir vergraben: doch die Befürchtung, dass meine Eltern, meine Partnerin, meine Freunde und Freundinnen, meine Arbeitskollegen und –kolleginnen oder auch die Leser und Leserinnen meines Blogs, diesen Jungen nicht akzeptieren könnten, hat mich schweigsam, ängstlich und beschämt werden lassen.

Jeder Blick in den Spiegel war eine Qual

Jeder Blick in den Spiegel war eine Qual, mein Körper hat sich falsch angefühlt, meine Kleidung hing wie etwas Fremdes an mir und meine Frisur habe ich gehasst. Aber in all den Jahren habe ich nicht gewusst, dass ich dieser Junge sein darf, dass das, was ich mir wünsche, tatsächlich erlaubt ist – und von niemandem bestraft wird.

„Hallo, ich heiße Linus“ sind vier Worte, bei denen ich mir vor vier Monaten nicht einmal vorstellen konnte, sie jemals laut aussprechen zu können. Jetzt sage ich diese vier Worte fast täglich. Häufig wird aus diesen vier Worten sogar ein ganzer Satz und ich sage: „Hallo, ich heiße Linus und ich bin trans.“

Es war in einer Starbucks Filiale in Frankfurt als ich zum allerersten Mal den Namen sagte, den ich mir schon so lange für mich selbst wünsche. In fast allen Starbucks-Filialen wird man ja nach dem Namen gefragt, damit es später keine Verwechslungen gibt. An diesem Tag war meine Antwort Linus – ich erinnere mich noch ganz genau an die Situation, ich war sehr aufgeregt und habe fast vergessen, was ich eigentlich bestellen wollte, aber für mich hat sich etwas noch nie so passend angefühlt, wie in diesem Moment.

Seit Anfang November lebe ich als Linus in Berlin

Seitdem hat sich mein Leben von Grund auf geändert: Seit Anfang November lebe und arbeite ich als Linus in Berlin. All das, vor dem ich so große Angst hatte, ist nicht eingetreten. Für mich war der Wunsch ein Mann zu sein mit so starken Gefühlen der Angst, der Scham und des Ekels besetzt, dass ich lange Zeit das Gefühl hatte, ein schmutziges Geheimnis zu bewahren und dass mich all die Menschen, die ich liebe, verlassen könnten, sobald ich es offenbare. Nachdem ich meinen Namen im Starbucks sagte, entschied ich mich dazu, ihn auch im Internet zu sagen.

Was für manche Menschen vielleicht befremdlich erscheinen mag, war für mich nur folgerichtig: für mich ist das Internet ein überlebenswichtiger Ort, ein Ort, an dem ich viele Jahre lang als Bloggerin über Bücher sprach – und viele Freundschaften knüpfte. Ich erinnere mich noch, wie ich den Becher mit meinem neuen Namen auf meinen sozialen Kanälen gepostet habe, ich habe vorher noch nie so schlimm gezittert und geweint. Und ich erinnere mich noch an die überwältigenden Glücksgefühle, die einsetzten, als ich die ersten Kommentare erhielt: „Lieber Linus, ich finde deinen Schritt unglaublich mutig und sehr richtig!“.

Die Glücksgefühle, die ich verspüre, wenn ich mit meinem neuen Namen angesprochen werde, haben auch zwei Monate später immer noch nicht nachgelassen. Wenn ich an mein Coming-Out zurückdenke, dann denke ich vor allem daran, dass Jahre der Angst und der Scham von einem überwältigenden Gefühl des Glücks und der Befreiung abgelöst wurden. Wenn ich heute den Becher in die Hand nehme, dann sehe ich diesen zitternden und weinenden Menschen vor mir und bin so stolz auf ihn, dass er sich getraut hat, diesen Schritt zu gehen – einzig und allein angetrieben von der Hoffnung, dass bitte niemand vor ihm weglaufen wird.

Ein tägliches Coming-Out

Der größte Unterschied zwischen meinem neuen Leben als Transmann und meinem alten Leben als lesbische Frau, ist die Tatsache, dass ich mich nun immer wieder offenbaren muss. Irgendwo habe ich gelesen, dass ein Coming-Out wie duschen sei – man muss es immer wieder tun. Ich erlebe fast tagtäglich Situationen – beim Arzt, beim Frisör, im Umgang mit Fremden – in denen ich mich gezwungen sehe, zu erklären, warum ich Linus heiße und warum ich gerne mit männlichen Pronomen angesprochen werden möchte. Nicht jeden Tag habe ich die Kraft dafür; häufig fehlt sie mir, um mein Gegenüber zu korrigieren, wenn ich als Frau gelesen werde – was momentan noch sehr häufig geschieht.

Vor allem bei meiner Arbeit als Buchhändler erlebe ich tagtäglich Situationen, in denen Kunden und Kundinnen nicht einordnen können, welches Geschlecht ich habe. Es kostet Kraft und schmerzt mich jedes Mal, wenn ich misgendered werde. Auch wenn es eine Selbstverständlichkeit sein sollte, habe ich dennoch das Gefühl, sehr dankbar zu sein, einen so verständnisvollen Arbeitgeber zu haben, der es mir ermöglicht, tagtäglich als Linus in der Buchhandlung zu stehen – ohne, dass ich mich dafür erklären oder rechtfertigen muss. Beworben hatte ich mich in der Buchhandlung noch unter meinem alten Namen – als meine neue Chefin sah, dass ich mich im Internet Linus nenne, bot sie mir an, auch als Linus in der Buchhandlung anzufangen.

Ich glaubte nie, auf so viel Verständnis zu stoßen

Was auch immer ich mir vor meinem Outing ausgemalt habe, ich glaubte nie, auf so viel Verständnis und Entgegenkommen zu stoßen – auf so viel Bereitschaft, sich einer Situation zu stellen, die noch nicht alltäglich ist. Und auch wenn ich weiß, wie glücklich ich mich schätzen kann, dass meine Arbeitskollegen und –kolleginnen so unterstützend sind, können auch sie nicht immer und in jeder Situation begreifen, was das alles für mich bedeutet und welcher Weg noch vor mir liegt.

Neben all den positiven Reaktionen, erlebe ich aber auch immer wieder Momente der Zurückweisung und des Unverständnisses. Für die Neue Osnabrücker Zeitung sollte ich eine Besprechung zu Darling Days veröffentlichen – den Jugenderinnerungen des Trans-Autors und Künstlers iO Tillett Wright. Mein Wunsch, den Beitrag unter dem Namen Linus Giese publizieren zu dürfen, wurde von meinem Redakteur mit der Begründung abgelehnt, dass dies nicht mein amtlicher Name sei – es sollte um die Buchkritik gehen, nicht um meine persönliche Thematik.

Beim Frisör kein Herrenschnitt - ich sei doch eigentlich eine Frau

Ebenso schmerzhaft war es für mich, als ich erfahren habe, dass jemand in einer Buchhandlung alle Cover von Darling Days zerstörte – die Bücher lagen dort aus, weil ich den Titel für einen Bloggertisch empfehlen durfte. Auch in ganz banalen Alltagssituationen erlebe ich immer wieder Momente, in denen ich nicht akzeptiert werde – zuletzt, als ich beim Frisör saß und keinen Herrenschnitt bekam, weil ich doch eigentlich eine Frau bin.

Trotz dieser Erlebnisse, waren mein Coming-Out und die Entscheidung, als Linus zu leben, die beste Entscheidung, die ich treffen konnte. Das einzige, das ich bereue, ist die Tatsache, dass ich mich so spät getraut habe. Zwischen der Gewissheit ein Junge zu sein und dem Mut, den ich nun habe, Linus zu sein, liegen ganze fünfundzwanzig Jahre. Was ist in der Zwischenzeit passiert? Warum hat es so lange gedauert, bis ich diese Gewissheit wiedergefunden habe? Wie sollte ich auf die verstrichene Zeit zurückblicken? Wie fülle ich die Tatsache mit Sinn, dass ich fünfundzwanzig Jahre verloren habe, in denen ich mich mit einem Körper gequält habe, mit dem ich mich nie wohl fühlte? So vieles fühlt sich nun besser und richtiger an, ich fühle mich offener, glücklicher und selbstbewusster und es fällt mir deutlich leichter Kontakte zu knüpfen – dadurch, dass ich mein Schweigen endlich gebrochen habe, haben sich bisher nur Türen geöffnet, nicht geschlossen.

Niemand sollte Angst, Scham oder Ekel empfinden müssen

Nur eine Sache wird nie so sein, wie ich mir das wünsche: da wo meine Eltern sein sollten, ist eine riesige Leerstelle, die sich wie eine schmerzhaft klaffende Wunde anfühlt. Gerade jetzt in der Weihnachtszeit wünschte ich mir sehr, ein Zuhause zu haben, in das ich als Linus zurückkehren dürfte – denn tief in mir drinnen, bin ich immer noch der beschämte, ängstliche Junge, der sich einfach nur wünscht, von seinen Eltern in den Arm genommen zu werden und für das geliebt zu werden, was er ist.

Mein Bedürfnis diesen Text zu schreiben und der Wunsch, so offen wie möglich über meine Geschlechtsidentität zu sprechen, liegt auch darin begründet, dass ich mir wünsche, der nächsten Trans-Generation ersparen zu können, was ich erleben musste: niemand sollte Angst, Scham oder Ekel empfinden müssen und niemand sollte mit den eigenen Wünschen und Bedürfnissen allein gelassen werden.

Der Autor schreibt regelmäßig auf seinem Blog "Buzzaldrins Bücher" über Literatur und seine persönlichen Erfahrungen.

Mehr LGBTI-Themen finden Sie auf dem Queerspiegel, dem queeren Blog des Tagesspiegels.

Linus Giese

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