Brandenburg an der Havel: Erste Konferenz für LGBT-Flüchtlinge
Weil sie homosexuell sind, fliehen viele aus ihrer Heimat. In Deutschland werden sie wegen ihrer sexuellen Orientierung erneut angefeindet, so auch Alisa Kudriavtceva. Sie hat deshalb mit Paul Fischer-Schröter eine Konferenz für queere Flüchtlinge organisiert.
Als Fotos von Alisa Kudriavtceva mit ihrem Namen in ihrer Wohngegend hängen und sie als pädophil denunziert wird, weiß sie, dass sie spätestens jetzt nicht mehr sicher ist in Sankt Petersburg. Die lesbische Frau packt ihre Sachen und macht sich auf den Weg nach Westeuropa, nach Deutschland - dorthin, was viele Russen als "Gayropa" bezeichnen. Zuvor hatte sie im ersten offiziellen lesbischen Club von Sankt Petersburg gearbeitet, sie war sehr gut vernetzt in der russischen LGBT-Szene.
Trotz Diskriminierung lebte sie gerne in ihrer Heimat, ihre Familie und Freunde sind schließlich dort. Doch nach der Verabschiedung des Gesetzes gegen "Homosexuelle Propaganda" 2013 in Russland wurde sie immer häufiger angefeindet. Als sie auch noch öffentlich an den Pranger gestellt wurde, floh sie. "Für sie war und ist der Weggang eine Flucht, denn Leib und Leben waren und sind bedroht", sagt Paul Fischer-Schröter, der mit Alisa Kudriavtceva befreundet ist.
Das ist jetzt ein Jahr her. Über das Brandenburger Erstaufnahmelager in Eisenhüttenstadt kam die 29-Jährige schließlich nach Brandenburg an der Havel, wo sie wegen ihrer sexuellen Orientierung erneut von einem Mann beleidigt wurde. Er drohte ihr Schläge an. In einem Internet-Café lernte sie Paul Fischer-Schröter kennen. Er half ihr, ein WG-Zimmer in der Havelstadt zu finden.
Erfahrungen weitergeben und ermutigen
Zusammen haben sie für die kommenden drei Tage eine LGBTI-Konferenz für Flüchtlinge organisiert. "Die Idee hatte Alisa", sagt Paul Fischer-Schröter, "wir sprachen während einer Autofahrt darüber und ich sagte: ,Wir machen das jetzt einfach'." Das war im August letzten Jahres. Nun wird von Freitag bis Sonntag mit Hilfe zahlreicher Unterstützer wie der Linken in Brandenburg, dem Asta Potsdam, dem Brandenburger Sozialministerium, der Potsdamer Aids-Hilfe und dem GLADT e.v. die erste Brandenburger "Refugee-LGBTI-Conference" in den Räumlichkeiten der Jugendkulturfabrik Brandenburg stattfinden.
Alisa Kudriavtceva will sich mit anderen queeren Flüchtlingen austauschen und vernetzen und sie will ihre bisher gesammelten Erfahrungen in Unterkünften und auf deutschen Ämtern weitergeben - über das Asylverfahren, Antragsstellung auf dem Sozialamt, wie man mit Diskriminierung umgeht.
Für die Podiumsdiskussionen und Workshops haben sich 70 Personen angemeldet, darunter 50 Geflüchtete. Sie kommen hauptsächlich aus Russland, Armenien und Aserbaidschan. Länder, in denen Homosexualität nicht unter Strafe steht, wo es aber kein Anti-Diskriminierungsgesetz gibt und wo Menschen wegen ihrer sexuellen Identität bedroht und verfolgt werden.
Im Land Brandenburg sind laut Sozialministerium zurzeit rund 23 000 Asylsuchende in den Kommunen untergebracht (Stand März). Davon leben 10 000 Menschen in Gemeinschaftsunterkünften, 4200 in Wohnungsverbünden, 5300 in Wohnungen und 3000 in Notunterkünften. Wie viele Flüchtlinge davon LGBTs sind, weiß niemand. Aus Angst sprechen Betroffene nur selten darüber. "Uns sind zehn Personen im Land bekannt", sagt Paul Fischer-Schröter. In der Havelstadt leben fünf geflüchtete LGBTIs, darunter auch Alisa. Aus Sicherheitsgründen wohnen die anderen vier auch in einer Wohnung und nicht in großen Unterkünften. "Dort sind sie häufig Diskriminierungen ausgesetzt, denn Homosexualität ist in vielen Herkunftsländern der Geflüchteten ein Problem."
Die Geflüchteten erleben verbale und körperliche Gewalt
Für lesbische, schwule, bisexuelle und transidente Flüchtlinge gibt es in der Region unter anderen die Schwulenberatung, LesMigras und den Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg. Das MILES-Projekt des LSVD richtet sich gezielt an hilfesuchende Migranten und Flüchtlinge. So registrierte der LSVD allein von August bis Dezember letzten Jahres 95 Fälle von verbaler und körperlicher Gewalt gegenüber homo- und transsexuellen Flüchtlingen aufgrund der sexuellen Orientierung. Im Februar wurde deshalb auch die erste Unterkunft nur für LGBT-Flüchtlinge in Treptow eröffnet. Erst vor wenigen Tagen mussten homo- und transsexuelle Flüchtlinge woanders untergebracht werden, weil in einer Unterkunft in Berlin-Friedenau nicht für ihre Sicherheit garantiert werden konnte.
Dass auch im Land Brandenburg queere Flüchtlinge von Mitbewohnern in Heimen angefeindet werden, ist dem Sozialministerium mit Ministerin Diana Golze (Linke) grundsätzlich bekannt, sagt Paul Fischer-Schröter. Bisher gebe es aber keine konkreten Pläne für eine separate Unterbringung von geflüchteten LGBTs. Mit der Konferenz wollen sie die Debatte um eine eigene Einrichtung weiter vorantreiben. Paul Fischer-Schröter und seine Mitstreiter würden es begrüßen, wenn in den kommenden Monaten eine Unterkunft in Potsdam entstehen würde, wo es eine recht große Community gibt.
Denn gerade auch der Austausch mit Gleichgesinnten und moralische Unterstützung sind enorm wichtig, wenn man als Flüchtling versucht, ein neues Leben aufzubauen. Auch diese Erfahrungen will Alisa Kudriavtceva auf der dreitägigen Konferenz weitergeben. Sie hatte im April 2015 ihren Asylantrag gestellt. Die junge Frau wartet immer noch auf einen Interviewtermin bei der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Eisenhüttenstadt.
Die Konferenz für LGBTI-Flüchtlinge findet in der Jugendkulturfabrik Brandenburg, Magdeburger Str. 15, in Brandenburg an der Havel, von Freitag bis Sonntag statt. Zum Abschluss der Konferenz wird es am Sonntag ab ca. 13.00 Uhr eine Pride Parade durch die Brandenburger Innenstadt geben, Treffpunkt Neustadt Markt.
Mehr LGBTI-Themen finden Sie auf dem Queerspiegel, dem queeren Blog des Tagesspiegels. Themenanregungen und Kritik gern im Kommentarbereich etwas weiter unten auf dieser Seite oder per E-Mail an: queer@tagesspiegel.de.
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