Coronavirus legt ganze Städte lahm: Wie Chinesen mit dem Leben unter Quarantäne umgehen
Manche machen Sportübungen, andere schreiben oder meditieren: In China sind Millionen von Menschen isoliert von der Außenwelt. Ein Einblick in ihren Alltag.
24, 25, 26 so viele Klappmesser macht Gao Ge. Er ist fünf und seine Mutter schickt die Videos seiner täglichen Sportübungen in die WeChat-Gruppe mit 60 anderen Eltern der Klasse. Wie seine Klassenkameraden, hat er seit dem Ausbruch des Coronavirus keinen Fuß mehr vor die Tür gesetzt. Dabei lebt er nicht in der elf Millionen Metropole Wuhan, in der das Coronavirus seinen Ursprung auf einem Wildtiermarkt fand, sondern 996 Kilometer entfernt in der Provinz Guangdong.
Auch hier haben die Behörden strenge Quarantänemaßnahmen durchgesetzt, um das neuartige Coronavirus einzudämmen. Während andere Kinder aus seiner Klasse nun auch anfangen, täglich zu Hause Übungen zu machen, während ihre Eltern diese dann mit den Eltern der anderen Klassenkameraden teilen, verteilt die Lehrerin Frau Li über die WeChat-Gruppe Hausarbeiten: Experimente, Übungen, kleine Projekte und andere Aufgaben, die die Eltern mit ihren Kindern zu Hause erledigen sollen.
Das Frühlingssemester ist verschoben
Es sind nicht nur die Videos der jüngeren Kinder, für die es derzeit sicherlich am schwierigsten ist, die vier Wände nicht verlassen zu können und sich den ganzen Tage zu Hause beschäftigen zu müssen. Es sind Koch-, Ratgeber-, Spaßvideos, die in den sozialen Netzwerken kursieren aber auch Sport- und Sprachkurse, die nun online regen Zulauf finden, seit die zweitgrößte Volkswirtschaft angehalten ist zu Hause zu bleiben, um eine Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern.
Bis zu 180 Millionen chinesische Studenten, Primär-, Sekundar- und Tertiärschüler sind zu Hause oder können nicht nach Hause reisen. In China sollte das Frühlingssemester ursprünglich am 17. Februar beginnen, wurde jedoch auf unbestimmte Zeit verschoben. Als Reaktion darauf versuchen chinesische Institutionen, massiv auf Online-Bildung umzusteigen.
Die WHO lobt China
Während viele Menschen anfangs frustriert auf die Isolierungen aufgrund des Coronavirus reagiert haben, bleibt die Mehrzahl relativ besonnen und zeigen Verständnis für die ständig wechselnden Maßnahmen der Behörden. Sogar die Weltgesundheitsorganisation lobt die "außergewöhnliche Mobilisierung" Chinas. Der Chef der gemeinsamen Corona-Einsatzgruppe der WHO und Chinas, Bruce Aylward sagte nach seiner Rückkehr aus China: "China weiß, wie Menschen am Leben erhalten werden."
Charlotte Hong schreibt viel für Magazine, Blogs oder Onlinemedien über Reisen, Essen oder Alltagsthemen. Seit mehr als zwei Wochen sitzt sie zu Hause und verlässt nur ganz selten die Wohnung. Sie erzählt, dass sie nun keine Angst mehr hat zu Hause zu arbeiten. „Das ist neu für mich, dass ich von zu Hause arbeiten kann und das Kind ist auch da“, sagt die 40-Jährige in Peking.
Nebenbei ist sie zur Englischlehrerin ihrer Tochter geworden und hilft ihrer Schwester für einen Hund zu sorgen, dessen Besitzer aufgrund der Zwangsquarantäne in einer anderen Stadt festsitzen und vorerst nicht mehr zurück können.
Die Menschen sind näher zusammengerückt
Das Ehepaar Yang aus Wuhan etwa freuen sich über den guten nachbarschaftlichen Zusammenhalt in dem Wohnbezirk, in dem sie schon seit Jahren wohnen. „Man kann man sich etwas vom Nachbarn mitbringen lassen, oder einen Fahrdienst nutzen, der Leuten zur Verfügung gestellt wird, die über kein Fahrzeug verfügen, aber irgendwo hin müssen“, erzählen sie über WeChat.
Seit dem 23. Januar ruht in der elf Millionen Metropole Wuhan der öffentliche Nahverkehr und man kann nur noch beschränkt mit privaten PKWs fahren.
Die Gesundheitskrise scheint die Menschen näher zusammengebracht zu haben, ob auf der familiären oder gesellschaftlichen Ebene. Manche Stimmen sagen sogar, dass der Zeitpunkt des Coronavirus insofern ein „gutes Timing“ war, weil die Menschen für die Neujahrsferien bei ihren Familien waren und so endlich viel Zeit miteinander verbringen.
Viele klagen zwar auch über Streitigkeiten, die es aufgrund mancher beengter Wohnsituation gibt. Doch die meisten sind froh in dieser Ausnahmesituation beieinander sein zu können.
„Übungen in Zeiten des Coronavirus“
Herr Zhou etwa hat angefangen jeden Tag ein Video von sich und seiner Familie zu drehen und auf Weibo zu stellen. Frau Wang macht ihren wöchentlichen Sportkurs nun indem sich alle acht Teilnehmerinnen per Videoschalte einwählen, um gemeinsam eine Stunde lang Übungen zu machen. Auch von Cloud-Drinking wird berichtet. Also anstatt, sich in der Bar zu treffen, die geschlossen ist, lädt man in einer gemeinsamen Cloud Fotos von sich und dem Feierabendbier hoch.
Selbst Tang Can, ein ehemaliges Popsternchen, die 2011 aufgrund der Antikorruptionskampagne um den geschassten Spitzenpolitiker Zhou Yongkang in Verbindung gebracht wurde, nutzte etwa die Gunst der Stunde und tauchte in den sozialen Netzwerken mit einer Reihe von Online Yogakurse wieder auf der Bildfläche auf. Über 90 Tausend Mal wurde ihr fast ein Minütiges Video „Übungen in Zeiten des Coronavirus“ geschaut.
Doch es gibt dennoch die Sehnsucht. Frau Guo etwa postet herzzerreißende Bilder ihres Sohnes, wie er jeden Tag am Fenster sitzt und nach draußen auf den dritten Ring im Pekinger Zentrum schaut, obwohl draußen nichts passiert, weil kaum jemand sich auf die Straße traut.
Ning Wang